Gesellschaft | Ethikunterricht

Die Einführung am GSP Bozen

Eine autonome Schule macht sich auf den Weg und führt für alle Klassen Ethikunterricht als gleichwertiges Alternativfach zum katholischen Religionsunterricht ein.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Schule
Foto: USP

2014 führten wir die ersten Diskussionen rund um die Einführung des neuen, gleichwertigen Alternativfaches: Ethikunterricht. Wir wollten eine breite Diskussion führen und das ganze Kollegium involvieren, deshalb war als Auftaktveranstaltung während einer Plenarsitzung ein Impulsreferat geplant. Zu diesem Zweck wandten wir uns zuerst an das Referat für Ökumene und interreligiösen Dialog der Diözese Bozen-Brixen. Die Kontaktperson zeigte sich zwar interessiert, leitete uns aber wegen vermeintlichen Kompetenzüberschreitungen an den Inspektor für den katholischen Religionsunterricht am Deutschen Schulamt weiter.

Im Anschluss an das Referat „Ethikunterricht in der Grundschule“, das Inspektor Alber am 16.12.2014 hielt, führte das Kollegium eine mehrjährige Diskussion und erarbeitete ein Curriculum für den Ethikunterricht. In sechs Arbeitsgruppen beschäftigte sich das Kollegium mit verschiedenen Aspekten rund um die Einführung des neuen Faches.  Eine Gruppe beschäftigte sich mit dem a) fächerübergreifenden Bereich Leben in der Gemeinschaft der Rahmenrichtlinien des Landes, und durchforstete sie nach Zielen, die auch für den Ethikunterricht passend schienen. Eine Arbeitsgruppe suchte nach b) ethischen Themen, die sich in den eingeführten Religionsbüchern finden ließen. Eine Gruppe von Lehrpersonen beschäftigte sich mit c) dem Ethiklehrplan von Bayern, eine mit d) Albert Schweitzer, dem Ethiker des 19. Jahrhunderts, eine mit e) den Menschenrechten und eine mit f) dem Weltethos nach Hans Küng.

Wir gingen davon aus, dass Religionslehrpersonen zwar nicht grundsätzlich ungeeignet waren, auch Ethik zu unterrichten, dass sie aber keinesfalls Religion und Ethik unterrichten sollten. Es schien uns nicht möglich, dass eine Lehrperson von Stunde zu Stunde zwischen diesen beiden Rollen wechseln konnte.  Auch meinten wir, dass man eine solche Vermischung den Eltern nicht glaubhaft kommunizieren konnte.

Auf der Grundlage der Arbeitsergebnisse entstand das Curriculum, das wir 2016 beschlossen haben. Es handelt sich dabei um ein Rahmencurriculum für die 1.–3. Klassen und die 4./5. Klassen. Unterteilt wird das Curriculum jeweils in die vier großen Bereiche „Menschsein: sich selbst begegnen“, „Zusammenleben: dem anderen begegnen, Anteil nehmen“, „Religion und Kultur: dem Leben begegnen“ und „Die moderne Welt: der Mensch und seine Umwelt“. In Folge passten wir auch die Bewertungsbögen und die Beobachtungsraster in den Registern der Lehrpersonen an.

Involviert wurde auch der Schulrat. Im Rahmen einer kurzen Information kam es zu einer lebhaften Diskussion, die geprägt war von großem Interesse und der geteilten Überzeugung, dass das neue Fach ein wertvoller Baustein im Bildungsangebot der Schule sein wird. Man war der Überzeugung, dass das Angebot mittelfristig auch auf die beiden kleineren Schulen unseres Sprengels und die unteren Klassen ausgedehnt werden sollte. Der Elternrat wurde informiert. Auch dort stieß das Angebot auf Interesse.

Nach Abwägung und Prüfung der organisatorischen Bedingungen wurde das neue Fach 2017 schließlich für die 4. und 5. Klassen der Goetheschule eingeführt. Die Auswahl der geeigneten Lehrpersonen war uns sehr wichtig. Immer wieder wurde im Kollegium über das Vorhaben diskutiert, das Curriculum vorgestellt und dafür geworben, dass sich Kolleginnen oder Kollegen melden sollten, die den Ethikunterricht in den Klassen halten möchten. Wir gingen davon aus, dass Religionslehrpersonen zwar nicht grundsätzlich ungeeignet waren, auch Ethik zu unterrichten, dass sie aber keinesfalls Religion und Ethik unterrichten sollten. Es schien uns nicht möglich, dass eine Lehrperson von Stunde zu Stunde zwischen diesen beiden Rollen wechseln konnte. Auch meinten wir, dass man eine solche Vermischung den Eltern nicht glaubhaft kommunizieren konnte. Schließlich fanden sich zwei geeignete Lehrpersonen, die im ersten Jahr der Umsetzung, die Kinder der fünf betroffenen Klassen, im Ethikunterricht begleiteten. Die beiden Lehrerinnen hatten Erfahrung im Unterricht mit Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Kulturen. Die Haltung, die sie den Kindern entgegenbrachten, schien in besonderer Weise geeignet zu sein, für dieses Unterrichtsfach die nötige Offenheit aufzubringen. Sie waren außerdem auch bereit, sich durch geeignete Lektüre den Sommer über auf die neue Herausforderung vorzubereiten.

In den vergangenen Jahren hatten wir eine ganze Reihe von Lehrwerken angekauft und geprüft. Zwar schwebte uns nicht vor, für die Hand der Kinder ein Buch anzukaufen, jedoch wollten wir ausreichend Materialien für die Lehrerinnen und Lehrer bereithalten. In besonderer Weise beschäftigten wir uns mit dem Compasito, dem Handbuch zur Menschenrechtsbildung mit Kindern. „Das Zusammenleben in einer Demokratie ist keine naturgegebene Fähigkeit. Das Wissen, die Fertigkeiten und Werte, die Menschen brauchen, um in einer Demokratie zu leben, müssen erlernt und lebenslang gefördert werden. Die Leitaspekte von Demokratie und Menschenrechte sollten Kinder zwar kennen und verstehen, doch Werte wie Würde, Toleranz und Achtung für andere sowie Fähigkeiten wie Zusammenarbeit, kritisches Denken und das Eintreten für die eigenen Rechte lassen sich nicht in traditioneller Art und Weise unterrichten. Diese sollen durch Erfahrung und Übung erlernt werden, durch das Leben und Handeln in einem demokratischen Umfeld und von frühester Kindheit an“ (Deutsches Institut für Menschenrechte, Europarat, Bundeszentrale für politische Bildung, (Hg.), 2009, S. 7). Dies führt zu einer Reihe von Implikationen für die Rolle der Lehrpersonen und die Auswahl der Unterrichtsmethoden.

Erwachsene sollten sich nicht zu der Annahme verleiten lassen, dass sie als Pädagoginnen und Pädagogen im Besitz der endgültigen Wahrheit seien.

In Zusammenhang mit Menschenrechtsbildung wurden non-formale und informelle Lernmethoden gesucht. Der aktiven Beteiligung der Kinder und ihren persönlichen Erfahrungen wurde ein bedeutender Stellenwert beigemessen. „Die Beteiligung der Kinder und ihre Zusammenarbeit sind hilfreich für den Aufbau des Gruppenzusammenhalts und den Abbau von Vorurteilen zwischen den Gruppenmitgliedern. Sie erhöhen das Verständnis komplexer Begrifflichkeiten, verbessern Problemlösungsfähigkeiten und fördern Kreativität und Praxisbezug: All dies sind wichtige Ziele der Menschenrechtsbildung. Erwachsene sollten sich nicht zu der Annahme verleiten lassen, dass sie als Pädagoginnen und Pädagogen im Besitz der endgültigen Wahrheit seien. Kinder werden ihre Erfahrungen in den pädagogischen Prozess mit einbringen, und wer ihr Interesse wachhalten und ihre erfolgreiche Entwicklung sicherstellen will, muss auf diese Erfahrungen aktiv Bezug nehmen“ (ebd. S. 11).

„Die Aktivitäten in Compasito sind um dreizehn ausgewählte Themen herum aufgebaut: Armut und soziale Ausgrenzung, Bildung und Freizeit, Bürgerschaft, Demokratie, Diskriminierung, Familie und alternative Betreuung, Frieden, Geschlechtergerechtigkeit, Gesundheit und Soziales, Gewalt, Medien und Internet, Partizipation, Umwelt. Um Menschenrechtsfragen enger mit der Alltagswirklichkeit und den persönlichen Erfahrungen von Kindern zu verknüpfen, heben diese Themen im Großen und Ganzen eher auf Werte und soziale Probleme ab denn auf formale Rechte, wie sie in Konventionen niedergelegt sind“ (ebd.).

2019 wird das neue Fach an der Goetheschule auf alle 3. Klassen ausgedehnt, 2021 auf alle Klassen des Sprengels. Die Fach- und Arbeitsgruppe der Ethiklehrpersonen trifft sich wöchentlich zur gemeinsamen Planung. Durch den regelmäßigen Austausch werden die Weichen für die nötigen Anpassungen und Weiterentwicklungen gelegt.

Angelika Ebner promoviert 2020 an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Innsbruck mit einer Dissertation zum Thema „Ethikunterricht als Chance und Herausforderung: Bestandsaufnahme und kritische Analyse zur Umsetzung an ausgewählten Pflichtschulen deutscher Unterrichtssprache in Südtirol.“ Der Beitrag ist ein Auszug aus der Dissertation.

Bild
Profil für Benutzer ceteris paribus
ceteris paribus Di., 21.12.2021 - 14:12

Meine Bewunderung für dieses Durchhaltevermögen: nach 7 Jahren, 6 Arbeitsgruppen und Schulrat, einem Curriculum in 4 großen Bereichen wird das Fach im gesamten Schulsprengel eingeführt – bei wöchentlicher Planung versteht sich.
Ein Erfolg, bei dieser guten Vorbereitung, da bin ich sicher.

Ich nehme an, es handelt sich um ein Fach mit 1-2 Wochenstunden pro Klasse.

Dieser zweifelsfrei sinnvolle Prozess zeigt einmal mehr auf, mit welchen Schwierigkeiten die Schule wirklich zu kämpfen hat.

Di., 21.12.2021 - 14:12 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Martin Senoner
Martin Senoner Sa., 25.12.2021 - 07:36

Als ehemaliger Religionslehrer und Vater bin ich überzeugt, dass Ethikuntericht so funktioniert und dass alle Kinder davon profitieren können.

Sa., 25.12.2021 - 07:36 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Andreas Waldner
Andreas Waldner Sa., 25.12.2021 - 14:54

Die Einrichtung von Religion als ordentliches Schulfach, gründet letztlich in der stillschweigend akzeptierten Annahme, dass die christliche Lehre und die ethischen Werte der Gesellschaft nahtlos übereinstimmen, dass also die Kirche selbstverständlich die Aufgabe der ethischen Erziehung in der Gesellschaft übernehmen kann und zu übernehmen hätte. Genau genommen hätte der Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach an einer staatlichen Schule gar nichts zu suchen. Die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Trennung von Kirche und Staat widerspricht dieser Regelung. Ihr zufolge müsste die Schule weltanschaulich neutral sein. Verfassungsrechtlich stellt demnach eigentlich der Religions- und nicht der Ethikunterricht das Problem dar. Während der Religionsunterricht die Kinder separiert, bietet der Ethikunterricht die Möglichkeit, Kinder verschiedener Weltanschauungen und Glaubensrichtungen zu integrieren, was letztlich die Basis für einen toleranten Umgang miteinander bildet. Und das ist im Interesse aller! Die Heterogenität der Gesellschaft erfordert aus staatlicher Sicht vielmehr eine weltanschaulich neutrale Auseinandersetzung mit sozialen und ethischen Themen. Nur so lassen sich die verschiedenen Religionen und Weltanschauungen integrieren. Religion dagegen separiert die Menschen einer Gesellschaft.

Sa., 25.12.2021 - 14:54 Permalink