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Wie Gletscher klingen

Stefano Bernardi hat Musik für vielerlei Zwecke gemacht, auch für Theater. Aktuell ist sein Soundtrack zum Stück „Gletscher“ in der Dekadenz in Brixen zu hören. Wir haben mit dem vielseitigen Künstler gesprochen, auch um zu erfahren wie Gletscher wohl klingen.
Stefano Bernardi „Gletscher“ (Dekadenz Brixen) (1)
Foto: Andreas Tauber
  • Es gibt noch drei Vorstellungen des Stücks „Gletscher“ von Maxi Obexer. Die Premiere in der „Dekadenz“ in Brixen war ausverkauft und Stefano Bernardi, der Mann, der für die Musik, bzw. für den Soundtrack verantwortlich ist, war zufrieden mit der Vorstellung. Als wir ihn in seinem Studio in Meran besuchen, arbeitete er gerade am Klangbild von einem von Helios produzierten Kurzspielfilm von Davide Grotta. Der Regisseur wartet auf die aktualisierte Version. Bernardi ist aber gelassen und nimmt sich die Zeit für das Gespräch um mit uns über „Gletscher“ zu sprechen, das Theaterstück, für das er nicht nur das Klangmaterial und die Musik beisteuert, sondern auch live spielt. Nervös ist er deswegen aber nicht.

    „Ich war nur einmal richtig nervös, das war, als ich 17 war und mit meiner damaligen Band U-Boot in Bruneck gespielt habe. Das hat gereicht für's restliche Leben. Heute ist es eher das Gegenteil, ich freue mich richtig darauf und würde die Sachen gern öfter spielen.“

    Dabei hat Stefano Bernardi, der derlei Soundtracks nicht zum ersten Mal macht, ein durchaus komplexes Setting zu managen: Es gibt vorproduzierte Zuspielungen wie Fieldrecordings oder kurze Ausschnitte aus einem Interview mit dem Glaziologen Georg Kaser, das Regisseurin Elke Hartmann gemacht hat, es gibt von Bernardi komponierte Livemusik, es gibt Zuspielungen mit Livemusik, und das alles abgestimmt auf den Text und die Einsätze der beiden Schauspielerinnen Jasmin Mairhofer und Margot Mayrhofer.

    Bernardi: „Das Stück hat sehr viele unterschiedliche Ebenen und Elke Hartmann hat dabei eine sehr gute Arbeit gemacht, das Ganze zusammenzufügen“.

  • Hat für „Gletscher“ ein durchaus komplexes Setting geschaffen: Der aus Bruneck stammende Musiker Stefano Bernardi bei den Proben für „Gletscher“. Foto: Andreas Tauber
  • Der Klang der Gletscher

    „Als sich abgezeichnet hat, dass wir das Projekt machen würden, bin ich mit meinen Mikros nach Schnals auf den Gletscher. Und ich war enttäuscht vom Gletscher: Es war teuer, nur einige wenige Touristen waren da, Lifte standen still wegen der Windverhältnisse...“ erzählt Bernardi und kommt damit gleich direkt zu unserer ersten Frage, nämlich wie Gletscher wohl klingen würden.

    „Ich habe zwar ein paar Aufnahmen gemacht, die Metallstruktur eines Liftes, Wind, das Treiben an der Bar... war aber enttäuscht von der Situation. Als ich dann zurückgefahren bin, hab ich den Stausee bei Vernagt gesehen, der völlig zugefroren war.“

    Bernardi hält an, wagt sich auf die Eisfläche, bohrt mit einem Schweizer Messer ein Loch ins Eis, führt eines seiner speziellen Mikros ein und war nun glücklich. „Diese Aufnahmen habe ich auch im Stück verwendet, zu Beginn, in der Mitte ... das waren richtig schöne, tiefe Knackser.“ Bernardi ist dann mit seinem Sohn als Assistenten, noch einmal gezielt hin: „Da haben wir uns dann richtig gutes Material geholt.“ 

    Das war im Februar diesen Jahres und bevor die Proben zum Stück gemacht wurden. Für diese Proben hatte Bernardi also bereits im Vorfeld Ideen gesammelt und diese vorbereitet. Im Laufe der Erarbeitung des Stückes mit Regisseurin und Schauspielerinnen, wurden diese ausgebaut, verändert und mit viel Gespür für das Detail in die Inszenierung eingefügt. Bernardi mit einem gewissen Stolz: „So, wie es dann geworden ist, ist es ein Uhrwerk.“

    Der aus Bruneck stammende Musiker arbeitet bereits seit 35 Jahren in diesem Bereich, also dort, wo Film, Performance oder Theater auf Musik treffen, und er erkennt sehr wohl gewisse Parallelen zwischen einem Filmsoundtrack und der Musik für ein Theaterstück an. Aber: „Das Tolle an dieser Sache ist das hic et nunc, das Hier und Jetzt. Es passiert im Moment, da gibt es keine Ausreden!“

  • „Es geht um das Verhältnis zwischen Tochter und Mutter, und im Prinzip wird ein Warten thematisiert, durch das sehr viel ausgelöst wird“: Jasmin Mairhofer und Margot Mayrhofer bringen mit „Gletscher“ ein Stück der Autorin Maxi Obexer in der Regie von Elke Hartmann auf die Bühne der „Dekadenz“ in Brixen. Foto: Andreas Tauber
  • „Ausschlaggebend für mich war die erste Probe,“ erzählt Bernardi: „Margot und Jasmin haben das Stück für alle die in die Inszenierung involviert waren, einmal gelesen. Es war fantastisch, ich war fast gerührt an gewissen Stellen. Da habe ich bereits gewusst, was ich brauchen würde und habe mich vorbereitet. Ich benutze ein kleines Keyboard, ein Santur, das ist ein persisches Hackbrett, das ich mit einem Bogen spiele, einen Laptop und einige elektronische Geräte für die Zuspielungen und die Effekte. Alles in allem war es aufwendig und intensiv, aber sehr schön.“

    Die Frage, worum es in dem Stück seiner Meinung gehen würde, beantwortet Bernardi kompakt und schnell: „Es geht um das Verhältnis zwischen Tochter und Mutter, und im Prinzip wird ein Warten thematisiert, durch das sehr viel ausgelöst wird. Ich finde, es entsteht dabei sehr viel. Es geht um eine Beziehung und um eine Entwicklung. Bei Jasmin bekommt man das Gefühl, dass sie wächst im Laufe des Stücks und vom Kind zur Frau wird. Das funktioniert sehr gut, finde ich. Diese Metamorphose der Beziehung zwischen den beiden ist sehr gut inszeniert, und es ist auch sehr witzig. Elke weiß was sie will, und das ist immer gut bei Regisseuren, weil das ist nicht immer der Fall, aber wir haben trotzdem Sachen ausprobiert, angepasst und verändert. Wir hatten alle Spaß bei den Proben und sind glücklich mit dem Ergebnis. Und wie die Premiere gezeigt hat, ist auch das Publikum glücklich mit dem, was wir gemacht haben.“

  • „Im Film, im Theater ... es ist immer eine Kollektiv-Gestaltung. Alle spielen da eine verdammt große Rolle: Die Ausstatter, die Lichttechniker... da sind viele Ebenen, die übereinstimmen müssen“: Stefano Bernardi sieht seine Arbeit als Teil von etwas größerem Ganzen. Foto: Andreas Tauber
  • Für den Soundtrack zu „Gletscher“ hat Bernardi parallel zu den verschiedenen Klängen und Geräuschen natürlich auch Musik geschrieben. Er unterscheidet da aber nicht wirklich: „Ich nehme das eigentlich nicht so wahr, ich bin da auch nicht so wichtig: Du hast da eine gute Idee vor dir, die umgesetzt werden will, das ist das, was in erster Linie zählt. Ob ich das mache oder jemand anderes ist nicht relevant. Es muss funktionieren. Paradoxerweise sieht man das Stück auch besser, wenn der Klang gut gestaltet ist.“

    Stefano Bernardi ist überzeugt davon, dass nur eine gute Zusammenarbeit zu einem wirklich guten Ergebnis führt: „Im Film, im Theater ... es ist immer eine Kollektiv-Gestaltung. Alle spielen da eine verdammt große Rolle: Die Ausstatter, die Lichttechniker... da sind viele Ebenen, die übereinstimmen müssen.“

    Es ist aber bei allem kollektiven Arbeiten und bei aller Erfahrung, auf die Bernardi zurückgreifen kann, auch für ihn kein Spaziergang: „Beim Theater kann man alles langsam aufbauen, aber es braucht Zeit. Wenn man es gwissenhaft machen will, ohne sich dabei zu ernst zu nehmen, aber dass man trotzdem gut damit leben kann, dann braucht es Zeit. Ich hatte mehrmals Tage, an denen ich um 9 nach Brixen gefahren bin, dort bis 14 Uhr bei den Proben war und dann hier ins Studio nach Meran gekommen bin, um bis Mitternacht und darüberhinaus weiterzuarbeiten... dann nach Hause und am Tag danach wieder nach Brixen. In solchen Momenten ist man in der Sache drinnen, dann geht alles auch gleichzeitig schneller.“

    Die Zusammenarbeit zwischen Bernardi und der „Dekadenz“ für diese Arbeit kommt nicht aus dem Nichts: Im September 2020 wurde das „Astra“ in Brixen eröffnet und Anna Wenter (Leiterin des „Astra“) und Anna Heiss („Dekadenz“) hatten gemeinsam diese Eröffnung gestaltet. Bernardi hat dafür einen poetischen Text über den Brenner mit Musik und Fieldrecordings vertont, und als die Produktion „Gletscher“ ins Haus stand, kam Heiss auf Bernardi zu, um ihn für das Stück von Maxi Obexer zu gewinnen. Und auch die Wege Bernardis mit der Autorin Obexer hatten sich bereits gekreuzt. Vor etwa zehn Jahren haben sie gemeinsam das „Museo dei semirurali“ akustisch gestaltet.

  • „Bei Jasmin bekommt man das Gefühl, dass sie wächst im Laufe des Stücks und vom Kind zur Frau wird“: Stefano Bernardi über die Schauspielerin Jasmin Mairhofer in „Gletscher“. Foto: Andreas Tauber
  • Wer Bernardi kennt weiß natürlich auch, dass er nicht nur Musik „für andere“ macht, sondern auch „für sich“, ob dies seine Band Ziz ist oder andere Projekte. Wie sieht es – so unsere abschließende Frage – damit aus?

    Bernardi: „Ich hatte in der Pandemie angefangen Musik zu machen, weil ich alles bei mir Zuhause hatte, da sind dann sieben, acht Tracks entstanden. Vor Weihnachten hatte ich dann wieder Zeit und hab etwas weitergearbeitet und werde jetzt wohl eine Platte machen müssen. Vor einigen Monaten habe ich einige dieser Sachen dann Andrea Polato geschickt, mit dem ich auch schon für Transart gespielt habe. Ich habe zwar schon sehr viel vorproduziert, aber er meinte, es gäbe da einiges, was man neu einspielen müsste. Das werden wir gemeinsam durchgehen und Ende des Jahres sollte das Album dann fertig sein.“

    Musikalisch sollte die Musik in der Verbindung von Elektronischem und Akustischem liegen – Bernardi hat sich letzthin u.a. ein Cello gekauft, das wohl zum Einsatz kommen wird. Die eigentliche Überraschung ist aber, dass er den Blues entdeckt und großen Spaß daran gefunden hat. 

  • Hat in der Covid-Zeit den Blues entdeckt: In Bernardi's Studio finden sich jede Menge Instrumente, vom Keyboard, über das Cello und E-Gitarren bis hin zu einer Second Hand-erworbenen akustischen Gitarre. Foto: rhd / salto.music
  • „Das Tolle an dieser Sache ist das hic et nunc, das Hier und Jetzt. Es passiert im Moment, da gibt es keine Ausreden!“: Stefano Bernardi über die Besonderheit der (Live-)Musik für ein Theaterstück. Foto: Andreas Tauber
  • Info:

    Die Dekadenz-Produktion „Gletscher“ von Maxi Obwexer, inszeniert von Elke Hartmann und gespielt vom Jasmin Mairhofer und Margot Mayrhofer, ist im Monat April noch an folgenden Tagen zu sehen: Freitag, 19., Samstag, 20. und Sonntag, 21. April 2024. Beginn: 20 Uhr (werktags), 18 Uhr (sonntags).

    Für das Reservieren der Karten hier entlang (was ratsam ist, denn, wie erwähnt, die Premiere war beispielsweise ausverkauft).

  • Links:

    „Gletscher“ in der Dekadenz Brixen: https://www.dekadenz.it/de/aktuelle-spielzeit/345-produktion-der-dekadenz.html
    Homepage Stefano Bernardi: https://www.stefanobernardi.org
    Michael Denzer (salto.bz) über „Gletscher“ (Premiere): https://salto.bz/de/article/05042024/eiskalt-erwischt

  • Lebt in Bozen, arbeitet in Meran: Stefano Bernardi setzte sich nach dem Interview in seinem Studio gleich wieder an die Arbeit. Foto: rhd / salto.music