Kultur | Salto Afternoon

Faszinierendes WOBIversum

Eine Ausstellung mit Aufnahmen des Fotografen Ivo Corrà zeigt die soziale Wohn(bau)geschichte Südtirols. Es ist ein unscheinheiliger Blick auf Land und Leben.
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Foto: Salto.bz

„Die deutsche Kurzbezeichnung klingt fast wie ein Kosename oder wie der Titel eines Abenteuerbuches von Enid Blyton: Wobi und Tobi könnte es heißen...“, schreibt der Historiker Hannes Obermair leicht süffisant im Fotobuch Wohnen ist Leben. In seinem historischen Abriss zum sozialen Wohnbau in Südtirol, geht er epochal in die Vergangenheit zurück, streift die faschistische Bau-Ära – den „Wohnbau als Signum der Wohlfahrtsdiktatur“ – und gelangt ins Jahr der WOBI-Geburtsstunde: 1972. Und natürlich auch darüber hinaus. Obermair war einer der vielen Besucher bei der gestrigen Eröffnung der Fotoausstellung Wohnen ist Leben – Das Wobi-Universum und Südtirol. „Die Ausstellung folgt der Veröffentlichung des Fotobuchs“ heißt es im einleitenden Text der von Michele Fucich kuratierten Ausstellung, die bis 12. April im Bozner Centro Trevi – auf zwei Stockwerke verteilt –, zahlreiche Fotografien von Ivo Corrà ausstellt. Der Fotograf hat sie im Rahmen eines groß angelegten Projekts zum 50-jährigen Jubiläum des Wohnbauinstituts in sämtlichen Gegenden des Landes gefertigt.
 


„Die verschiedenen Ethnien, Menschen, Architekturen, Ortschaften, sowie das Verhältnis zwischen den Mieterinnen und  Mieter“, erzählt Corrà „ergeben einen anderen Blick auf die WOBI-Realität, von der wir alle glauben zu wissen, wie sie aussieht.“ Corrà hat (u.a. in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern des WOBI) den Geschichten des sozialen Wohnens nachgespürt, hat mit den Menschen in den Häusern und vor den Häusern gesprochen, und legt mit einer geschickten „Kombination von visueller und wissenschaftlicher Untersuchung“ ein buntes Bild an Südtiroler Wohnbaukultur vor. Ehrlich und ungeschönt.
 


Ivo Corrà – nur wenige Jahre älter als das WOBI – absolvierte seine Ausbildung Anfang der 1990er Jahre an der Kunstakademie von Brera in Mailand. „Er hat für dieses Projekt eine mehrere Monate andauernde Reise angetreten“, kommentiert der Kurator Michele Fucich die Auftragsarbeit, die sich „auf mehreren Ebenen abspielte“ und wobei es Corrà kongenial gelingt, die sehr unterschiedlichen Szenarien durch seine Fotografie miteinander zu verweben, indem er das Wohnen, so Fucich, „von außen, von oben und von unten zeigt.“ 
 


Auch wenn die materielle und rechtliche Vorgeschichte des WOBI eigentlich auf das Jahr 1934 zurückgeht, so ist das Jahr 1972, in welchem das neue Autonomiestatut verabschiedet wird, das Gründungsjahr. Das "neue" Institut kümmerte sich zunächst um die Peripherie und so entstanden die ersten zwölf WOBI-Wohnungen 1974 in Sand in Taufers. Mittlerweile sind es rund 13.400 WOBI-Wohnungen, in über 110 der 116 Gemeinden Südtirols. Klar, eine Erfolgsgeschichte hat natürlich auch Schattenseiten. Doch wo gibt es die nicht?
 


Die Fotos stehen und hängen fein arrangiert in den Räumen und werden zudem von einem Video begleitet, welches die Wohnprotagonisten nach Ende des Projekts nach der Überreichung des Fotobuches zeigen. Nur schade, dass dieses Buch nur in der Ausstellung aufliegt und es nicht in den Buchhandel geschafft hat, denn es bietet neben den Fotos von Ivo Corrà jede Menge Hintergrundinformation, die – mal abgesehen von den in Südtirol so gern gesehenen (aber meist überflüssigen) Grußworten –, die visuelle Erzählung Corràs aufschlussreich ergänzen. Das Wobi sei die „bedeutendste soziale Integrationsmaschine Südtirols“ findet Hannes Obermair und schließt seinen historischen Abriss mit dem polnisch-amerikanischen Anthropologen Bronislaw Malinowski (1884-1942) – er lebte sogar mehrere Jahre in Südtirol, wie eine Gedenktafel in Gries belegt –, der das Grundbedürfnis des Wohnens, neben „anderen Erfüllungsmöglichkeiten“ , als „zentralen Kulturfaktor“, definierte. Ivo Corrà Fotos zeigt diesen. Mit ungekünsteltem Blick auf die Bauwerke und mit viel Empathie für die darin lebenden Menschen.