Kultur | Salto Weekend

Feuernacht und Komplott

Im Salto-Geburtstags-Special für Felix Mitterer ein weiterer Textauszug aus seinem Buch "Mein Lebenslauf". Zu den Dreharbeiten über die Bombenjahre. Inkl. Film 3 und 4.
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Foto: Verkaufte Heimat Teil 4

Die Fortsetzung: »Feuernacht« und »Komplott«
Nach den erfolgreichen, so viel bewegenden zwei Fernsehfilmen sprachen Karin Brandauer, ORF-Redakteur Peter Mertz und ich über eine Fortsetzung. Denn nach dem Krieg war ja die Sache für die Südtiroler noch nicht ausgestanden. Es kamen die sogenannten »Bombenjahre«.

So geht's eben mit Vorurteilen, und die hatte ich, wie fast jeder libe­rale Mensch, dem Nationalismus in jeder Form unheimlich ist.

Als ich 1990 in Köln bei einer Live-Übertragung der ARD für die beiden ersten Drehbücher ausgezeichnet wurde, kündigte ich in der Dankesrede die nächsten zwei Teile an und hatte dabei einen teuflischen Freud'schen Versprecher. »Sie werden während der Bumserzeit spielen«, sagte ich. Bevor noch ein allgemeines Gelächter des ganzen Auditoriums losbrach, war mir das schon äußerst peinlich, denn erstens verstanden die Deutschen unter »Bumser« natürlich etwas anderes, zweitens sollte ein Mensch, der sich ernsthaft mit der Südtirolproblematik der 60er Jahre beschäftigen will, den Aus­druck »Bumser« lieber vermeiden, wurde er doch in oberflächlicher, eher leicht abwertender Weise für die Südtirolaktivisten verwendet. So geht's eben mit Vorurteilen, und die hatte ich, wie fast jeder libe­rale Mensch, dem Nationalismus in jeder Form unheimlich ist.
Im Laufe der zweijährigen Recherchen musste ich mich aller­dings eines Besseren belehren lassen. Ich sprach mit vielen ehema­ligen Aktivisten (das Wort »Freiheitskämpfer« scheue ich bis heute, obwohl es für manche in der Tat zutraf), ich sprach mit Angehörigen, besonders mit den Frauen, las Zeitungsberichte und Akten, und da stellte ich fest, dass die Dinge nicht so einfach waren, wie sie mir früher als gestandenem »Alt-68er« erschienen, schwarz-weiß sind sie ohnehin niemals.

Verkaufte Heimat, Teil 3 / Quelle: Centro e Mediateca multilingue

Die italienische Zentralmacht dachte nach dem Krieg nicht im Traum daran, den Südtirolern ihre im Pariser Vertrag eingeräumten Autonomierechte zuzugestehen. Ganz im Gegenteil - man plagte sie mit Schikanen, verwehrte ihnen vor der Polizei, vor Gericht und in den Ämtern die Muttersprache, hatte sie mit der Provinz Trient in einen Topf geworfen, wodurch im Regionalparlament die Südtiroler wieder in der Minderheit waren, vor allem aber schickte man - wie zur Mussolinizeit - Abertausende von Italienern aus dem Süden in die Provinz Bozen, gab nur ihnen die Arbeitsplätze, baute nur für sie die Wohnblocks. Nicht ohne Grund fanden die ersten Sprengstoffattentate gegen Rohbauten dieser sogenannten Volkswoh­nungen statt, in denen die Südtiroler nicht wohnen durften.
Hatte ich nun sehr bald verstanden, wie es zur späteren Eska­lation kommen musste, so wunderte ich mich immer mehr über die sogenannten »Terroristen«, die »Dinamitardi«, wie sie von den Italienern genannt wurden. Der Anführer Sepp Kerschbaumer (im Film Sepp Rabensteiner) war gläubiger Katholik und von einer der­artigen Herzensgüte, dass ich befürchten musste, der Fernseh­zuschauer würde mir so einen Charakter gar nicht abnehmen. Ein »Terrorist«, der als Gemischtwarenhändler den armen italie­nischen Zuwanderern ständig Kredit gewährt, der nach jedem Anschlag beichten geht, der seine Leute beschwört, ja keine Men­schenleben zu gefährden, so einer passt nicht ins Klischeebild, das man sich allzu gerne macht. Auch die meisten anderen entsprachen diesem Klischee in keiner Weise. Arbeiter, Bauern, Handwerker waren sie, zumeist Familienväter, zumeist verantwortungsbewusste und an sich autoritätsgläubige Menschen, auf keinen Fall raffinierte, brutale, hinterhältige Guerillas. Wen wundert es, dass nach der »Feuernacht« (Sprengung von 37 Strommasten am 12. Juni 1961) fast alle verhaftet wurden (keine Decknamen, zu wenig Geheim­haltung, eingeschleuste Spione) und unter oft schrecklicher Folter gestanden, was zu gestehen war.

Er war sicher die tragischste Figur dieser Zeit, einer, der - wie Andreas Hofer - nicht wusste, wann man aufhören muss, wann es keinen Sinn mehr hat.

Georg Klotz (im Film Hermann Tschurtschenthaler) und Luis Amplatz (Bruder Toni Tschurtschenthaler) - die beiden anderen Anführer - waren zwar ganz andere Charaktere als Kerschbaumer, aber auch sie vermieden es, Menschen zu töten, obwohl der Schüt­zenmajor Klotz oft in Guerillafantasien schwelgte. Von einem Tiroler Agenten des italienischen Geheimdienstes wurde auf beide ein Mordanschlag verübt, Amplatz starb dabei, Klotz gelang schwerverletzt die Flucht nach Nordtirol, war in Österreich immer wieder eingesperrt, vermisste schmerzlich seine Familie, endete als Köhler in der Sillschlucht bei Innsbruck, wo er unter schlimmen Umständen verstarb. Er war sicher die tragischste Figur dieser Zeit, einer, der - wie Andreas Hofer - nicht wusste, wann man aufhören muss, wann es keinen Sinn mehr hat. Dass der damalige Südtiroler Widerstand bis heute in schlechtem Geruch steht, liegt aber haupt­sächlich an den deutschnationalen bis rechtsradikalen Aktivisten aus Österreich und Deutschland, die bald als Trittbrettfahrer mit­mischten und mit Wort und Tat (man schreckte auch vor hinter­hältigen Sprengfallen nicht zurück) die ehrlichen Absichten und gemäßigten Handlungen der Südtiroler desavouierten.

Verkaufte Heimat, Teil 4 / Quelle: Centro e Mediateca multilingue

Jetzt, 33 Jahre nach der »Feuernacht«, war es für mich an der Zeit, den Kampf der Südtiroler um ihre Rechte endlich objektiv darzustellen und zu zeigen, dass es der Nationalismus des italie­nischen Staates war, der zum Aufruhr führte, und nicht der Natio­nalismus der Südtiroler. Selbst Politiker, die sich damals von den Anschlägen distanziert hatten, räumen nunmehr ein, dass es ohne diese noch immer kein Autonomiestatut, keine Erfüllung des »Paketes« geben würde. Natürlich auch nicht ohne Kreisky und Magnago. Jeder tut an seiner Stelle eben, was er kann. Dass sich Bruno Kreisky als österreichischer Außenminister vor der UNO für Südtirol einsetzte, wurde von den Südtirolern nicht vergessen. Be­züglich der Sprengstoffanschläge wird ihm ein Satz gesprochen, der nicht belegt, aber auch nicht unwahrscheinlich ist: »Ich sag euch nicht, tut's was, ich sag euch aber auch nicht, tut's nix.«

Ein großer Trost war mir, dass mein Freund Werner Pirchner eine ganz unglaubliche Filmmusik kompo­nierte. 

Ich danke den damals aktiv Beteiligten und deren Frauen, Kin­dern und Verwandten, die mir ihr Vertrauen schenkten und bereit­willig Auskunft gaben. Danken möchte ich auch Elisabeth Baum­gartner, Hans Mayr und Gerhard Mumelter, die im selben Zeitraum wie ich für ihr zeitgeschichtliches Lesebuch »Feuernacht« (Edition Raetia, Bozen 1992) recherchierten und mir uneigennützig all ihre Informationen zur Verfügung stellten.
Am 13. November 1992 starb Karin Brandauer, die auch die nächsten beiden Teile der »Südtirol-Saga« drehen sollte. Es war ein furchtbarer Schock für uns alle. Besonders natürlich für ihren Ehe­mann Klaus Maria, aber auch ich fühlte mich im Stich gelassen, denn mein Herzenswunsch war es, alle meine folgenden Filme nur mit ihr zu drehen. Wie holte sie doch auf ihre sanft-bestimmte Weise mehr aus den Schauspielern heraus, als viele andere es zu­stande gebracht hätten, und wie bestand sie doch darauf, jeden einmal fixierten Satz aus dem Drehbuch genau so zu sprechen und nicht anders. Das passiert einem Drehbuchautor selten, heute sowieso kaum mehr. Ich versteh dich nicht, Karin, schon damals hätte man doch nicht an Brustkrebs sterben müssen! Ich fass es immer noch nicht.
Gernot Friedl übernahm die Regie, mit Kameramann Jiri Stibr. Dass ich nicht ganz zufrieden war mit den beiden nächsten Folgen, obwohl es atemberaubende und auch sehr berührende Szenen gibt, hat wohl damit zu tun, dass ich mir immer vorstellte, wie wohl Karin das gemacht hätte. Ein großer Trost war mir, dass mein Freund Werner Pirchner eine ganz unglaubliche Filmmusik kompo­nierte. Und es spielten natürlich wieder dieselben Schauspiele­rinnen und Schauspieler, sie waren (fast) genauso großartig wie in den beiden ersten Teilen.

Reinhold Messner sagte plötzlich: »Mitterer, du musst endlich einen Hofer schreiben.«

Vor der Präsentation in Meran bat mich Gerd Bacher, ein vom ORF aufgezeichnetes Gespräch mit acht Zeitzeugen zu führen. Das dauerte endlos, ich bekam ständig Zeichen von der Technik, end­lich aufzuhören. Das lag daran, dass all diese Menschen, die zum Teil gefoltert wurden und dann jahrelang im Gefängnis saßen, die Chance nutzen wollten, sich alles von der Seele zu reden. Und da ich kein professioneller Moderator bin, gelang es mir nicht, sie zu bremsen, wollte es auch nicht. Nachher saßen wir zusammen im Wirtshaus, und Reinhold Messner sagte plötzlich: »Mitterer, du musst endlich einen Hofer schreiben.« Ich antwortete: »Ja, eh inte­ressant, aber zuerst muss ich über Michael Gaismair schreiben.« Bacher hörte nur das Wort Hofer, war begeistert und ließ mir dann von Wien aus sofort einen Vertrag zukommen. Dann aber wurde Bacher als Generalintendant abgelöst und die Redakteure baten mich händeringend, auf den Hofer zu verzichten, das interessiere heute keinen mehr und sei außerdem viel zu teuer. Ich stimmte gerne zu und machte etwas anderes. Jahre später sollte es aber dann doch dazu kommen.

Felix Mitterer: Vom Bauernbub zum gefeierten Volksdichter / Quelle: Haymon

Salto in Zusammenarbeit mit Haymon