Umwelt | Artenvielfalt

„Sinnloses Sterben vermeiden“

Wie menschliches Handeln die Natur beeinflusst, zeigt das Beispiel der Vogelwelt. Benedikt Terzer vom Jagdverband und Johannes Wassermann von der AVK geben Aufschluss.
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Foto: Johannes Wassermann / AVK
Die Umwelt hat sich spätestens seit Beginn der Industrialisierung stark verändert. Wie sich das auf Pflanzen und Tiere auswirkt, zeigt das Beispiel der Vogelwelt in Südtirol. „Es gibt verschiedene Gefährdungsfaktoren, aber der wohl maßgeblichste Faktor ist der Lebensraumverlust. So wie eine Seerose nur in einem Teich existieren kann, können auch viele Tiere, die auf bestimmte Lebensräume spezialisiert sind, nur dort leben“, erklärt Benedikt Terzer, Geschäftsführer des Jagdverbandes.
 
 

Gefährdungsfaktoren

 
Viele Vogelarten stellen besondere Ansprüche an den Lebensraum, etwa der Auerhahn, der Wiedehopf, die Wachtel oder der weizenliebende Fasan. Der Klimawandel verstärkt den Lebensraumverlust und manche Arten flüchten angesichts der höheren Durchschnittstemperaturen in die Höhe. „Die Tiere können aber nicht unbegrenzt nach oben ausweichen, weshalb der Raum irgendwann knapp wird“, so Terzer.
„Ein weiterer Gefährdungsfaktor sind Kollisionen. Es ist bekannt, dass viele Vögel gegen Glasfassaden prallen und dann verenden. Aber auch Stromleitungen und Drahtseile werden Vögeln immer wieder zum Verhängnis“, erklärt Terzer. Johannes Wassermann von der Arbeitsgemeinschaft für Vogelkunde und Vogelschutz Südtirol (AVK) kennt das Problem aus eigener Erfahrung: „Es ist bekannt, dass ich Federn sammle und auch Totfunde annehme. So habe ich ein gutes Gefühl, mit welchen Problemen die Vögel konfrontiert sind.“
 
 
Der Möbelrestaurator begann bereits mit fünf Jahren Vogelfedern zu sammeln, heute schreibt er an einem Bestimmungsbuch. Seitdem in Franzensfeste eine neue Lärmschutzwand mit Glasscheibe neben den Zuggleisen steht, sammelt er an der Stelle regelmäßig leblose Tiere auf. „Dort liegen pro Tag mindestens ein bis zwei tote Vögel, wobei die Dunkelziffer höher ist. Viele verletzen sich, fliegen weiter und fallen dann 100 Meter weiter zu Boden“, so Wassermann.
Darüber hinaus spielt auch die Prädation beim Rückgang der Vogelpopulationen eine Rolle. Ein gutes Beispiel dafür ist der Auerhahn: „Bei dem seit 1984 in Südtirol geschützten Auerhahn hat vor allem der Lebensraumverlust zu einem Rückgang geführt“, so Terzer. Der Auerhahn lebt gerne in lichten Fichtenwäldern mit einer reichhaltigen Bodenvegetation wie beispielsweise Heidelbeeren. Als bodenbrütende Art legt das Auerhuhn seine Eier am Boden ab, wo das Gelege oft zur leichten Beute wird. Laut einer aktuellen Studie, die im Naturpark Paneveggio im Trentino unter der Leitung der Universität Freiburg i.Br. durchgeführt wurde, fressen Marder, Fuchs und Rabenvögel bis zu 70 Prozent der Gelege des Auerwildes. So werden Populationen ohnehin schon gefährdeter Arten weiter dezimiert.
 
 
Wenig überraschend haben auch Hauskatzen einen wesentlichen Einfluss auf die Vogelwelt: „Es ist ein interessanter Konflikt zwischen Tier- und Umweltschützern. Die Tierschützer verteidigen die Katzen, die nichts dafür könnten, die Umweltschützer sind auf die Artenvielfalt bedacht und fordern, dass Katzen weniger Vögel reißen“, so Terzer. Ein Versuch der Schweizer Vogelwarte zeigt nun, dass Hauskatzen mit farbigen Halsbändern und Glöckchen 60 Prozent weniger Vögel erbeuten, weil diese früh genug Reißaus nehmen können. Laut Schätzungen töten freistreunende Katzen in Italien pro Jahr 27 Millionen Vögel.  
„Es ist wichtig, dass Katzen sterilisiert werden. Darum bemühen sich auch die Südtiroler Tierschutzvereine und die Landesverwaltung“, erklärt der Geschäftsführer des Jagdverbandes. In der deutschen Stadt Walldorf in Baden-Württemberg wurde diesen Sommer sogar ein zeitweiser Hausarrest für Katzen verhängt, um die dort lebende, bodenbrütende und gefährdete Haubenlerche zu schützen. Wer dagegen verstieß, musste mit einem Bußgeld von 500 Euro rechnen.
 

Die Bleithematik

 
Der Geschäftsführer des Südtiroler Jagdverbandes äußert sich auch zur Bleithematik: Es ist nachgewiesen, dass Raubvögel an einer Bleivergiftung sterben können, wenn sie zu viele Tierkadaver mit Bleisplittern fressen. Laut Hygienerichtlinien sind Jägerinnen und Jäger dazu verpflichtet, die inneren Organe des erlegten Tieres schnellstmöglich auszuweiden, um die Qualität des Fleisches nicht zu beeinträchtigen. Die Eingeweide werden der Natur überlassen.
„Jahrhundertelang wurde Bleimunition in der Jagd verwendet“, so Terzer. Als in den letzten Jahren bekannt wurde, welche Auswirkungen Bleimunition auf Greifvögel wie Steinadler hat, wurden Alternativen entwickelt. Laut dem Agrar- und Forstbericht des Landes hat sich der Steinadlerbestand in den letzten 20 Jahren erhöht, heute gibt es rund 70 Steinadlerbrutpaare in Südtirol. Und das wohl nicht ohne Grund.
 
 
„Die Südtiroler Jägerschaft nimmt in Italien eine Vorreiterrolle ein, laut einer Studie, die im Alpbionet-Projekt mit Beteiligung des Nationalparks Hohe Tauern und des Naturparks Rieserferner Ahr durchgeführt wurde, haben bereits 44 Prozent der Jäger freiwillig auf eine bleifreie Munition umgestellt“, so Terzer. Zudem muss laut dem Landesjagdgesetz in Nationalparks, in Feucht- und Natura-2000-Gebieten ohnehin bleifreie Munition verwendet werden. Die Herausforderung bei der Umstellung auf bleifreie Geschoss sei, dass für jede Büchse eine individuell abgestimmte Munition gefunden werden muss. Die Umstellung funktioniere also nicht auf Knopfdruck, sondern erfordere in vielen Fällen einen großen Aufwand. Es muss dabei so lange nach einer passenden Munition gesucht werden, bis die Präzision stimmt, denn nur so kann man sicherstellen, dass der Schuss sofort tödlich ist.
„In den letzten Jahren hat sich zwar viel getan, aber die bleifreie Munition ist derzeit noch nicht für alle Kaliber verfügbar. Neben dem Ukrainekrieg und dem Rohstoffmangel durch die Pandemie hat vor allem der Wahlsieg von Joe Biden als US-Präsident dazu beigetragen, dass es sehr schwierig ist, hierzulande bleifreie Munition zu erhalten.“ Viele US-Amerikaner befürchteten nämlich eine Verschärfung der Waffengesetze und hamsterten Munition auf Vorrat. Das führte dazu, dass die Regale in Südtirol und darüber hinaus derzeit dünn bestückt sind.
 

Bewusstsein schaffen

 
Wichtig sei es, Maßnahmen zu setzen und die Menschen für den Verlust der Artenvielfalt zu sensibilisieren. Gegen Vogelkollisionen an Glasfenstern helfen oft schon einfache Maßnahmen wie das Anbringen von selbstklebenden Streifen auf Glasscheiben. „Vor Kurzem hat der Südtiroler Jagdverband gemeinsam mit dem Alpenverein, dem Bauernbund und der Provinz Südtirol eine Kampagne ins Leben gerufen, um  für ein rücksichtsvolles Verhalten in der Natur zu sensibilisieren. Es ist wichtig, dass Hunde im Wald besonders im Winter und während der Brut- und Aufzuchtzeit an der Leine geführt werden. Streunende Hunde können nämlich auch für viele Vögel, besonders für Bodenbrüter, zum Beispiel Auerwild, zur tödlichen Gefahr werden. “
 
 
Der Jagdverband arbeitet mit verschiedenen Institutionen zusammen, um die Biodiversität im Land zu fördern, etwa mit der AVK, dem Landesamt für Natur und der Forstbehörde. Die AVK startete vor einigen Wochen eine Heckenpflanzaktion auf der Malser Heide. Im Rahmen des Interreg-Projektes Terra Raetica werden Landwirte zudem darin unterstützt, die Wiesen erst später zu mähen, um die Wiesenbrüter wie Feldlerche, Braunkehlchen oder Wachtel zu retten.
Aktuell laufen außerdem Gespräche, an denen verschiedene Südtiroler Institutionen (Land Südtirol, AVK, AVS, Jagdverband, Dachverband für Natur- und Umweltschutz, Eurac Research) versuchen, unter der Leitung des Landesbundes für Vogelschutz Bayern (LBV) und der VCF (Vulture Conservation Foundation) und weiterer Partner ein Life-Projekt zum Schutz des Bartgeiers in den Ostalpen auf die Beine zu stellen.
„Ich würde mir von Herzen wünschen, dass mehr Rücksicht auf die Natur genommen wird. Hier sind vor allem die Verantwortlichen, die große Projekte ausarbeiten und genehmigen, gefragt“, erklärt Wassermann vom AVK am Ende des Gesprächs mit salto.bz. „Wenn mehr mitgedacht wird, können Todesfallen und sinnloses Sterben vermieden werden.“