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Das Kartell

Die Antitrust-Behörde ermittelt gegen SAD und LIBUS wegen Wettbewerbsverzerrung. Die Behörde hat zwei vertrauliche Verträge beschlagnahmt.
Busse
Foto: LPA
Der 25. Jänner 2018 könnte Ingemar Gatterer noch lange in Erinnerung bleiben. An diesem Tag statten Beamte der Finanzwache dem Unternehmenssitz der SAD AG einen überraschenden Besuch ab. Auf Anordnung der „Autorità garante della concorrenza e del mercato“ (AGCM) wird beim Südtiroler Nahverkehrsriesen eine Inspektion durchgeführt. 
Die Antitrust-Behörde verlangt die Aushändigung aller Unterlagen zur geplanten Ausschreibung des Südtiroler Personennahverkehrs. Der Grund: Zu diesem Zeitpunkt läuft vor der römischen Behörde ein Verfahren gegen die SAD AG.
Die Beamten beschlagnahmen am SAD-Sitz an diesem Januartag eine ganze Reihe von Dokumenten. Darunter auch zwei vertrauliche Vereinbarungen ("Accordi Riservati"), die nun die Wirkung einer Napalmbombe in Südtirols Personennahverkehr haben könnten.
Wenn das wirklich so ist“, sagt ein renommierter Südtiroler Verwaltungsjurist, „dann könnte es sein, dass die SAD AG und die LIBUS von der Ausschreibung um Südtirols Nahverkehrsdienste ausgeschlossen werden müssen“.
Dass dieses Szenario zwar der Worst Case ist, aber durchaus zutreffen könnte, zeigte sich am 5. Juli 2018.
An diesem Tag trafen sich die drei Mitglieder des AGCM, um den Fall Nr. A516 - „Servizio di Trasporto Pubblico Locale nella Provincia Autonoma di Bolzano“ zu verhandeln. Berichterstatter im Verfahren ist Michele Ainis, Verfassungsrechtler, Professor für öffentliches Recht und einer breiten Öffentlichkeit als Kolumnist von „LaStampa“, „Sole 24 Ore“, „Corriere della sera“ und „Espresso“ bekannt. Ainis ist seit zweieinhalb Jahren einer von drei Schiedsrichtern in der staatlichen italienischen Antitrust-Behörde.
16 Seiten umfasst das Protokoll der Verhandlung, das Salto.bz vorliegt.
Am Ende eine klare Entscheidung: Die Behörde eröffnet ein Verfahren ("delibera l´avvio dell´istruttoria") gegen die SAD AG und die LIBUS wegen möglicher Kartellbildung ("intesa restrittiva della concorrenza") und Wettbewerbsverzerrung.
 

Sture SAD

 
Dass es überhaupt zu dieser Ermittlung der staatlichen Wettbewerbsbehörde kommt, daran dürften Ingemar Gatterer und die SAD AG selbst die Schuld tragen. Der Ausgangspunkt war eine typische Gatterer-Aktion.
Im Sommer und Herbst 2017 ersuchte das Land die SAD AG, den zuständigen Ämtern verschiedende Dokumente und Informationen zur Verfügung zu stellen, die das Land für die Vorbereitung der für 2018 geplanten Europäischen Ausschreibung der Südtiroler Nahverkehrsdienste braucht.
Trotz mehrmaliger Aufforderung und Nachfrage weigerte sich die SAD aber, die Dokumente und Informationen zu liefern. „Es handelt sich um Betriebsgeheimnisse“, erklärte die Unternehmensführung dem Land lapidar.
Die Landesverwaltung erstattete daraufhin am 14. November 2017 Anzeige bei der AGCM wegen „Behinderung und mutwilliger Verschleppung einer öffentlichen Ausschreibung“. Weil die Vorhaltungen des Landes nicht unbegründet erscheinen, eröffnet die Antitrust-Behörde am 17. Jänner 2018 ein Verfahren gegen die SAD. Das Land verlangt zudem einen „provvedimento cautelare“ der AGCM, eine Art einstweilige Verfügung.
 
Jetzt lenkt die SAD ein und liefert im März 2018 dem Land die gewünschten Informationen. Am 21. März 2018 stellt die AGCM deshalb das Eilverfahren um die einstweilige Verfügung ein.
Das Hauptverfahren geht aber weiter. Die SAD AG engagiert die internationale Rechtskanzlei „fieldfisher“. Nach dem Verfahrensrecht kann der Beklagte eine Reihe von Verpflichtungserklärungen ("impegni") vorlegen. Die SAD tut das und legt vier Verpflichtungen vor - darunter die Forderung, dass eine „neutrale Autorität“ - gemeint ist die Antitrustbehörde - prüfen soll, ob die vom Land geforderten Informationen für die Ausschreibung wirklich nötig sind. Und vor allem, dass diese Informationen nicht zu möglichen Konkurrenzunternehmen kommen.
Am 13. Juni 2018 stimmt die AGCM diesen Verpflichtungen zu.
 

Das Rahmenabkommen

 
Die Bombe aber liegt in einem zweiten Verfahrensstrang. Im Streit um die Weitergabe der Informationen bzw. die Weigerung der Aushändigung der Dokumente sichert die Antitrust-Behörde Ende Jänner 2018 Unterlagen am SAD-Sitz.
Dabei finden die Beamten auch ein Rahmenabkommen zwischen der SAD AG und dem Konsortium der Linienkonzessionäre LIBUS sowie zwei vertrauliche Vereinbarungen. Alle drei Verträge wurden am selben Tag, dem 3. Februar 2017, unterzeichnet.
Auch hier bedarf es einer Vorgeschichte. Die Konzessionen für den Südtiroler Nahverkehr verfallen am 18. November 2018. Lange Zeit war nicht klar, wie das Land die Busdienste dann vergeben wird. Es standen zwei Varianten zur Diskussion: Ein PPP-Modell, bei dem das Land einem privaten Partner alle Buslinien übergibt, oder eine europäische Ausschreibung, unterteilt in mehrere Lose.
Ingemar Gatterer und die SAD versuchten von Anfang an, dem Land das PPP-Modell schmackhaft zu machen. Zwischen Februar 2016 und April 2017 legt die SAD dem Land vier verschiedene solcher PPP-Modelle vor.
Im Konsortium der Linienkonzessionäre LIBUS sind 19 Busunternehmen aus ganz Südtirol zusammengeschlossen. Darunter auch drei Unternehmen, die dem SAD-Besitzer Ingemar Gatterer gehören bzw. an denen er maßgeblich beteiligt ist. Aus dieser Konstellation heraus ist es verständlich, dass man zusammenarbeitet.
 
Deshalb unterzeichnen SAD und LIBUS am 3. Februar 2017 auch ein Rahmenabkommen für ein gemeinsames PPP-Modell, in dem man sich als sogenannter „Raggruppamento Temporaneo di Imprese“ (RTI) zusammentut. 65 Prozent davon soll die SAD halten, 35 Prozent die LIBUS. In einem Zusatzprotokoll wird genau festgehalten, welches Unternehmen welche Linie weiterhin betreiben soll.
In dem Rahmenabkommen heißt es wörtlich: „Dieser Vertrag gilt als automatisch aufgelöst, wenn das Land den vorgelegten Vorschlag ablehnen sollte“.
Genau das passiert: Die Landesregierung lehnt alle PPP-Modelle ab und entscheidet letztlich, eine Ausschreibung zu machen. Südtirol wird in fünf Lose eingeteilt. Das Los zum Stadtverkehr Bozen, Meran, Leifers soll der Inhouse-Gesellschaft SASA AG anvertraut werden. Die restlichen vier Lose werden ausgeschrieben, wobei ein Unternehmen nicht mehr als zwei Lose gewinnen kann.
 

Die geheimen Verträge

 
Wie jetzt klar wird, haben sich SAD und LIBUS aber auch hier einen Plan B zurechtgelegt. Denn an diesem 3. Februar 2017 unterzeichnet man nicht nur die Rahmenvereinbarung, sondern auch zwei „vertrauliche Vereinbarungen“. Es sind die Vereinbarungen, die die Finanzwache knapp ein Jahr später sicherstellt, als sie im Auftrag der Antitrust-Behörde agiert.
Der Kern der geheimen Verträge: Die Bedingungen und Abmachungen der RTI gelten auch bei einer europäischen Ausschreibung. In den Vereinbarungen wird genau festgelegt, wie man im Falle einer Ausschreibung die Lose und Linien aufteilen wird.
Der erste „accordo riservato“ wird zwischen SAD und LIBUS sowie den beiden Busunternehmern Hans Peter Taferner und Christoph Haidacher (für die Josef Oberhollenzer SAS) geschlossen. Gatterer & Co "marenden" in der Vereinbarung den Südtiroler Nahverkehr im wahrsten Sinne des Wortes unter sich auf. Das geht soweit, dass selbst die Nebendienste wie Skibuslinien oder Nightliner auf dem Papier auf die einzelnen Busunternehmen verteilt werden.
 
Die zweite vertrauliche Vereinbarung („accordo riservato bis“) wird zwischen SAD, der Silbernagl Anton & Co KG und der Pizzinini KG geschlossen. Hier geht um die Linie aufs Hochplateau sowie die Verteilung möglicher neuer Buslinien.
Im Klartext: In den beiden Vereinbarungen wird im Detail vorausbestimmt, wie die Südtiroler Nahverkehrsdienst unter den 21 Busunternehmen aufgeteilt werden sollen.
 
 

Kartellbildung und Verzerrung


Die Antitrust-Behörde geht davon aus, dass diese vertraulichen Abmachungen den Tatbestand einer Kartellbildung erfüllen könnten. Denn kein anderer Konkurrent hat damit reelle Chancen, im Südtiroler Nahverkehr Fuß zu fassen.
Vor allem aber prüft man bei der AGCM den Verdacht auf eine klare Wettbewerbsverzerrung bei einer öffentlichen Ausschreibung. Die geheimen Abmachungen lassen die Anbieter bei der Ausschreibung koordiniert vorgehen, und sie könnten der öffentlichen Hand möglicherweise auch einen ökonomischen Schaden zufügen.
 
Es wird sich in den nächsten Monaten zeigen, ob der Tatbestand illegaler Absprachen vorliegt. Die SAD AG und die involvierten Betriebe haben jetzt 60 Tage Zeit, um auf die Vorhaltungen zu reagieren.
Die Frage aber ist: Kann die Ausschreibung des Südtiroler Nahverkehrs inzwischen dennoch starten? Und können diese Unternehmen nur unter Vorbehalt daran teilnehmen?
Die Antitrust-Behörde kann auch einen Ausschluss aus dem Verfahren verfügen. Zudem kann sie Strafen bis zu 5 Millionen Euro oder bis zu 10 Prozent des Umsatzes eines Unternehmens ausstellen.
Beide Optionen verheißen für Ingemar Gatterer & Co nichts Gutes.