Gesellschaft | Interview

“Ohne uns gibt es keine Lösung”

Eine angehende Ärztin wirft der Südtiroler Politik Kurzsichtigkeit vor. “Der Ärztemangel hätte vermieden werden können”, ist sich Elisa Reiterer sicher.
Elisa Reiterer
Foto: Privat

Zahlreiche Südtiroler Jungärzte oder solche, die es bald sein werden, harren im Ausland aus. Eine Zukunft in ihrer Heimat, die sie dringend brauchen würde, können sich viele von ihnen nicht vorstellen. Warum, das hat Südtirols Ärztenachwuchs gestern (16. Jänner) in einem offenen Brief ausführlich erklärt. 158 Unterschriften hat Elisa Reiterer in weniger als zwei Tagen gesammelt und samt Brief an Martha Stocker und Thomas Schael geschickt, “damit unsere Position für sie endlich einmal konkretisiert wird”, erklärt Reiterer. Sie kann sich des Eindrucks nicht erwehren, “dass die beiden nicht ganz verstanden haben, in welcher Situation wir uns befinden”. Mit “uns” meint Reiterer Südtiroler Medizinstudierende im Ausland, von denen es nur wenige zurück in die Heimat zieht. Nun hofft die 25-jährige Meranerin, die im April ihr Medizinstudium in Innsbruck abschließen wird, “dass der Dialog geöffnet und wir in die Diskussion eingebunden werden”. Denn viel wird über Südtirols Hoffnungsträger in Weiß geredet, doch mit ihnen hat bisher niemand gesprochen.

salto.bz.: Frau Reiterer, was hat Sie dazu veranlasst, einen offenen Brief an die zwei ranghöchsten Zuständigen für das Südtiroler Gesundheitssystem zu schreiben?
Elisa Reiterer: Die konkrete Idee, diesen Brief zu verfassen, ist mir ganz kurzfristig gekommen. Ende vergangener Woche wurde in den Südtiroler Medien über die Notstandsverordnung berichtet, die Dr. Schael (Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebs, Anm. d. Red.) erlassen hat. Daraufhin habe ich, wie es viele meiner Generation so machen, wenn ihnen etwas am Herzen liegt, und sie erzürnt sind, einen Facebook-Post verfasst, in dem ich diese Maßnahme kommentiert habe. Es hat einiges an Resonanz in meinem Freundeskreis gegeben. Unter anderem habe ich Nachrichten von Leuten bekommen, die es wie ich, eine Frechheit finden, dass nun mit Notverordnungen auf Missstände reagiert wird, die seit Jahren bekannt sind.

Damit war das Maß für Sie voll?
Sozusagen. Was das Fass schließlich zum Überlaufen gebracht hat war, als ich dann noch erfahren habe, dass Krankenhausärzte, die ihre Abteilung verlassen wollen, für sechs Monate verpflichtet werden sollen, an ihrem Arbeitsplatz zu bleiben. Jemanden zum Arbeiten zu zwingen ist gegen jeglichen Arbeitsschutz. Das war der Moment, wo ich, eigentlich aus einer Emotion heraus, gesagt habe, da muss ein Brief geschrieben werden.

Viele unserer Erwartungen und Hoffnungen sind der Landesrätin und dem Generaldirektor womöglich unbekannt.

Den schließlich fast 160 angehende oder bereits praktizierende Südtiroler Ärzte im Ausland unterschrieben haben. Wie kam es dazu?
Es war Freitag Abend als ich das Schreiben verfasst habe. Und die Studierenden sind untereinander ziemlich gut vernetzt. Ich habe den Brief in der studieninternen Facebook-Gruppe gepostet, zusammen mit dem Aufruf, ihn zu unterzeichnen, sollte jemand meine Meinung teilen. Außerdem habe ich Bekannte und Freunde, die ihr Medizinstudium bereits beendet haben, kontaktiert, von denen sich einige stark eingesetzt haben, um das Schreiben zu verbreiten und Unterschriften zu sammeln. So ist das Ganze eigentlich innerhalb von 48 Stunden zustande gekommen.

Das Unbehagen, das im Brief zum Ausdruck gebracht wird – etwa im Hinblick auf Studientitelanerkennung, Facharztausbildung, Bürokratie –, gibt es schon länger?
Auf jeden Fall. Angefangen hat es bereits 2014, als bekannt wurde, dass Rom die Facharztausbildung der Österreichischen Ärztekammer, die zum Teil in Südtirol absolviert werden konnte, nicht mehr anerkennt. Damals haben wir gesagt, Obacht, das wird zum Problem. Nach Rom – mit der Begründung, die betreffenden Abteilungen seien als Ausbildungsstätte nicht geeignet – hat sich im November des Vorjahres dann auch Österreich quer gestellt.

Die Südtiroler Ärztekammer warnte damals: “Südtirols Facharztausbildung vor dem Aus”. Ist es wirklich so dramatisch?
Für einige von uns würde es tatsächlich ein ernsthaftes Problem darstellen, sollte auch Österreich den Teil der Facharztausbildung nicht mehr anerkennen, der bislang an Südtirols Krankenhäusern gemacht werden konnte. Aber auch für das Land selbst wäre es fatal. Einer meiner Studienkollegen etwa würde liebend gerne nach Südtirol, um ein kleines Krankenhaus – Innichen – wieder auf Vordermann zu bringen. Doch er kann nicht, es ist einfach unmöglich.

Die Probleme hören mit dem Abschluss der Ausbildung jedoch nicht auf?
Im Durchschnitt ist man dann 31, 32 Jahre alt. Wenn jemand den Facharzt in Österreich macht, und sich entscheidet, mit Kind und Kegel nach Südtirol ziehen – Sie können sich nicht vorstellen, welchen Rattenschwanz an Problemen das mit sich bringt. Vonseiten des Landes gibt es keinerlei Unterstützung, etwa um einem eventuellen Partner den Berufseinstieg in Südtirol zu erleichtern.

Die jungen Leute sind die ganze Zeit über entweder ignoriert oder vergessen worden.

Nun könnte man annehmen, dass angehende Mediziner im Ausland angesichts des Ärztemangels in Südtirol, heiß umworben sind. Doch sie fühlen sich von Politik und Sanitätsbetrieb, der immerhin mit einer kostspieligen Werbekampagne ausländische Ärzte anzuwerben versucht, allein gelassen?
Was soll ich sagen, mit uns hat noch nie jemand geredet. Das Ironische an der ganzen Sache ist dabei, dass der Großteil der in Südtirol praktizierenden Ärzte in den kommenden zehn Jahren in Pension gehen wird. In Österreich ist die Situation dieselbe. Das ist jene Generation der Ärzteschwemme, als es kaum Aussicht auf einen Job gab und schon mal drei Jahre gewartet werden musste bis man eine Stelle bekam. Genau diese Ärzte gehen jetzt nach und nach in den Ruhestand.

Wer wird sie ersetzen? Die 159 Unterzeichner des offenen Briefes?
Wenn es die Politik nicht schafft, unser Vertrauen zu gewinnen, uns zeigt, dass sie uns haben will und Optionen schafft, damit wir wieder zurückkommen können, dann bin ich echt gespannt, wie sie das Problem des Ärztemangels lösen will. Innerhalb der nächsten zehn Jahre sind alle, die den Brief unterschrieben haben, ausgebildete Fachärzte. Alle. Das bedeutet, dass alle befähigt wären, wieder heim nach Südtirol zu kehren – wenn es nur etwas leichter wäre.

Sie nennen das Südtiroler Gesundheitssystem “kränkelnd” und “röchelnd”. Wird eine Notstandsverordnung, wie jüngst von Dr. Schael erlassen, diese Symptome kurieren? Oder ist sie nicht viel mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein?
In der Medizin gibt es den Begriff der Schnappatmung. Damit wird das letzte Röcheln bezeichnet, das jemand von sich gibt, bevor er stirbt. Und so in etwa fühlt sich das, was mit dem Gesundheitssystem gerade passiert, an. Die Probleme im System gibt es nicht erst seit gestern und auch nicht erst seit fünf Jahren. Dass sich ein Ärztemangel anbahnt, hat man seit mindestens 15, 20 Jahren ahnen können. Da kann mir niemand erzählen, dass jetzt plötzlich aus dem Nichts ein Notstand da ist.

Ich kenne viele, die gerne nach Südtirol zurückkehren würden, es sich aber nicht vorstellen können.

Können Sie sich erklären, warum es so weit gekommen ist?
Im Endeffekt gibt es wohl eine Reihe von Problemen, die bisher jedem zu groß, zu schwierig, ein zu heißes Eisen, zu kompliziert oder sonst was waren. So wurden sie von Legislaturperiode zu Legislaturperiode immer weitergereicht, weil der Nächste wird’s schon richten… Und in der Zwischenzeit haben Ärzte, Pflegepersonal und Angestellte das ganze System auf den Beinen gehalten und weitergebracht – irgendwie.

Sie werfen der Gesundheitspolitik beziehungsweise den dafür Zuständigen fehlende Weitsicht vor?
Wenn man vor 15, 20 Jahren ein bisschen vorausschauend gedacht hätte – und damit meine ich nicht drei oder fünf Jahre bis zu den nächsten Wahlen, sondern auch mal 15 Jahre vorausschauen –, dann wäre die Situation heute eine ganz andere.

In dem Schreiben an Martha Stocker und Thomas Schael werden eine Vielzahl von Fragen aufgeworfen. Erwarten Sie sich eine Antwort darauf?
Ehrlich gesagt erwarte ich mir nicht viel, erhoffe mir aber zumindest eine Reaktion. Darüber hinaus hoffe ich, dass unsere Position und unser Einfluss auf die ganze Geschichte nicht mehr vergessen werden. Ich habe nämlich das Gefühl, dass die Tatsache, dass junge Leute nachkommen, die ganze Zeit über entweder ignoriert oder vergessen worden ist. Bisher ist nie jemand auf uns zugekommen, wir waren in der Diskussion nie da.

Ich bedanke mich bei den 158 Leuten, die den Brief unterzeichnet haben. Das ist der absolute Wahnsinn, ich hätte nie damit gerechnet.

War der offene Brief ein Weckruf auch für die neue Generation von Ärzten, sich selbst stärker ins Spiel zu bringen?
Südtiroler Medizinstudenten als solche haben keine Interessenvertretung, stimmt. Das ist vielleicht ein Problem von unserer Seite, man könnte sich sicher besser vernetzen und die eigenen Belange besser vertreten. Durch den Brief hoffe ich einfach, dass nun einmal die Fronten geklärt werden können. Viele unserer Erwartungen und Hoffnungen sind der Landesrätin und dem Generaldirektor womöglich unbekannt, vielleicht weil sie einer anderen Generation angehören, vielleicht, weil sie sich um ihre eigene Zukunft keine Gedanken mehr machen müssen.

Würden Sie sich heute noch einmal für ein Medizinstudium entscheiden?
Ja doch, ich glaube, ich würde es mir noch einmal antun. Aus dem einfachen Grund, dass es wenige Berufe gibt, die für mich wirklich Sinn machen, bei denen man nicht nur für sich selbst etwas rausschlägt, sondern auch für viele andere. Und der des Arztes ist einer davon.

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Heinrich Tischler Di., 17.01.2017 - 10:24

Bravo Elisa! Nur, die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Wenn Primare, oder wie sie jetzt heißen, Direktoren ihre Stimme erheben, riskieren sie ein Disziplinarverfahren. Das kann dir zwar nicht passieren, aber die Rückmeldungen des hypertrophen Assessorats werden sich in Grenzen halten, wie halt üblich. Krankenhausinformationssystem, klinische Reform, Gesundheitsplan usw., überall tolle Ankündigungen, aber was steht dahinter? Liebe Jungärzte, bleibt aber trotzdem dran am Problem, denn wir brauchen euch, vielleicht sogar als eure zukünftigen Patienten, ich bin da auch etwas egoistisch und denke eigennützig, ich bin nämlich ein älterer pensionierter Arzt.

Di., 17.01.2017 - 10:24 Permalink
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G G Di., 17.01.2017 - 15:27

Wichtige Einblicke in das ganze Thema und diesen Teil unseres Systems.
Auch im Bildungssektor entwickelt es sich nicht viel optimistischer - Achammer ist zwar gut darin, den "american way of politics" einzuschlagen, wo Washington gerne mit Hollywood verwechselt wird und wir kriegen sein privates Liebesleben lauwarm serviert, um uns emotional zu berühren, aber von wirklichem Visionsgeist ist nicht viel zu spüren ... es gibt kaum Politiker, die neben dem Alltagsgeschäft wirklich 15-20 Jahre vorausdenken können. Vielleicht ist es teilweise aber auch so, dass solche Menschen nicht gewählt werden würden, weil auch wir Wählervolk im Prinzip nur eingelullt werden und vorgeschaukelt bekommen wollen, dass ja eh immer alles sicher fast gleich bleiben wird ... bloß nicht zu viel Weitblick und möglichst keine tiefgreifenden Veränderungen, denn das gefährdet die gemütliche Komfortzone. Auch wenn Kinder immer noch und weiterhin spätestens ab der 3. Klasse Grundschule die Lust auf Schule und Lernen verlieren. Lieber Politik alla Hollywood ...

Di., 17.01.2017 - 15:27 Permalink
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Bernhard Brugg… So., 22.01.2017 - 14:45

Die Botschaft die eigentlich ankommen sollte -kommt nicht an-denn man scheut die Auseinandersetzung
die eigentlich geben und nehmen sein sollte-in Südtirol scheint es- dass Uhren anders laufen nur so ist es möglich
die eigentlichen Botschaften umzudeuten. Werte Politiker ich deute dieses Schreiben als Hilferuf einer Jugend
die gewillt ist Verantwortung zu übernehmen. Was ist dabei falsch wenn man sich einer Tonlage bedient, einer Darstellung
die nicht in die übliche Gebetsmühlen artige Tonlage passt. Sofern man sich nicht einer adequaten angepassten
Gebetsmühle anschließt wird schnell Pfeil und Bogen umgedreht und die Tonlage beweint. Wie wäre es wenn man diese
Jungen Leute endlich einmal nach den wahren Begebenheiten ihrer Tonlage fragen würde. Wie würde dann diese Spiel
des Pfeil und Bogens aussehen. Einen Pfeil des nicht Wahr Nehmens wenn man den Pfeil ständig in dem gespannten Bogen belässt-
dem fehlt nach kurzer Zeit die Spannungskraft den Pfeil zu dem Ziel zu tragen wo es sein sollte. Mit ihrer Gebetsmühle der
Qualität ist es so "wenn man dauernd von Qualität spricht und schreibt " aber die die Qualität nicht in der Realität wahrnimmt .
So sei die Frage gestellt welche Qualität ist die "richtige" die geredete die geschriebene oder die nicht angekommene bei den
Menschen denen sie dienen sollte. In diesem sinne möchte ich denen danken die es wagen unkorrektes aus zu drücken
und an das Tageslicht des Wahr Nehmens zu zerren.

So., 22.01.2017 - 14:45 Permalink