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Politik | Koalitionsabkommen

Nagelprobe für den Klimaschutz

Wenn das neue Koalitionsabkommen zum Regierungsprogramm wird, wird LH Kompatscher bei einem seiner zentralen Anliegen eingebremst: echter Klimaschutz wird abgespeckt.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Koalition
Foto: Seehauserfoto
  • „Die Reduktion von Tätigkeiten und Verhaltensweisen, welche direkt und indirekt zur Emission von Treibhausgasen führen, oder die Steigerung der Effizienz von Transformationsprozessen und in der Energienutzung, um dadurch Emissionen zu senken“ ist eine der Hauptstrategien des Südtiroler Klimaplans (S. 14). Dann folgen weitere 4 Hauptstrategien auf dem Weg zu einer klimaneutralen Gesellschaft. Wenn man das am 10.1.2024 besiegelte Koalitionsabkommen der 5 Parteien durch die Brille des Klimaschutzes lesen möchte, kann es genügen, diesen Satz als Messlatte für die vielen Programmpunkte anzulegen. Wird dieses Programm tatsächlich emissionsintensive Tätigkeiten senken und den Klimaplan ernst nehmen? Hier 10 Beispiele aus dem Abkommen, die daran zweifeln lassen.

    1. Die Handlungsanleitung für sämtliche Bereiche des politischen Handelns bildet die eher allgemeine Nachhaltigkeitsstrategie des Landes (S.2), nicht der Klimaplan mit seinen 157 Maßnahmen, der fast nirgends zitiert wird. Der Klimaplan soll zwar weiterentwickelt werden, wird aber zu einer Art „work in progress“, was seine Verbindlichkeit weiter schwächt.

    2. Im Text selbst bekennen sich die Parteien nicht etwa zum Pariser Klimaschutzabkommen, zum EU-Klimaschutzgesetz oder zum nationalen Klimaplan, sondern? Zum Holz. Wörtlich: „Die Koalitionspartner bekennen sich zur Verwendung von Holz und Biomasse als Energieträger als Teil der Nachhaltigkeitsstrategie“ (S.38). Der Klimaschutz als Holzweg sozusagen.

    3. Zu begrüßen die Absichtserklärung zur A22: "Mit dem Übergang der Konzession für die A22 muss auch die Anpassung. der Maut für den Schwerverkehr erfolgen, damit die Preisschere zu anderen Alpenübergängen geschlossen wird" (S.40). Doch das Land ist heute schon Mit-Konzessionär der A22 und Mauterhöhungen für alle Fahrzeuge hätten längst schon vorgenommen werden müssen. Auch in Sachen NO2-Belastung längs der A22 gibt es eine Verzögerungstaktik. Als ob man nicht längst wüsste, dass die Grenzwerte überschritten werden, soll zunächst noch die Datenbasis verdichtet und die Bevölkerung befragt werden.

    4. Wie ein wirtschaftsliberaler Slogan kommt der Satz daher: „Die Landesregierung verfolgt den Ansatz der Angebotspolitik statt Verbotspolitik, was die Mobilitätswende betrifft“ (S.44). Doch auch: „Die Mobilitätspolitik wird sich weiterhin an den Handlungssträngen ‚Verkehr vermeiden, Verkehr verlagern, Verkehr verbessern‘ orientieren“. Will man dies erreichen, kommt man um Verbote und neue Regulierung gar nicht herum. Wie z.B. soll mehr Güterverkehr auf die Schiene, wenn nicht mit Regulierung ähnlich wie in der Schweiz geschehen? Wie will man den motorisierten Individualverkehr um 30% senken, wenn nicht mit Beschränkungen?

    5. Städtische und außerstädtische Aufstiegsanlagen in strukturschwachen Gebieten sind weiter zu fördern, sieht das Abkommen vor. Welche städtische Aufstiegsanlage in welchem strukturschwachen Gebiet steht denn zur Förderung an? In Laurein? Oder in St. Ulrich? „Strukturschwäche“ muss als Argument herhalten, um mehr Steuergeld in den Ausbau von Skigebieten zu stecken.

    6. Im Teil Wirtschaft und Landwirtschaft (Punkt 20) fordert die Koalition einerseits weniger Bürokratie und mehr Steuerentlastung, andererseits gezielte Förderung; also mehr Geld, aber weniger Auflagen. Vorgesehen sind „ein oder mehrere Fonds zur Finanzierung von strategischen Investitionen und Infrastrukturen“, ohne jegliche Bezugnahme auf Energiewende und Klimaschutz.

    7. Auf S. 47 spricht das Dokument den „Umbruch des Klimawandels an mit mehr Wirtschaft im Kreislauf“. Grundsätzlich richtig, doch dient „Kreislauf“ als leere Formel, weil zwei Seiten weiter „mehr Internationalisierung und Exportförderung“ verlang wird, zum anderen Landwirtschaft, Hotellerie und Bauwirtschaft in höchstem Maß von außen abhängen. Wenn diese Branchen weiter wesentlich wachsen, wird sogar noch mehr fossile Energie, Rohstoffe und Baumaterial importiert als bisher, und alles andere als eine regionale Kreislaufwirtschaft gefördert.

    8. Keine Rede, nein, kein Buchstabe zur Durchforstung der Subventionen des Landes auf Klimaverträglichkeit oder den Abbau jener Landesbeiträge, die direkt den Einsatz fossiler Energie fördern.

    9. Keine Rede im Koalitionsprogramm von einer quantitativen Begrenzung des Tourismus und strikteren Anwendung des Bettenstopps, ganz im Gegenteil: die millionenschwere IDM bleibt voll aufrecht; es wird eine Besucherstromlenkung, keine Begrenzung geben; die Tourismussaisonen sollen zeitlich gestreckt werden, neue Märkte sollen erschlossen werden und ein Novum: die „Tourismusgesinnung“ in der Bevölkerung soll mit Mitteln der Ortstaxe gestärkt werden.

    10. Bei der Landwirtschaft wird auf jeden Bezug und jeden Beitrag dieser Branche zum Klimaschutz verzichtet. Ein ganzer Wirtschaftszweig wird von der Mitverantwortung für den Klimaschutz sozusagen entbunden.

    Dass es von einem Landes-Klimaschutzgesetz zur verbindlichen Verankerung der wesentlichen Ziele des Klimaplans keine Spur gibt, braucht an diesem Punkt niemanden zu wundern. Für die Umsetzung des Klimaplans in der heutigen Fassung ist dieses Koalitionsabkommens zu dürftig, zu vage, keine echte Grundlage. LH Kompatscher steht am Beginn dieser Legislatur vor dem Dilemma: kann er eines seiner zentralen Anliegen trotz Desinteresse und Widerstand der Koalitionspartner weiterbetreiben, oder wird sich der Klimaschutz in vagen Formeln der Nachhaltigkeitsrhetorik auflösen?

    Doch für alle, ob jung oder alt, die sich den Klimaschutz zu Herzen nehmen, hält das Koalitionsabkommen unter Punkt 11 einen Trost bereit, nämlich die „Prüfung der Voraussetzungen für die Errichtung eines neuen Naturmuseums No Planet B Center auf dem heutigen Gefängnisareal in Bozen", vielleicht ganz nach dem Motto: Wenn wir schon den Klimaschutz nicht hinkriegen, soll die Nachwelt zumindest im Museum bestaunen, was es früher in der Natur vor Klimawandel und Biodiversitätskrise gegeben hat.

     

     

     

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Salto User
wartl Fr., 12.01.2024 - 21:14

Überall das gleiche Einknicken vor den Interessen der Besitzstandswahrer (letzteres ist ein Kampfbegriff aus 2003 - ursprünglich verwendet von der Regierung Schüssel, gut gekontert vom Philosophen Konrad Paul Liessmann).

Fr., 12.01.2024 - 21:14 Permalink
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Franz Pattis Sa., 13.01.2024 - 15:10

Man hat ja bereits während den Koalitionsverhandlungen gesehen welchen Stellenwert der Klima- bzw. Umweltschutz einnimmt. Erst zum Schluss wurde über dieses Thema überhaupt gesprochen und in der Umwelt-Arbeitsgruppe saß kein Geringerer als der ex-Bürgermeister von Lana bzw. Harald Stauder. Dieser Herr hat ja immer das mit 12.000 Euro öffentlichen Geldern finanzierte Feuerwerk in seiner Gemeinde vehement verteidigt. Dabei verursachen ja gerade Feuerwerke gewaltige Luftverschmutzungen und stressen Tiere stark!!

Sa., 13.01.2024 - 15:10 Permalink
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Salto User
Martin Brugger Sa., 13.01.2024 - 19:26

Ich würde das, was Thomas Benedikter hier in 10 bzw. 11 Punkten zu bedenken gibt, als kostenlose Orientierungs-Expertise zum Klimaschutz für politische Entscheidungsträger bezeichnen.

Sa., 13.01.2024 - 19:26 Permalink
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Franz Pattis So., 14.01.2024 - 19:12

Antwort auf von nobody

Erlaube mir ein Südtiroler Beispiel dafür zu nennen: die Firma Progress will einen sehr wertvollen CO2 Speicher bzw. den Auwald in der Brixner Industriezone für ihr neues Betriebsgebäude roden. Dies obwohl in unmittelbarer Nähe zwei riesige Leerstände vorhanden sind:
1. die sehr große Freifläche vor der Firma Alupress wo früher mal ein Holzhandel war.
2. das riesige ex Holz Magagna Gelände das schon über drei Jahre leer steht.
Frage dazu: kann nicht laut neuen Raumordnungsgesetz von 2018 Industriegelände von der öffentlichen Hand enteignet werden, wenn dieses mehr als zwei Jahre prach liegt und nachfolgend einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden?!

So., 14.01.2024 - 19:12 Permalink
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Franz Pattis Fr., 19.01.2024 - 11:31

Antwort auf von Am Pere

Sehr geehrter Herr „Am Pere“,
nehmen Sie sich bitte die Zeit folgenden Salto Artikel durchzulesen und vielleicht verstehen Sie mich dann besser.
Danke im Voraus!
https://salto.bz/en/article/08092022/greenwashing-made-brixen
Und hier sollten sie kein Salto Abo haben:
https://www.dropbox.com/scl/fi/kjhb025cfhk937rvwemn9/Greenwashing-made-…

Fr., 19.01.2024 - 11:31 Permalink
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Josef Fulterer Sa., 13.01.2024 - 22:33

Die WELT wird vom schwerem Fieber, zu punktuellen Starkregen bis über 200 mm in 24 Stunden gezwungen!
Hagelschläge werden Lebens-bedrohend!
Die Gletscher bluten aus!
Pherma-Frost-gebundene Berghänge stürzen ab!
Der Meeres-Spiegel ist bereits 250 mm gestiegen + bedroht mit den zunehmend bedrohlicheren Orkanen, weite Küsten-Gebiete!
Das Wasser in den Meeren + Seeen + die Luft darüber ist zu warm!
Zu warme Luft nimmt mehr Wasserdampf auf, der für die 2- bis 3fache Rückstrahlung wie CO2, aus dem Klima-Schirm wirkt!
Der Nordpool ist im Sommer Eis-frei und der Südpool baut rapid ab!

Sa., 13.01.2024 - 22:33 Permalink
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Martin Daniel Do., 18.01.2024 - 12:49

Lieber Thomas, dir ist in allen Punkten zuzustimmen! Bis auf einen Zweifel, der sich mir in den hintersten Ganglien gegen den Widerstand der rationalen Instanz einschleicht: Ist es als Tatsache anzusehen, dass Klimaschutz "eines seiner zentralen Anliegen" ist? Oder ist halb Südtirol einem großen Bluff aufgesessen?

Do., 18.01.2024 - 12:49 Permalink