Kultur | Theater

Lagergeschichten

Das Theater in der Altstadt in Meran zeigt Flora Sarrubbos Stück "L'Armadio . Die Schande" zum (Über-)Leben im Lager Bozen. Eine (für die lokale Theaterwelt) längst fällige Aufarbeitung.
Theater in der Altstadt
Foto: Theater in der Altstadt
  • Vor knapp 30 Jahren wurde im Palazzo Cesi-Gaddi in der Via degli Acquasparta in Rom ein Schrank mit Ermittlungsakten aus der Zeit des Zweiten Weltkrieg gefunden, mit fast 700 Akten und mit einem Register mit über 2000 Berichten zu Straftaten, die während des Italienfeldzugs (1943-1945) von nazifaschistischen Truppen auf italienischem Gebiet begangen wurden. Auch reichlich Bozner Geschichte wurde im "Schrank der Schande" gefunden, wie Aufzeichnungen und Dokumente zum Durchgangslager in der Reschenstraße belegen. Der lange uneinsehbare Schrank ist wesentliches (und durchschaubares) Möbel, sowie Motiv im Stück L'Armadio. Die Schande. Er steht unschuldig auf der Kleinkunstbühne im Theater in der Altstadt in Meran und ist gleichermaßen Mahnmal für Schuldige und Beschuldigte. Die Bühne im durchwegs zweisprachigen(!) Stück teilen sich Diletta La Rosa, Dietmar Gamper, Brigitte Knapp, Stefan Marcello, Johanna Porcheddu und Paolo Tosin. Schauspielerin Christina Khuen besorgte die Ausstattung, Schauspielerin Flora Sarrubbo die Regie. 

  • Akribische Archivarbeit: Schauspielerin Johanna Porcheddu macht sich im Stück auf die Suche nach der Wahrheit. Foto: Theater in der Altstadt
  • Das Ergebnis der Geschichtsaufarbeitung im Theater ist durch die zahlreichen historisch belegbaren Textpassagen demensprechend deprimierend. Eigentlich wäre das Stück in Vorwahlzeiten wie gemacht für die vielen Rechts-Parteien und ihre Wählerinnen und Wähler im Land. Sie sitzen aber nicht im Publikum, sondern lassen sich lieber von seichter TV-Kost berieseln oder lallen rechte Parolen am Stammtisch (oder schreiben sie sogar auf Facebook). L'Armadio. Die Schande ist nicht nur ein starkes Stück „Gegen das Vergessen“ lokaler Lagergeschichte, es ist – trotz aller Brutalität der damaligen Geschehnisse –, in seiner subtilen Inszenierung, Geschichtsaufarbeitung für eine aufgeschlossene Generation, die zusehen, zuhören und aufdecken will, was der Mantel des Schweigens jahrzehntelang zudeckte.
     

    Es gibt nicht viel zu lachen, aber es ist eine große Freude, wenn sich Theaterkunst an solche Stoffe heranwagt und sie unter die Südtiroler*innen bringt, die ja gern so tun, als wüssten sie, was gewesen ist, dann auf Nachfrage aber meistens den Kopf einziehen, als wären sie Andreotti.


    Interniert wurden im Bozner Lager politische Gegner, Juden, Roma, Sinti, Zeugen Jehovas sowie Südtiroler Deserteure der Wehrmacht und ihre Familien. An die 3.500 Menschen wurden von Bozen aus in Vernichtungslager gebracht, andere leisteten Zwangsarbeit. Die Dokumentation des Lagers wurde – während des Vormarschs der alliierten Truppen – von der SS vernichtet. Der Militärstaatsanwalt Antonino Intelisano war es, der den Schrank der Schande verschlossen und mit der Tür zur Wand 1994 vorfand. Plötzlich kamen sämtliche vertuschte Gräueltaten ans Tageslicht. Auch jene aus Bozen. Die Bozner Historikerin Carla Giacomozzi hat dazu Ende der 1990er Jahre, Anfang der 2000er Jahre, wichtige Arbeit geleistet und zahlreiche Publikationen vorgelegt, auf die die aktuelle Bühnenfassung zurückgreifen konnte. 
    Das Stück L'Armadio. Die Schande kommt nicht gleich in die Gänge, rund 10 Minuten mäandert es im Halbrund des Theatersaales, doch dann zieht es das Publikum in den abgrundtiefen Schlund der Geschichte, Täter und Opfer, Nachkriegsschweiger und Wissbegierige wechseln sich ab. Es gibt nicht viel zu lachen, aber es ist eine große Freude, wenn sich Theaterkunst an solche Stoffe heranwagt und sie unter die Südtiroler*innen bringt, die ja gern so tun, als wüssten sie, was gewesen ist, dann auf Nachfrage aber meistens den Kopf einziehen, als wären sie Andreotti. 
    In L'Armadio. Die Schande überwiegt neben einer aufrichtigen Widerstandsgeschichte einer Kämpferin vor allem viel Scheinheiligkeit. Am Ende gibt es verdienten und ehrlichen Applaus für die dokumentarhistorisch wichtige und natürlich die überzeugende schauspielerische Leistung. Auf dass wir nie aufhören mögen, aus Geschichte zu lernen. 

  • Zeitnahe Zeitgeschichte: Am Ende des Stücks von Flora Sarubbo hat sogar Giulio Andreotti einen wenig ruhmvollen Auftritt und bezieht wirr Stellung zu möglichen Verschleierungsversuchen.  Foto: Theater in der Altstadt
  • Weitere Termine

    Mi. 18.10.2023, 20:00 Uhr
    Fr. 20.10.2023, 20:00 Uhr
    So. 22.10.2023, 18:00 Uhr
    Do. 26.10.2023, 20:00 Uhr
    Fr. 27.10.2023, 20:00 Uhr