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Pontis Visionen

Frauen, Farben und die besten Hotelzimmer in Südtirol. In einer zweiteiligen Spurensuche widmet sich Ivan Bocchio dem Architekten Gio Ponti.
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Foto: Martin Hanni

Wussten Sie, dass in Rom zahlreiche Dokumente vorliegen, die besagen, dass die Hotels in Südtirol bereits in der Zwischenkriegszeit die besten Italiens waren? Dass Italien nach der Weltwirtschaftskrise 1929 sich ein Beispiel an einigen Südtiroler Hotels nahm, um den Tourismussektor zu fördern?


Laut dem Präsidenten der ENIT  (Ente Nazionale per le industrie turistiche) Fulvio Suvich waren die Hotels in Südtirol jene Hotels, die es zu analysieren galt: „Die Hotelausstattung variiert stark von Region zu Region. Die am besten ausgestattete Region ist zweifellos Südtirol. Hier findet man Hotels mit modernen Anlagen für verschiedenes Zielpublikum und für alle Preisklassen.“

Es gab das Zimmer für die Brünette, für die Dunkelhaarige, für die Blondine und für den Mann. 

Die schon bestehende Südtiroler Hotellerie galt als Vorbild. Betriebe wie das Hotel Auffinger, das Hotel Eden, das Hotel Emma, und das Hotel Meister in Meran wurden bis auf das kleinste Detail in Bezug auf Raumordnung und Ausstattung, sogar dessen Bankkonten, von Experten unter die Lupe genommen, um ihr Erfolgsrezept zu verstehen. Anhand dieser Analyse entstanden verschiedene Dekrete zur Förderung des Tourismus.

 

Selbst Gio Ponti (1891–1979), der zu den meist beschäftigten Architekten seiner Zeit gehörte und Planer des bekannten Albergo Sportivo Valmartello war, veröffentlichte 1938 in der Tageszeitung Corriere della Sera eine weitere Studie über Meraner Hotels. In einem Vergleich zwischen den Hotels in Meran und Aosta schnitt Meran deutlich besser ab und hätte - laut ihm - Italien als Vorbild dienen sollen.

 

Vorbildhaft waren auch die Südtiroler Berghütten. Es liegen Pläne vor, die bezeugen, dass Ponti höchstpersönlich die Grueb-Hütte im Martelltal durchstudiert hat als er beauftragt wurde Kreuzfahrtschiffe zu planen. Er hat die vom DÖAV (Deutsch-Österreichischer Alpenverein) gebauten Zimmer abgemessen, dessen Raumhöhe und die Struktur der Stockbetten begutachtet, um im Anschluss vermutlich dessen Maße und das Mobiliar in seine Schiffsplanung miteinzubeziehen.

 

Gio Ponti hatte breitgefächerte Interessen. Über die Baukunst hinaus widmete er sich der Malerei, der Innenarchitektur und dem Design von Alltagsgegenständen. 1923 übernahm er die künstlerische Leitung der bekannten Porzellanmanufaktur Richard-Ginori. Zudem gründete Ponti 1928 mit Domus eine Zeitschrift, die mit ihrem fachübergreifenden Spektrum aus Architektur, Kunst und Design in der kontemporären italienischen Presselandschaft einzigartig war. Von 1930 bis 1963 war Ponti sogar Kolumnist in der bedeutenden Tageszeitung Corriere della Sera und verfasste beinahe 500 Artikel. Ponti ist der erste italienische Autor, der die Gelegenheit erfasst, das große Publikum und den allgemeinen Leser der Einrichtung- und Architekturwelt anzunähern.

 

Obwohl er mit der Ausführung internationaler Projekte zeitlich sehr beansprucht war (Mailand, Rom, Sorrent, Südtirol, Paris, Wien, Eindhoven, Stockholm, Caracas, Teheran, Singapur, Denver und New York), ließ er es sich nicht nehmen seine eigene Kleidung zu konzipieren und sich damit als Designer zu positionieren. Seine stilsichere Garderobe von eleganter, doch funktionaler Einfachheit brachte ihm seinerzeit einen Eintrag auf der Liste der hundert bestgekleideten Italiener. Darüber hinaus entwarf er Kostüme für verschiedene Theateraufführungen an der Mailänder Scala, wie zum Beispiel für den Orpheus von Gluck 1949 mit einer außerordentlichen Farbenvielfalt und grellen Masken.

 

An Pontis Gesamtwerk lässt sich ein überaus differenzierter Umgang mit Farben und Materialien erkennen. Durch innovative Fertigungsprozesse konnte er auch aus herkömmlichen Materialien neue Qualitäten gewinnen, so beispielsweise in der von ihm Tempesta genannten Marmorsorte, die er gegen die Maserung schneiden ließ.


Im Hotel Albergo Sportivo Valmartello von 1936 treibt er seinen kreativen Ansatz mit Farbsubstanzen und Werkstoffen auf die Spitze. Je nach Haarfarbe der Gäste, insbesondere jene der Frauen, sollte ein dazu passendes Zimmer mit einem abgestimmten Interieur vergeben werden. Es gab das Zimmer für die Brünette, für die Dunkelhaarige, für die Blondine und für den Mann. Infolgedessen war die Decke, der Vorhang und die Bettwäsche auf die Haarfarbe der Kunden abgestimmt. Diese Herangehensweise wirft die Frage auf, ob es sich hierbei um einen ernsthaften oder einen spielerischen Ansatz handelt.

Gio Ponti war ein Architekt und Designer, der die verschiedenen Raumhüllen des Menschen als sein Metier begriff.

 

Lesen Sie am Sonntag 15.9. in Teil 2: Südtirols größtes Seilbahnprojekt