Politik | Affäre

Pizzininis Kubatur

Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen den Bürgermeister von Abtei Giacomo Frenademez und den Geometer Giovanni Call. Es geht um einen veritablen Bauskandal.

Die Ermittlungen laufen seit fast zwei Jahren. Vergangene Woche hat der stellvertretende Staatsanwalt Giancarlo Bramante den Abschluss der Ermittlungen gegen den Bürgermeister von Abtei, Giacomo Frenademez und dem Geometer Giovanni Call den Betroffenen offiziell zugestellt. Die Vorwürfe: Falschbeurkundung und Amtsmissbrauchs.
Es geht dabei um eine unglaubliche Geschichte mit gleich mehreren Facetten und Ermittlungssträngen. Einer Geschichte, die auch einen landespolitischen Hintergrund hat. Im Mittelpunkt steht ein Mann, der weit über das Gadertal hinaus bekannt ist: Der Hotelier Paolo Pizzinini (Rosa Alpina).

Das E-Werk

In St. Kassian in der Gemeinde Abtei gab es zwischen dem Fluss Gader und des Umfahrungsstraße jahrzehntelang ein altes Kraftwerk. Bis Anfang der sechziger Jahre hatte das Werk noch Strom produziert. Danach stand das Gebäude einige Jahre leer, bevor es vom Hotel „Rosa Alpina“ von Paolo Pizzinini als Personalunterkunft genutzt wurde.
Diese Unterbringung war nicht ganz rechtens. Denn das E-Werk wurde nie zu Wohnzwecken umgewidmet. Das zeigt auch die Tatsache, dass der Besitzer erst 2011 begonnen hat, ICI bzw. IMU für das Gebäude nachzuzahlen. Vorher wurde dieses „Wohnhaus“ von Pizzinini und von der Gemeinde ganz einfach „vergessen“.
Doch 2010 plant Paolo Pizzinini ein neue Hotel- und Apartmentanlage in St. Kassian einige hundert Meter vom ehemaligen Kraftwerk entfernt, oberhalb der Umfahrungsstraße zu errichten. Dazu fasst der Unternehmer mehrere – urbanistisch und rechtlich umstrittene - Kubaturen zusammen, die er für den Neubau verlegen will (siehe nebenstehendes Rendering). Eine dieser Kubaturen, die für die Errichtung des neuen Wohnkomplexes mit mehreren Häusern, gebraucht wird, ist jene des alten Kraftwerks. 

Am 13. Oktober 2010 erlässt die Gemeinde die Baukonzession 168/2010 für den Abbruch, den Wiederaufbau und die Verlegung der Kraftwerkskubatur. Am 28. Oktober 2010 meldet Paolo Pizzinini gleichzeitig den Beginn und den Abschluss der Arbeiten bei der Gemeinde Abtei. An einem halben Tag wird das ehemalige Kraftwerk abgerissen. Warum man hier besondere Eile an den Tag legt, wird erst später klar.

Erfundene Kubatur

Eine Grundvoraussetzung für die Erweiterung und Verlegung der Kubatur ist laut Raumordnungsgesetz ein Bestand von mindestens 300 Kubikmetern. Ansonsten kann man diese Bestimmung nicht Anspruch nehmen. Pizzininis Projektanten – allen vor an Geometer Giovanni Call – bescheinigen, dass das abgebrochene Kraftwerk eine Kubatur von mehr als 300 Kubikmetern hat.
Der Plan des Hoteliers ist einfach. Die Kraftwerksintern wird – nach dem Gesetz - um 850 Kubikmetern erweitert, zudem erhält Pizzinini einen Kubaturbonus für die energetische Sanierung. So werden am Ende aus dem ehemaligen Kraftwerk 1027,22 Kubikmeter, die der Hotelier derzeit an der neuen Stelle verbaut. 
Bereits in der Genehmigungsphase taucht aber ein Problem auf. Der Sachverständige des Landes in der Abteier Baukommission, Marcello De Biasi, zweifelt die Bestandskubatur des alten Kraftwerks an. Nicht ohne Grund.


Architekt De Biasi legt in der Baukommission einen Teilungsplan vor, der 2010 im Auftrag von Paolo Pizzinini von dessen Architekten für die Grundstücke rund um das ehemalige Kraftwerk gemacht wurde. Im Teilungsplan sind auch elektronische Messpunkte der vorhandenen Gebäude enthalten. Damit kann man ganz genau und ohne Zweifel nachmessen – auch dann wenn das Gebäude nicht mehr steht – welche Maße das Haus ursprünglich hatte. Anhand dieser Messung kommt aber heraus, dass Pizzinini Kraftwerk weniger als 300 Kubikmeter Kubatur hatte. Der Umkehrschuss: Die Kubatur kann damit aber weder erweitert noch verlegt werden.
Nachdem der Landessachverständiger diese Problematik aufwirft, muss die Gemeinde reagieren. Die Baukommission verlangt eine gerichtlich, beeidete Erklärung des Projektanten. Am 25. November 2011 beeidet Geometer Giovanni Call vor dem Kanzleibeamten des Landesgerichts Bozen, dass die Kubatur das ehemaligen Pizzinini-Kraftwerk 311,22 Kubikmeter war.
Daraufhin erlässt die Gemeinde die Baukonzession und Paolo Pizzinini kann die Kubatur verlegen, erweitern und wiederaufbauen. So entsteht eine neue und lukrative Wohnanlage.

Unbequemer Architekt

Inzwischen passiert aber etwas, das zeigt wie Südtirols Raumordnungspolitik jahrelang funktioniert hat.
Marcello De Biasi gilt als absolut, versierter und seriöser Urbanistikfachmann. Der in Bozen lebende, freischaffende ladinische Architekt wird bereits 2005 vom Land in die Baukommission von Abtei entstand. Als es 2009 frühzeitig zum Bürgermeisterwechsel kommt und auf Ugo Dorigo, Giacomo Frenademez folgt, ersucht der neue Bürgermeister das Land De Biasi in der Baukommission zu bestätigen.
Weil vor allem die Architektenkammer aber auf eine gewisse Rotation besteht, schlägt der zuständige Abteilungsleiter des Landes Anton Aschbacher eine einfache Lösung vor. Karl Comploj, er ist Partner in De Biasis Architekturstudio, wird als Mitglied der Abteier Baukommission ernannt, De Biasi als Ersatzmitglied. Das Ersatzmitglied geht dann einfach zu den meisten Sitzungen. Es ist eine Praxis, die nicht nur vom Gesetz erlaubt ist, sondern auch heute noch in vielen Südtiroler Gemeinden so praktiziert wird.
Marcello De Biasis Genauigkeit und sein Fachwissen ist einigen Gadertaler Spekulanten aber ein Dorn im Auge. Man weiß, dass der Hotelier Paolo Pizzinini beste Kontakte zur Landespolitik und darüber hinaus hat. Der Zufall will es, dass genau in dem Moment als Marcello De Biasi, seine Bedenken gegen die Kubaturverlegung des bekannten Hoteliers vorbringt, plötzlich Michl Laimer auf den Plan tritt.

Laimers Handstreich

Am 14. Juli 2011 teilt Michl Laimer der Gemeinde Abtei mit einem Schreiben mit, „dass das Prinzip für die Teilnahme an den Sitzungen der Gemeindebaukommission missachtet wurde, und zwar dass das effektive Mitglied, Arch. Comploj Karl, an den Sitzungen niemals teilgenommen hat, sondern das Ersatzmitglied, Arch. De Biasi Marcello, wobei die ursprünglich vorgenommene Ernennung seitens der Landesverwaltung für die jeweiligen Kompetenzen der Landessachverständigen missachtet wurde“.
Der Urbanistiklandesrat tut dann etwas, was kaum vorher in Südtirol vorgekommen ist. Das Land tauscht von Amtswegen seine beiden Sachverständigen aus. Architekt Ralf Dejaco wird als effektives Mitglied und Architekt Walter Werner Franz als Ersatzmitglied ernannt.
Marcello De Biasi ersucht daraufhin um eine Aussprache bei Michl Laimer. Zu der es zwar kommt, aber ohne Ergebnis. „Er hat mich ausgelacht“, erinnert sich der Architekt.

Wie weit Michl Laimer in seiner Intervention aber geht, wird deutlich, wenn man weiß, dass der SVP-Politiker ganz bewusst eine ungesetzlichen Akt setzt. Laut Landesgesetz muss die Baukommission nach dem Sprachgruppenverhältnis zusammengesetzt sein. In der Gemeinde Abtei sind das neun Ladiner und ein Italiener. Ralf Dejaco und Architekt Walter Werner Franz gehören aber der deutschen Sprachgruppe an. Ein klarer Gesetzesverstoß.
Der Abteier Gemeinderat beschließt deshalb am 16. September 2011 Michl Laimer „eine Mitteilung zukommen zu lassen, mit Ersichtlichmachung, dass wohl die neue Ernennung zur Kenntnis genommen wurde, jedoch das Gesetz über die Zusammensetzung der Gemeindekommissionen verletzt wurde, aufgrund der Vertretung der Sprachgruppen im Gemeinderat.
Laimer und das Land antworten darauf nicht einmal.

Die Ermittlungen

Nach einer Eingabe beginnt 2012 die Staatsanwaltschaft Bozen in diesem Fall zu ermitteln. Nachdem man die Dokumente in der Gemeinde Abtei beschlagnahmt hat und mehrere Zeugen anhört, wird klar, dass hier ein Strafbestand gegeben ist. Im Herbst 2013 wird ein Gerichtssachverständiger eingesetzt, der die ursprüngliche Kubatur überprüfen soll. Dieser Fachmann kommt in seinem Gutachten zum Schluss, dass die Kubatur das Kraftwerks unter 300 Kubikmetern lag. Damit aber ist nicht nur die gesamte Immobilienoperation nicht rechtens, sondern Giovanni Call hat unter Eid auch eine Falscherklärung abgeliefert. Bürgermeister Giacomo Frenademez wird Amtsmissbrauch und Unterlassung vorgeworfen.
Gegen den Nutznießer der Aktion Paolo Pizzinini gibt es zwar Vorermittlungen, doch der Hotelier hat keine strafbare Handlungen gesetzt. Staatsanwalt Giancarlo Bramante dürfte nach der gesetzlich vorgesehenen Frist, die den Beschuldigten für Gegenäußerungen bleibt, die Einleitung des Hauptverfahrens nur gegen Call und Frenademez beantragen. Nach Informationen von salto.bz arbeiten die Anwälte bereits auf einen gerichtliche Vergleich hin.
Die Ermittlungen haben aber auch bestätigt, dass die Austauchschaktion von Michl Laimer gesetzeswidrig war und die Gemeinde Abtei seit drei Jahren eine Baukommission hat, die nicht legal zusammengesetzt ist. Konkret: Der Landessachverständige muss der ladinischen Sprachgruppe angehören.
Die Gemeinde Abtei hat jetzt reagieren müssen. Diese Woche hat man per Schreiben an den neuen Landesrat Arnold Schuler die Ernennung eines ladinischen Sachverständigen für die Baukommission ersucht.