Wirtschaft | Interview

„Das Essen kommt vor der Moral“

Die diesjährige Summer School in Feldthurns ist dem Kampf der Frauen gewidmet. Mit Julia Fischer wird eine feministische Perspektive auf die Landwirtschaft gesucht.
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Foto: Privat
salto.bz: Frau Fischer, wie sieht ein gewöhnlicher Arbeitstag von Ihnen aus?
 
Julia Fischer: Seit einem Jahr etwas verändert, da ich Mutter geworden bin und so ist der Arbeitsalltag etwas umstrukturiert. Ich bewirtschafte unseren Hof mit Viehwirtschaft und Urlaub auf dem Bauernhof gemeinsam mit meinen Eltern und kümmere mich derzeit vordergründig um die Pferde und den Reitunterricht für unsere Ferienkinder. Unsere Mutterkühe mit ihren Kälbern machen im Sommer nur sehr wenig Arbeit, da sie durchgehend auf unterschiedlichen Weiden sind. Aber trotzdem werfe ich täglich einen Blick auf sie, um zu sehen, ob alle wohl auf sind. Und wenn dann noch etwas Zeit übrigbleibt, warten Schreibtischarbeiten auf mich (lacht).
Der weibliche Blick ist anders, wertvoll und kann Veränderung anstoßen.
Sie sprechen bei der Summer School in Feldthurns über Feminismus und Landwirtschaft. Wie prägt das Patriarchat diesen Wirtschaftssektor in Südtirol?
 
Das Patriarchat ist besonders im Bereich der Südtiroler Berglandwirtschaft seit unzähligen Generationen das vorherrschende Modell. Das heißt also, dass es bislang üblich und gängige Praxis war, den Hof bzw. den landwirtschaftlichen Betrieb im besten Fall an den erstgeborenen Sohn, aber in jedem Fall an einen Sohn weiterzugeben. Obwohl der wirtschaftliche Erfolg und das Überleben und Fortbestehen eines Hofes immer auch vom Einsatz und dem Engagement der Bäuerin – der Frau am Hof – abhängig sind, gehört der gesamte Besitz dem Mann und ihm allein steht es zu, rechtlich gültige Entscheidungen zu treffen.
 
Wie hat sich das in den letzten Jahrzehnten verändert?
 
Ich stelle aus eigener Erfahrung und in meinem Umkreis sehr wohl fest, dass die Strukturen und Traditionen des Patriarchats gelockert werden und nicht mehr so vorherrschend sind, wie sie es früher waren. In meinem Fall bin ich Hofübernehmerin und muss wirklich sagen, dass sich meine Eltern sehr gefreut haben, als ich den Wunsch zur Hofübernahme äußerte. Ich erfuhr von allen Seiten viel Unterstützung, besonders von meinen Eltern. Ich verspürte nicht eine Sekunde Unstimmigkeiten aufgrund meines Geschlechts – im Gegenteil.  Gemeinsam verwirklichten wir meine Visionen und meine Vorstellungen von fairer und artgerechter Viehwirtschaft.
 
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Julia Fischer: „Kälber sind leider nur ein lästiges Nebenprodukt.“ (Foto: privat)
 
Die Lebensbiografien der Menschen haben sich verändert und sind im Begriff sich zu verändern – es kann und darf nicht mehr davon ausgegangen werden, dass immer nur der älteste Sohn Freude an der Weiterführung des Hofes hat. Diejenigen, die Spaß an der Arbeit mit Natur und Tieren haben, sollen die Chance bekommen, den Betrieb weiterzuführen. Und mittlerweile ist es auch tatsächlich so, dass aus der Not heraus – weil es immer schwieriger ist, dass Höfe überhaupt von irgendwem weitergeführt werden – auch weibliche Nachfolgerinnen akzeptiert werden.
 
Was fehlt Ihnen in der Debatte zu Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft hierzulande?
 
Was mir von politischer Seite in Bezug auf Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft fehlt, ist eine lösungsorientierte Diskussion und Herangehensweise an die sogenannte Kälberproblematik, welche sich in der Milchwirtschaft gezwungenermaßen ergibt. Stierkälber, aber auch weibliche Tiere gehen im Alter von nur wenigen Wochen von den Mutterbetrieben ab (sie sind leider nur ein lästiges Nebenprodukt), um dann via Lebendtransport oftmals quer durch Europa oder noch weiter transportiert zu werden und in anderen Ländern dann für wenig Geld gemästet und geschlachtet zu werden. Nachhaltigkeit bedeutet für mich unter anderem, geschlossene Kreisläufe herzustellen und zu bewahren. Die Tatsache, dass Südtirol Milch produziert und zum Verkauf exportiert, Tausende Kälber für eine billige Mast weitergegeben werden und gleichermaßen dann aber Fleisch importiert werden muss, ist für mich inakzeptabel. Es muss darüber nicht nur gesprochen werden, es bedarf der Entwicklung von konkreten Handlungsstrategien und einer politischen Reglementierung.
Um den hohen Bedarf an tierischen Produkten zu günstigen Preisen zu decken, hat ein landwirtschaftlicher Betrieb oft nicht den Luxus, über Tierwohl nachzudenken.
Welchen Stellenwert nehmen in dieser Debatte die Bäuerinnen ein? Fehlt es ihnen an Sichtbarkeit?
 
Ich denke, dass die Bäuerinnen in diesem konkreten Fall insofern eine Rolle spielen, als dass sie vielleicht eher den Blick für diese Missstände und das Ungleichgewicht haben als manch anderer – ohne irgendwem etwas unterstellen zu wollen. Oft sind es die Frauen, mit ihrem weiblichen Instinkt, welche gerade in der Viehwirtschaft in Bezug auf Tierwohl etwas verändert haben wollen. Ich will nicht sagen, dass die Bäuerinnen diesbezüglich nicht gesehen werden, aber es kann definitiv nicht schaden, wenn ihre Stimmen noch lauter und noch mehr Gehör finden. Ich finde den weiblichen Einfluss in der Landwirtschaft nicht nur wichtig, sondern geradezu existenziell, wenn wir eine veränderte, nachhaltige und sozial, ökologisch und ökonomisch verträgliche Landwirtschaft wollen.
 
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Julia Fischer: „Deshalb ist es wichtig, dass beide Geschlechter auf den Höfen anwesend und auch gleichermaßen entscheidungsberechtigt sind.“ (Foto: privat)
 
Unterstützen Sie mit diesem Narrativ nicht auch klassische Rollenbilder von Mann und Frau, die der Feminismus aufbrechen will?
 
Ich will den Männern nichts unterstellen oder Rollenbilder bestärken, aber ich bin der Überzeugung, dass der weibliche und im Besonderen der mütterliche Blick in der Viehwirtschaft, etwa wenn es darum geht, Kälber von ihrer Mutterkuh zu trennen, sehr wichtig ist. Das bestätigt auch meine Erfahrung. Der weibliche Blick ist anders, wertvoll und kann Veränderung anstoßen.
 
Gleichzeitig ist es aber wichtig, dass Männer über ihre Gefühle sprechen dürfen und einen weicheren, vielleicht weiblich gelesenen Blick entwickeln.
 
Absolut. Deshalb ist es wichtig, dass beide Geschlechter auf den Höfen anwesend und auch gleichermaßen entscheidungsberechtigt sind. In meinem Beispiel haben wir mit der Milchwirtschaft aufgehört, weil ich es nicht mehr vertreten konnte, die Kälber wegzugeben. Mein Vater konnte mein Argument verstehen und wir setzten den Umstieg gemeinsam um. So kann das Kalb bei der Mutter bleiben, bis es zum Schlachthof kommt, und es ist ein geschlossener Kreislauf.
 
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Julia Fischer: „Wir hätten meiner Meinung nach das Zeug zu einer nachhaltigen und fairen Vieh- und Berglandwirtschaft.“ (Foto: privat)
 
Wie könnte die Kälberproblematik in der Milchwirtschaft aus Ihren Augen angegangen werden?
 
Leider sind die Kälber von Milchkühen nicht mastfähig, deshalb werden sie oft zum Null-Tarif in andere Länder transportiert. Die Lösung dieser Problematik ist komplex und verlangt nach einem umfangreichen strukturellen Transformationsprozess. Dazu gehört beispielsweise die Haltung von Zweinutzungsrassen am Hof, nämlich Mast- und Milchvieh.
Wir sind betrieblich klein strukturiert und somit in meinen Augen flexibler und anpassungsfähiger.
Um den hohen Bedarf an tierischen Produkten zu günstigen Preisen zu decken, hat ein landwirtschaftlicher Betrieb oft nicht den Luxus, über Tierwohl nachzudenken. Das Essen kommt vor der Moral. Es geht zum einen um eine Reduktion des Konsums von tierischen Produkten. Zum anderen um eine faire Bezahlung der Bäuerinnen und Bauern für ihre wertvolle Arbeit der Lebensmittelerzeugung. Der Zeitgeist geht in diese Richtung und wir müssen uns in der Landwirtschaft neu aufstellen, um überleben zu können. Konsument*innen können dazu beitragen, indem sie weniger tierische Produkte zu einem fairen Preis kaufen.
 
Wieso hat genau Südtirol das Potential, ein Vorreiter für eine nachhaltige Entwicklung zu werden?
 
Südtirol ist im Vergleich zu Deutschland ein kleines Land. Wir sind betrieblich klein strukturiert und somit in meinen Augen flexibler und anpassungsfähiger. Wir hätten meiner Meinung nach das Zeug zu einer nachhaltigen und fairen Vieh- und Berglandwirtschaft, aber es braucht Veränderung und die nötigen politischen Rahmenbedingungen und wahrscheinlich müssen diverse Anreize geschaffen werden, damit alle mitziehen.
In jedem Fall ist es einer meiner Wünsche, eine tiergerechte und nachhaltige Berglandwirtschaft in Südtirol zu entwickeln. Das Potenzial ist da, es muss nur noch von allen Akteur*innen erkannt und in die richtige Richtung gelenkt werden.
 
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josef burgmann Do., 24.08.2023 - 13:27

Antwort auf von Elisabeth Garber

Alles wunderbar, es gibt nur ein großes Problem: Nachhaltig wirtschaften heißt leider auch, daß sich der Betrieb langfristig rechnen muss!! Solange man die Bürokraten, die die produktiv arbeitenden Menschen in vielerlei Hinsicht behindern, mit billigen Lebensmitteln ernähren will, wird es bei guten Ansätzen bleiben.
Bezüglich Patriarchat: Ob Frau oder Mann, die Entscheidungsprozesse sollten, bzw. werden, in einem guten Betrieb sowieso gemeinsam getroffen.
Bei der körperlichen Arbeit, je nach Betrieb, gibt es geschlechtsbezogene Grenzen.

Do., 24.08.2023 - 13:27 Permalink