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Bob Dylan: "Rough And Rowdy Ways"

Der „Song-And-Dance-Man“ ist zurück: Bob Dylan veröffentlicht sein 39. Studioalbum. Ein musikalisches Ereignis.
Bob Dylan
Foto: Columbia

Acht Jahre mussten Freunde des unerschütterlichen Musikers und Dichters auf ein neues Album warten. Acht Jahre, in denen viel geschah. Zwar veröffentlichte Dylan drei mit Covern vollbepackte Alben, die fanden jedoch weder bei der Kritik noch bei den Fans sonderlich viele Freunde. Man gierte nach neuem, originalen Material des Meisters. Das letzte vollwertige Dylan-Album wurde schließlich bereits 2012 veröffentlicht, ein rundum gelungenes Werk mit dem an Shakespeare erinnernden Titel „Tempest“. Anders als befürchtet, und dies wissen wir erst seit wenigen Wochen, sollte es nicht das Abschlussgeschenk Dylans bleiben. Abgesehen von neuen Liedern tourte er weiterhin durch die ganze Welt, gewann in der Mittagspause einen Nobelpreis und fand, so scheint es zumindest, in all dem Trubel, und im stolzen Alter von mittlerweile 79 Jahren doch noch irgendwie Zeit, sich mit der Menschheitsgeschichte, dem Tod und seinem eigenen Sein zu beschäftigen.

Denn diese Themen bestimmen das neue Album. „Rough And Rowdy Ways“ ist dessen Titel, doch der mag irreführend sein, kaum verwunderlich bei Dylan, der seine Fans gerne zum Narren hält. Denn die zehn Songs sind größtenteils eher ruhig gehalten, teils melancholisch, nachdenklich, dabei voller Details und musikalisch dennoch facettenreich. Drei der Titel kannte man bereits vor der Veröffentlichung des Albums, nämlich die Single-Auskopplungen „False Prophet“, „I Contain Multitudes“, und „Murder Most Foul“, welches mit stolzen 17 Minuten das längste Stück Dylans überhaupt ist. Darin beschäftigt sich der Musiker mit dem Amerika der 1960er Jahre, dem Mord an Präsident Kennedy und allerlei historischen Figuren. Das ist ja ohnehin ein Steckenpferd Dylans und zieht sich wie ein roter Faden durch seine rund 60 Jahre andauernde Karriere. Spätestens seit „Desolation Row“ vom Album „Highway 61 Revisited“ (1965) scheint klar zu sein: Dylan liebt das Zitat, und lässt liebend gern bekannte Persönlichkeiten in seinen Texten auftreten. Und nicht nur das, er lässt sie sprechen, miteinander interagieren, und es ist ihm dabei völlig gleichgültig, inwiefern ein historisch belegter Zusammenhang zwischen ihnen besteht. Diese sehr freie Art der lyrischen Collage findet sich in „Murder Most Foul“ wieder, aber auch in anderen Stücken des neuen Albums, so etwa im sehr atmosphärischen „Key West (Philosopher Pirate), in dem er einen gar mystischen Ort besingt und die Beat-Generation, namentlich seine Freunde Allen Ginsberg und Jack Kerouac auftreten lässt. Auch der Tod ist bei Dylan ein Charakter, beispielsweise in Gestalt des „Black Rider“. Ja, Bob Dylan ist ein alter Mann, und der Tod deshalb natürlich nur wenige Straßen entfernt, doch das ist für den Musiker kein Grund, den Sensenmann ernst zu nehmen. Anders als die „Mother of Muses“, die er in Anlehnung an die griechische Mythologie besingt, als moderner Dichter, als Homer unserer Zeit. Und was darf auf einem waschechten Dylan-Album nicht fehlen? Natürlich die Liebe, und ja, auch sie findet ausreichend Platz auf der neuen Scheibe, wenngleich auch melancholisch angehaucht („My Own Version Of You“). Dem Musiker Jimmy Reed wird im Song „Goodbye Jimmy Reed“ gewürdigt, dann auch wieder etwas lauter, etwas schrammiger. Wie angesprochen bewegt sich Dylan, wohl auch gemäß seines Alters, in erster Linie aber in musikalisch gemütlichen Gefilden. Pointiertes, zurückgenommenes Gitarrenspiel, entspannte Schlagzeugparts, hier und da Background-Gesänge, und natürlich die unverwechselbare Stimme des Interpreten. Die muss man mögen, um mit „Rough And Rowdy Ways“ Spaß haben zu können, denn sind wir ehrlich: In seinem Alterswerk sind Dylans Texte wichtiger denn je, die Melodien nehmen sich teils sehr zurück. Doch umso überraschender scheint es, dass Dylan weit weniger kratzig klingt als zuletzt gewöhnt. Er gibt sich hörbar Mühe, sanft zu klingen, vor allen in den Balladen tritt das zutage.

 

 

Zwischen den Zeilen verbergen sich auch diesesmal wieder ganze Romane. Die allesamt zu entschlüsseln, dürfte einige Zeit dauern. Von Dylan selbst sollte man keine Antworten erwarten. Bis alle Geheimnisse, alle Metaphern und Bilder offenbart sind, arbeitet der Barde ja möglichweise bereits am nächsten Streich.

Und selbst wenn „Rough And Rowdy Ways“ das letzte Album wäre, könnte man zufrieden sein. Es wäre ein schönes, ausgereiftes, vollkommenes Abschlussgeschenk. Doch wie man Dylan kennt, wird es weitergehen, früher oder später, sterben wird er sowieso nicht. Das hat er vermutlich mit dem Tod so vereinbart. Und sollte es irgendwann mal so weit sein und das letzte Album anstehen, so wird sich Robert Allen Zimmerman sicherlich etwas ganz besonderes ausdenken. Etwas, mit dem niemand rechnet, und das viele vor den Kopf stoßen wird. So wie immer eben. Dafür lieben die Fans Bob Dylan und eben jene Fans werden mit „Rough And Rowdy Ways“ großen Spaß haben. Aber auch für Dylan-Neulinge kann das Album ansprechend sein. Denn es zeigt, was der Meister kann, wenn er meisterlich ist. Und dass er selbst im Jahr 2020 noch immer eine veritable Stimme im Musikgeschäft, ach was, gar in der gesamten Kunstwelt ist.

 

I ain't no false prophet
No I'm nobody's bride
Can't remember when I was born
And I forgot when I died