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Punktejournalismus

Die journalistische Weiterbildung ist in Italien seit drei Jahren verpflichtend. Ein Gespräch über Freelancer, Crediti und Kritik am System.
Kamera und Mikrofon
Foto: Salto.bz

Salto.bz: Sie sind Vizepräsidentin der Journalistenkammer Trentino/Alto Adige. Seit drei Jahren müssen sich in Italien, Journalisten, Publizisten und Praktikanten weiterbilden, sogenannte „Crediti“ sammeln. Nun sind die ersten drei Jahre vorbei. Wie lautet Ihr Resümee?
Christine Helfer: Nach einem etwas schleppenden Beginn im ersten Jahr, 2014, hat die Weiterbildungsinitiative der Journalistenkammer dann doch noch Fahrt aufgenommen; bis zum Schluss, bis Ende 2016, haben wir in unserer Region 143 Seminare und Kurse veranstaltet, die Online-Kurse ausgenommen. Das ist eine schöne Zahl, wenn man bedenkt, dass alle Kurse kostenlos waren. Mit dabei waren die vielfältigsten Themen und Referenten, wir hatten letzthin etwa die beiden Journalisten Nick Davies und Andrew Bell von der BBC und dem Guardian zu Gast , wir haben Themen wie Doping, Drogenhandel, Korruption, Notfälle am Berg, Einwanderung, das Waffengesetz und vieles andere in den Kursen abgehandelt, immer mit Fokus auf die journalistischen Belange und Bedürfnisse. Ein guter Teil der Weiterbildung betraf außerdem die Berufsethik, Regelwerke betreffend wie Carta di Roma, Carta di Firenze  und im zweiten Moment das Handwerk und den Berufsinhalt des Journalisten, Kurse zu Sprachgebrauch, Fotogebrauch, Digitalisierung etc.
Von Februar 2014 bis Dezember 2016, bzw. jetzt in Verlängerung bis März 2017 hatten und haben die Journalisten Zeit, ihre 60 Punkte bzw. Crediti zu machen.

Wenn jemand nicht die Punktzahl von 60 Crediti erreicht hat, wird er von der Journalistenkammer ausgeschlossen?
So schnell geht das nicht: Es gibt viele, die vielleicht 40 oder 50 Crediti beisammen haben und die noch Zeit haben, bis Ende März 2017 auf die erforderlichen 60 Punkte zu kommen. Das ist kein Problem. Allerdings gibt es auch etliche, die noch keine Kurse absolviert haben.  Wenn jemand also auch nach dem 30. März 2017 keine Crediti hat,  gibt es eine Benachrichtigung  und dann wird sich der Consiglio di disciplina um die einzelnen Fälle kümmern. Bei hartnäckigen Fällen kann es auch zum befristeten Ausschluss aus der Kammer kommen, allerdings ist das die Ultima Ratio und läuft nach den Regeln ab, die in Rom gemacht wurden.  

Gab es mehr säumige oder fleißige Journalisten und Journalistinnen?
Der Großteil der Journalisten und Journalistinnen haben die Kurse gemeistert, derzeit wird die genaue Zahl noch ausgewertet und das geschieht auf nationaler Ebene, nicht regional.

Es gab auch Kritik, am System der Crediti, wie auch an den Kursen…
Die Kritik gab es anfangs vor allem deshalb, weil die Weiterbildung erst 2011 verpflichtend eingeführt wurde, dazu auch das Punktesystem. Im ersten Jahr war man als Weiterbildungsanbieter sicherlich noch auf hoher See, was den Inhalt und die Referenten angeht. Das hat sich im zweiten und vor allem auch im dritten Jahr deutlich verbessert, auch das Angebot an deutschsprachigen und ladinischen Kursen.

Wie wird in Zukunft das Weiterbildungsangebot aussehen?
Es wird sicher wieder eine gute Mischung aus inhaltlicher wie deontologischer Weiterbildung geben, in allen drei Sprachen, wir werden darauf achten, dass die Kurse und Seminare möglichst kostenlos zur Verfügung sind, was nicht selbstverständlich ist, wenn man andere Kammern ansieht. Bereits im letzten Halbjahr war es möglich, einen Gutteil der Punkte online zu erhalten, das geht auch so weiter. Wenn man will, kann man sich den jährlichen Aufwand von 15 Punkten mit zwei, drei interessanten Seminaren und den Rest online (20 Punkte Deontologie) am Computer holen.

Stichwort: Neue Medien. Welchen Stellenwert hat Internetjournalismus in der Journalistenkammer?
Denselben Stellenwert wie die herkömmlichen Medien Print, TV und Radio auch – es gelten dieselben Grundlagen, dieselbe Aufsichtspflicht, dieselben Sanktionen.

Sie sind selbst sogenannte „Freelancerin“. Wie stark ist diese Gruppe mittlerweile in der Journalistenkammer? Haben sie immer noch weitaus weniger Rechte als andere Berufskollegen?
Die Freelancer verteilen sich mittlerweile übers ganze „Album“, es sind genauso professionelle Journalisten darunter wie Publizisten. Die letzteren haben in den vergangenen Jahren außerdem eine Aufwertung erfahren, als  die INPGI 2, die Altersvorsorge für Journalisten, und die CASAGIT, die Gesundheitsfürsorge, zugänglich gemacht wurden. Sicher ist da noch einiges zu tun, vor allem was die prekären Arbeitsverhältnisse angeht; aber die Erkenntnisse sickern durch, dass sich der Beruf insgesamt gewandelt hat, die sicheren und gut gepolsterten Posten gibt es nur mehr vereinzelt, alle müssen hier an die Ruder, wenn die Qualität der Berichterstattung erhalten werden soll.