Politik | Wahlen/Elezioni 23

Die rechte Grüne?

Die Abgeordnete der Süd-Tiroler Freiheit Myriam Atz Tammerle fordert mehr Sicherheit, kritisiert die fehlende Zusammenarbeit im Landtag und philosophiert über Migration und Nachhaltigkeit.
Myriam Atz Tammerle
Foto: privat
  • SALTO: Frau Atz Tammerle, wieso sind Sie Mitglied einer Rechts-Außen-Partei?

    Myriam Atz Tammerle: Wer sagt, dass die Süd-Tiroler Freiheit rechts außen ist? Jene Ziele, die wir als Partei verfolgen, waren die ursprünglichen Ziele der Südtiroler Volkspartei (SVP). Dazumal ist es um die Selbstbestimmung und um die Freiheit Südtirols gegangen, vor allem aber auch darum, sich um die Menschen der deutschen und ladinischen Bevölkerung einzusetzen. Das Selbstbestimmungsrecht ist in Europa eigentlich ein typisch linkes Thema, bei uns wird es immer in die rechte Ecke geschoben. Es ist Ansichtssache, aus welchem Standpunkt es betrachtet wird. Im Grunde genommen geht es um ein Menschenrecht, denn es wurde den Menschen in Südtirol noch nicht ermöglicht, selbst darüber abzustimmen, unter welchem Staat sie überhaupt leben wollen oder ob sie lieber als selbstständige Einheit leben möchten. 

    Es würde uns allen guttun, demütiger zu sein und wieder ein wenig mehr auf Minimalismus zu setzen. 

    Wie stehen Sie zum geplanten Abschiebezentrum in Südtirol?

    Ich sehe es kritisch, weil die Menschen nur für einen bestimmten Zeitraum ins Abschiebezentrum kommen. Wenn die Herkunft nicht geklärt werden konnte, wohin soll der Mensch dann abgeschoben werden? Viele haben bei ihrer Ankunft in Italien keinen Identitätsnachweis bei sich und das Herkunftsland bleibt unbekannt. Wenn sie nicht ausgeflogen werden, dann kommen sie wieder frei, da sie laut Gesetz maximal 180 Tage dort bleiben. Also holen wir noch mehr Menschen nach Südtirol, die zuerst ins Abschiebezentrum gebracht werden, weil sie irgendwo gegen das Gesetz verstoßen haben, und danach hier auf freien Fuß kommen. 

    Hat Südtirol im öffentlichen Raum ein Sicherheitsproblem?

    Absolut. Wenn man die Nachrichten hört und liest, dann kann man wahrnehmen, dass einzelne Kriminaldelikte mittlerweile täglich, zurzeit sogar mehrmals am Tag, zu verzeichnen sind. Es ist ein reales Problem. Es geht nicht nur darum, ob man das selbst als Partei aufgreift oder nicht. Es geht viel mehr darum, dass sich Menschen nicht mehr sicher fühlen, beispielsweise beim Ausgehen abends in den Stadtzentren. Frauen jeden Alters fürchten sich, abends alleine nach Hause zu gehen. Diese Besorgnis ist begründet, das ist keine eingebildete Angst. Wenn auch auf offener Straße am helllichten Tag Überfälle stattfinden und Einbrüche in den eigenen vier Wände zunehmen, dann haben wir ein massives Sicherheitsproblem. 

  • Myriam Atz Tammerle: „Junge Menschen sind anders gestrickt und ich finde das gut.“ Foto: Süd-Tiroler Freiheit

    Ist es die einzige Lösung, wie es derzeit auf Ihren Plakaten zu sehen ist, kriminelle Ausländer abzuschieben?

    Es ist eine von mehreren Lösungen. Wenn Menschen gegen Gesetze verstoßen und anderen Schaden zufügen, egal mit welcher Hautfarbe, egal welcher Religions- oder Sprachzugehörigkeit, dann muss das hart und konsequent bestraft werden. Wie wir kürzlich vorgeschlagen haben, könnte das Modell von Linz auch in Südtirol zur Anwendung kommen. Dort zeigt ein polizeilicher Sicherheitsdienst verstärkt Präsenz, die abschreckende Wirkung ist durch die sinkende Zahl der Kriminaldelikte bereits bewiesen.

    Sie gehen also davon aus, dass die steigende Kriminalität mit Migration zu erklären ist.

    Aus den uns vorliegenden Daten der Polizei geht klar hervor, dass die meisten Kriminaldelikte im öffentlichen Raum auf Ausländer zurückgehen. Grundsätzlich gilt es, jede Gewalt abzulehnen. Die Zahlen zeigen beispielsweise auch, dass häusliche Gewalt eher von Einheimischen begangen wird. 

  • Wenn wir über Gewalt sprechen, müssten wir ehrlicherweise auch eingestehen, dass die EU mit Ländern wie Libyen kooperiert, wo Flüchtlinge in Lagern gefangen gehalten und misshandelt werden. 

    Natürlich müssen die Partner der EU dafür Sorge tragen, dass die Menschenwürde geachtet wird, das liegt aber im Zuständigkeitsbereich der EU. Das können wir als kleine Partei oder auch ich als Südtiroler Abgeordnete ganz sicher nicht bewirken. 

    Tragen wir aber als Konsumenten nicht auch Verantwortung für die Ausbeutung von Ländern des globalen Südens, etwa in Afrika? 

    Kriegsflüchtlingen muss Asyl geboten werden, das steht für mich nicht in Zweifel. Wenn es um Wirtschaftsflüchtlinge geht, müssen wir uns die Frage stellen, wie wir vor Ort mit Projekten helfen können, um Fluchtursachen zu bekämpfen. Europa kann nicht alle aufnehmen und in den Herkunftsländern stirbt das Leben, wenn alle flüchten.

    Die Süd-Tiroler Freiheit bietet mit unseren Tiroler Werten jungen Menschen eine Verwurzelung an. 

    Sie haben meine Frage nicht beantwortet. 

    Um auf Ihre Frage zurückzukommen, meine Antwort ist ganz klar ja. Fragen wir uns, wie wir uns kleiden, auf welchem hohen Standard wir leben. Es würde uns allen guttun, demütiger zu sein und wieder ein wenig mehr auf Minimalismus zu setzen. Wir müssen uns damit beschäftigen, wo und wie Lebensmittel, Kleider und andere Güter hergestellt werden. Es braucht Kreisläufe, die weder Menschen noch die Natur ausbeuten. Eigentlich müssten biologische und fair gehandelte Produkte der Standard sein und auch zu günstigeren Preisen angeboten werden. Natürliche Produkte sind außerdem gesünder für unseren Körper. Verlieren wir derzeit nicht selbst die Verbindung zum Natürlichen, zur Erdung, zur Natur und zum natürlichen Menschsein? 

    Sie stellen hier sehr philosophische Fragen. 

    Wir müssen – und ich verwende ganz bewusst das Wort ‚müssen‘ – in diesem Bereich sensibler und bewusster werden. Nur Aufklärung und Informationen können zu einem Wandel führen, um unser Konsumverhalten bewusst zu ändern, beispielsweise, wie schaut es bei uns mit kleinen, lokalen Kreisläufen aus und wen unterstützt man dadurch? 

  • Landesversammlung der Partei im Schloss Maretsch: Die Süd-Tiroler Freiheit zählt derzeit 4.900 Mitglieder. Foto: Süd-Tiroler Freiheit
  • Sie sind bereits seit zwei Legislaturperioden im Landtag. Wie beurteilen Sie die Politik sozusagen als Insiderin?

    Die Politik ist der Spiegel der Gesellschaft und das merkt man. In der vorigen Legislaturperiode gab es zwischen den Abgeordneten im Südtiroler Landtag mehr Menschlichkeit und Kollegialität. In dieser Legislaturperiode war hingegen spürbar, dass einige sehr auf die eigenen Empfindlichkeiten achten. Das hat dazu geführt, dass aneinander vorbei gearbeitet und das Prinzip des Volksvertreters nicht gewahrt wurde. Es muss um die Anliegen der Menschen gehen und nicht um die eigenen. Ich hoffe, dass die Wahlen am Sonntag einen Wandel bringen. Die Politik muss sich den Anliegen und Bedürfnissen der Menschen anpassen und nicht umgekehrt.

    Viele halten diesen Druck nicht aus und zerbrechen daran. 

    Welche Themen wollen Sie in der nächsten Legislaturperiode weiterbringen?

    Menschen werden immer mehr in Rollen gezwängt, welche sie immer mehr von ihrem natürlichen und individuellen Menschsein entfernen. Viele halten diesen Druck nicht aus und zerbrechen daran. Die Suizid-Fälle steigen und besonders viele junge Menschen und auch Frauen müssen psychologische Dienste in Anspruch nehmen. Es braucht einen politischen und gesellschaftlichen Wandel, damit der Mensch wieder ganzheitlicher gesehen wird – nicht nur als physische Person, die funktionieren muss und keine eigenen Bedürfnisse oder Emotionen haben darf. Viele junge Menschen spüren, dass das nicht der Weg für die Zukunft ist. Nun geht es darum, dass Gesellschaft und Politik diesen Wandel unterstützen. 

    Wie sehen Sie die jungen Generationen?

    Junge Menschen sind anders gestrickt und ich finde das gut. Viele sehnen sich nach anderen, tieferen Werten, die sich nicht nur an Materiellem orientieren, sondern auch an zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie wollen später nicht eine 50-Stunden-Woche mit wenig Zeit für Familie und Freizeit haben, mittleren Alters ausgelaugt sein, krank werden und es möglicherweise nicht mal bis zur Rente überleben, wenn man überhaupt noch eine Rente bekommt. Man will jetzt schon etwas vom Leben haben und nicht alles auf später verschieben. Die Süd-Tiroler Freiheit bietet mit unseren Tiroler Werten jungen Menschen eine Verwurzelung an. Das Fundament ist wichtig fürs Leben. Und nur weil ich für meine Sprache, Kultur und Religion bin, heißt das nicht, dass ich gegen etwas Anderes bin. Umso mehr ich gefestigt bin, desto leichter kann ich anderen Kulturen offen gegenüberstehen – in Südtirol und weltweit. 

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Andreas Inama Mo., 16.10.2023 - 17:12

Bei aller berechtigten Kritik an der Süd-Tiroler Freiheit, aber sie als "rechtsaußen" zu bezeichnen, geht jetzt schon ein bisschen zu weit. Rechts-konservativ ok - sie aber auf eine Stufe mit z. B. AFD oder FPÖ zu stellen und sie mit einem Label zu versehen, dessen nächster Schritt rechtsextrem wäre, ist für meinen Geschmack etwas übers Ziel hinaus geschossen. Hier sollte man schon etwas Fingerspitzengefühl walten lassen, zumal der Begriff "rechtsaußen" gewisse Assoziationen bei Lesenden hervorruft, die hier nicht zutreffen.

Mo., 16.10.2023 - 17:12 Permalink
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Martin Ancient Di., 17.10.2023 - 10:02

Grundsätzlich richtig, aber eine Partei, die ja offen die Kooperation mit der FPÖ sucht, darf dann auch mit dieser gleichgestellt werden. Und das viel kritisierte Plakatmotiv erwartet man halt dann doch eher von einer rechtsextremen Partei - die STF hat sich selbst in diese Ecke gestellt, auch wenn ich sie persönlich einfach nur für reaktionär halte, mit einer offenkundig sehr starker rechten Schlagseite. --> https://salto.bz/de/article/13102023/schutzmacht-oesterreich

Di., 17.10.2023 - 10:02 Permalink
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Andreas Inama Fr., 27.10.2023 - 10:06

Antwort auf von Martin Ancient

Ich glaube mit reaktionär haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich denke, dass man sich mit Migration auf ein Thema eingelassen hat, von dem man sich viel versprochen hat, und man hat die Wette gewonnen (im Gegensatz zu den Freiheitlichen vor ein paar Jahren, die ja genau mit diesem Ansatz 2018 ordentlich eingebüßt haben). Grundsätzlich kann man Ihren Kommentar zu 100 % unterschreiben.

Fr., 27.10.2023 - 10:06 Permalink
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Manfred Klotz Mi., 18.10.2023 - 07:01

180 Tage? Bis zu 18 Monate verbleiben sie in den Abschiebezentren. Atz-Tammerle kennt nicht einmal die gesetzlichen Grundlagen und muss ihren Senf dazugeben.

Mi., 18.10.2023 - 07:01 Permalink