Gesellschaft | Spracherwerb

Die Schule von morgen

Barbara Gross forscht zu Erziehung und Bildung im interkulturellen Kontext und wurde für ihre PhD-Arbeit ausgezeichnet.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: unibz

Was motiviert Südtirols Kinder, die zweite Landessprache zu lernen? Wie beeinflussen Freizeitaktivitäten und Wertesysteme, Schule und Institutionen Grundschüler im Erlernen einer anderen Sprache? Wie wirkt sich das Sprachniveau der Eltern auf ihre Kinder aus? Und welche Barrieren hindern die Südtiroler Gesellschaft von morgen, sich auf die sprachlich-kulturelle Diversität angemessen vorzubereiten?

Diese und andere Fragen stellte sich die Forscherin Barbara Gross in ihrer PhD-Arbeit. Für die Antworten, die sie darauf fand und in ihrer Doktorarbeit präsentierte, erhielt sie den SPES-Preis (Società di Politica, Educazione e Storia). Einige der Forschungsergebnisse teilt Frau Dr. Gross mit uns im Interview.

 

salto.bz: Frau Dr. Gross, Ihre PhD-Arbeit “Further Language Learning in Linguistic and Cultural Diverse Contexts” wurde kürzlich ausgezeichnet. Können Sie kurz erklären, worum es in der Arbeit geht?

Barbara Gross: In meiner Arbeit habe ich individuelle, schulische, familiäre sowie soziokulturelle Faktoren des Sprachenlernens im Südtiroler Kontext untersucht. Dabei haben rund 400 durchschnittlich zehnjährige Grundschüler, sowie Eltern und Lehrpersonen der sogenannten Zweiten Sprache – d.h. Lehrpersonen der deutschen Sprache in italienischsprachigen Grundschulen und Lehrpersonen der italienischen Sprache in deutschsprachigen Grundschulen – teilgenommen. Dabei haben Kinder Fragebögen in Bezug auf deren sprachlichen Hintergrund, Nutzung verschiedener Sprachen, Werteorientierungen sowie Einstellung zur gelernten Sprache und Sprachgruppe ausgefüllt. Zudem wurden teilstrukturierte Interviews mit zufällig ausgewählten Kindern und deren Eltern durchgeführt. Die Lehrpersonen der Zweiten Sprache nahmen an Fokusgruppentreffen teil.

 

Welche Faktoren prägen Kinder im Erwerb der Zweiten Sprache besonders?

Die Analyse der Faktoren, die Kinder prägen, war sehr aufwendig, da es sich um unterschiedliche aber ergänzende Daten in einem sogenannten Mixed Methods Verfahren handelt.
Zusammenfassend hat ein Teil der Forschung ergeben, dass beispielsweise Schülerinnen besser abschneiden als Schüler, und dass eine hohe Instrumentalität – d.h. wenn eine Sprache aus einer extrinsischen Motivation gelernt wird, um zum Beispiel später mehr zu verdienen oder bessere Zukunftsaussichten zu haben – einen negativen Einfluss auf die Ergebnisse in der Zweiten Sprache hat. Positive Einstellungen zur Lehrperson und eine hohe intrinsische Motivation hingegen führen zu besseren Ergebnissen.

 

 

Wie sieht es mit dem Einfluss der Familie aus?

Natürlich spielt die Familie eine wesentliche Rolle. Untersucht wurde zum Beispiel, inwiefern die von Kindern wahrgenommenen Kenntnisse der Eltern in der Zielsprache einen Einfluss auf die schulische Leistung haben. Während die der Väter zu keinen signifikativen Unterschieden geführt haben, wirkten sich gute Kenntnisse der Mutter positiv auf den Erfolg des Kindes aus. Kinder aus Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status und Kinder mit Migrationshintergrund erzielten zudem niedrigere Ergebnisse. Auch ist es signifikant, wie Eltern ihre Kinder in den Hausaufgaben unterstützen. Eine permanente Hausaufgabenbetreuung hat einen negativen Einfluss. Dies könnte daran liegen, dass sich Kinder, die bereits Schwierigkeiten in der Zweiten Sprache haben, nicht alleine an die Hausaufgaben trauen oder die Aufgaben nicht ihrem Stand entsprechen.

Die meisten Eltern ermutigen ihre Kinder zudem, die Sprache auch außerhalb der Schule anzuwenden und zu lernen. Dennoch geschieht dies oft passiv, wenn Eltern selbst über unzureichende Kenntnisse verfügen. Die meisten Eltern, die ihre Kinder unterstützen, nutzen verschiedene Medien oder schreiben ihre Kinder in Sport- oder Musikvereine ein. Darüber hinaus beschäftigen einige Eltern externe Personen, um die aktive Nutzung der Sprache zu erhöhen. Andere wiederum denken jetzt schon über ein Studium in der gelernten Sprache oder einen Sprachaufenthalt nach, da sie glauben, dass die Leistungen der Kinder am Ende der Sekundarstufe nicht ausreichend sein könnten. Der Schule und ihrer Organisation wird dabei eine wichtige Rolle zugeschrieben.

Die Schule von morgen wird noch stärker als bisher von sprachlich-kultureller Diversität und von Unterschieden in den Kompetenzen der Schüler gekennzeichnet sein.

Haben Sie auch die Institution Schule berücksichtigt?

Ja, da Kinder aus deutschsprachigen sowie italienischsprachigen Grundschulen an der Forschung teilnahmen. Kinder, die eine deutschsprachige Grundschule besuchten, erzielten bessere Ergebnisse als Kinder in italienischsprachigen Grundschulen. Ein individualisierter Unterrichtsstil erwies sich zudem als förderlich. Außerdem haben die Ergebnisse gezeigt, dass der vorherrschende monolinguale Habitus der Schule eine Hürde für das Erlernen der Zweiten Sprache darstellt. Der monolinguale Habitus ist mit der Vorstellung verbunden, dass die Mitglieder einer Nation, oder im Südtiroler Kontext einer Region, eine gemeinsame Sprache teilen müssen, die sie alle gleich gut beherrschen.

Lehrpersonen aber auch Eltern sprachen über die Schwierigkeit, Kontakte mit Sprechern der anderen Sprache zu knüpfen und aufrechtzuerhalten. Eine wesentliche Rolle scheint dabei das nach Sprachgruppen getrennte Schulsystem zu spielen. Was das schulische Umfeld betrifft, so würden die an der Studie beteiligten Lehrpersonen und Eltern eine mehrsprachige Schule in Form einer heterogenen Schülerschaft bevorzugen. Sie drückten die Notwendigkeit von Änderungen in der Schulorganisation aus und forderten eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Schulsystemen, um den sprachlichen aber auch kulturellen Austausch und somit das gesellschaftliche Zugehörigkeitsgefühl zu fördern und soziale Ungleichheiten und bestehende parallele Welten der Sprachgruppen abzubauen.

 

Es geht in Ihrer Forschung auch um den Einfluss des soziokulturellen Umfelds auf den Spracherwerb. Zu welchen Resultaten kamen Sie diesbezüglich?

Um den Spracherwerb zu verstehen, dürfen nicht nur individuelle Faktoren und die Schule berücksichtigt werden, da es sich um einen sozialen, interkulturellen Prozess handelt, der stark von historischen Einflüssen und der soziokulturellen Lernumgebung abhängt. Diese Lernumgebung ist mittlerweile auch in Südtirol durch Superdiversität gekennzeichnet.

Außerschulische Aktivitäten, zum Beispiel das Mitwirken in einem Verein in der anderen Sprache, haben nur begrenzt positive Auswirkungen auf die Ergebnisse in der Zweiten Sprache. Kinder und Eltern haben diesbezüglich angemerkt, dass in solchen Aktivitäten die Zielsprache nur wenig genutzt und nicht spezifisch gefördert würde.

Die Teilnehmer der Forschung merkten an, dass in Südtirol verschiedene Sprachgruppen nach wie vor fast wie in Parallelwelten nebeneinander leben. Trotz der hohen Wertschätzung der Mehrsprachigkeit in der Gesellschaft, in Familien, Schulcurricula und Arbeitsplätzen bleibt in Südtirol die Wahrnehmung der sprachlich-kulturellen Fragmentierung. Die Daten zeigen, dass dies nicht nur eine Folge der Geschichte Südtirols, sondern auch eine Folge der schulischen Trennung ist.

Das Erlernen der Zweiten Sprache sollte nicht mehr als Zwang empfunden werden, sondern als das was es eigentlich ist: die Voraussetzung für Interaktion.

So mehrsprachig und interkulturell ist Südtirol also gar nicht, bedenkt man die strikte Trennung von deutsch- und italienischsprachigen Grundschulen?

Aus der Forschung wird ersichtlich, wie in Südtirol, und dies ist durchaus ein europäisches Phänomen, individuelle Mehrsprachigkeit einen positiven Status erlangt hat – insbesondere, wenn es sich um prestigereiche Sprachen handelt und wenn die Unterrichtssprachen ausreichend beherrscht werden – während nach wie vor eine Schließung anderen Kulturen gegenüber zu beobachten ist.

 

In welche Richtung sollte die Schule in Südtirol in Zukunft gehen?

Die Studie deutet darauf hin, dass eine verstärkte Sensibilisierung für sprachlich-kulturelle Diversität in Bildungseinrichtungen unter Berücksichtigung evidenzbasierter Forschungsergebnisse und der Abbau von Barrieren förderlich wären. Dazu gehört eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Sprachgruppen. Die Ergebnisse dieser Forschung haben gezeigt, dass nicht die Anzahl der außerschulischen Aktivitäten den Lernerfolg beeinflusst und es nicht ausreichend ist, die Stundenzahlen in der Zweiten Sprache in den Schulen zu erhöhen, sondern dass authentische Begegnungen und Kontakte mit Sprechern der Zielsprache den Lernprozess unterstützen können. Damit würde auch der Druck auf Lernende verringert.

Das Erlernen der Zweiten Sprache sollte nicht mehr als Zwang empfunden werden, sondern als das was es eigentlich ist: die Voraussetzung für Interaktion. Wir müssen zudem beachten, dass in Südtirol mittlerweile auch sehr viele andere Erstsprachen anzutreffen sind, auch diese Sprachen und die individuelle Mehrsprachigkeit der Schüler müssen einbezogen und wertgeschätzt werden und mehrsprachige Aktivitäten sollten das Schulleben prägen. Somit gilt es, den monolingualen Habitus in Schule und Gesellschaft zu überwinden. Die Schule von morgen wird noch stärker als bisher von sprachlich-kultureller Diversität und von Unterschieden in den Kompetenzen der Schüler gekennzeichnet sein. Wie wir heute mit Diversität umgehen, wird die Gesellschaft von morgen prägen; dies zu berücksichtigen ist also nicht nur eine Voraussetzung für die Schaffung von Chancengleichheit und von gesellschaftlichem Zugehörigkeitsgefühl, sondern kann Diversität als wichtige Ressource auch für die Konkurrenzfähigkeit im internationalen Raum genutzt werden.