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Fensterl`n am Berg

Im Bergfilm „Der große Sprung“ aus den 1920er Jahren steigt Luis Trenker der flinken Leni Riefenstahl hinterher. Eine Drehmotivsuche mit dem Enkel des Regisseurs.
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Foto: Der große Sprung

salto.bz: Sie pflegen das Erbe Ihres Großvaters, dem Bergfilmpionier Arnold Fanck. In den vergangenen Tagen waren Sie auf der Suche nach einem Drehmotiv in den Dolomiten. Warum?

Matthias Fanck: Am 10. März erhielt ich eine Mail von einem Bergfilm-affinen Deutschprofessor am St. Olaf College, Northfield, Minnesota. Für ein Buchprojekt hatte er eine Frage an mich: „Ich suche den Ort, wo die Kletterszene am Anfang von „Der große Sprung“ (1927) gedreht wurde, sodass ich den Berg in einer Fußnote identifizieren kann.“ Mein Großvater schrieb in seiner Autobiografie dazu lediglich „Fensterltürme in den Dolomiten“. Aber die Fensterltürme gibt es scheinbar gar nicht, und der Fensterlturm mit seinem berühmten Fenster ist es nicht. Der sieht ganz anders aus.


Am Ende war es eine historische Postkarte, die Ihnen weiterhelfen konnte?

Ja, aber der erste entscheidende Hinweis kam von Christian Kaufmann aus Welschnofen, der ein großer Kenner des Rosengarten-Gebietes ist. Dann fand ich eine alte kolorierte Ansichtskarte bei ebay: „Rosengartengruppe: Gespreiztes Mandl und 2 Finger.“ Genau die sind’s. Eine echt skurrile Felsgruppe, abseits der vielbegangenen Wanderwege am Grasleitenpass. Ich fragte mich dann aber, weshalb diese Felsen im Internet so wenig präsent sind. Waren sie vielleicht eingestürzt, nachdem Leni Riefenstahl barfuß darauf rumgeklettert ist? Ich muss dazu sagen, dass es der zweite Film meines Großvaters mit Riefenstahl als Darstellerin war.


Und gibt es sie noch, die Felsformationen? Die Dolomiten sind ja in Corona-Zeiten so leer wie schon lange nicht mehr. Ist das gesuchte Motiv noch da?

Das Felstor „Gspreiztes Mandl“ steht auf jeden Fall noch, das war schnell klar. Christian Kaufmann hat ein Bild geschickt und eine Karte. Aber die Türme, die „Zwei Finger“? Über die Pächter der Grasleitenpasshütte haben wir nun Gewissheit. Fast einhundert Jahre, nachdem der Film „Der große Sprung“ gedreht wurde, sind diese fragilen Felsgebilde immer noch da. Nur Wenige kennen sie und ich frage mich, wie der Großvater und sein Team von dem magischen Ort erfahren haben und wie sie mit dem ganzen Equipment – unter anderem die ersten Spiegelreflex-Filmkameras der Filmgeschichte – bis dahin gekommen sind.

Welche Rolle spielt der Film „Der große Sprung“ im Schaffenswerk Ihres Großvaters?

Es war sein sechster großer Film, den ersten drehte er 1919/20. Und es war eine sarkastische, humorvolle Reaktion auf die negativen Kritiken zu „Der heilige Berg“, der Film davor, in dem Riefenstahl ihre erste Filmrolle spielte. Ein ganz giftiger Rezensent bezeichnete sie damals als „ölige Ziege“. Also ließ Fanck sie im „Großen Sprung“ eine Ziegenhirtin spielen. Herausgekommen ist eine echte Groteske, eigentlich einer der wenigen deutschen Slapstick-Filme dieser Zeit.


Was weiß man zur Rolle Luis Trenkers im Film „Der große Sprung“?

Für Trenker war es die letzte Rolle in einem Fanck-Film und das Ende der Zusammenarbeit mit ihm. 1928 drehte er seinen ersten eigenen Film „Der Kampf ums Matterhorn“.

Die liebestolle Filmszene in den Bergen muss auch Adolf Hitler beeindruckt haben. Ausschnitte der in Südtirol gedrehten Bergfilmszene liefen vor wenigen Tagen im Rahmen einer TV-Dokumentation zur Rolle der Frauen im Umfeld des Führers. Wie gehen Sie mit der „braunen Seite“ des Schaffens Ihres Großvaters um?

Ich bin da sehr vorsichtig und versuche mich in seine Situation damals hineinzudenken. Seine besten und erfolgreichsten Filme hatte er kurz vor der Nazi-Zeit gemacht. Für seine Filme hat er mit vielen jüdischen Mitarbeitern eng zusammengearbeitet: Produzenten, Techniker, Musiker, Schauspieler. Noch 1934 hatte er mit jüdischen Produzenten „Der ewige Traum“ gedreht, die Geschichte der Erstbesteigung des Montblanc und sehr zum Missfallen von Goebbels. Als die Nazis an die Macht kamen, war er auf dem Höhepunkt seines Schaffens, war berühmt und wollte natürlich weiter Filme drehen. Das konnte er nur, in dem er sich bis zu einem gewissen Punkt „verbogen“ hat. „Die Tochter des Samurai“, sein Japanfilm von 1937 spricht da eine deutliche Sprache, noch mehr allerdings „Ein Robinson“ von 1939, in Südamerika gedreht. Er hat sich allerdings im Nachhinein von diesem Werk distanziert, weil ihm die Einflussnahme doch zu weit ging. Wie viele Andere in dieser Zeit hatte aber auch Arnold Fanck in seinem Denken und Schreiben anti-semitische „Beitöne“. Schwer, das aus heutiger Sicht zu be- oder verurteilen.

Leni Riefenstahl und Luis Trenker in der "Der große Sprung" / Quelle: Youtube


Sie behüten das Erbe Ihres Großvaters, bereiten es für Gegenwart und die Nachwelt auf. Der Film „Der große Sprung“  wurde restauriert und – als Stummfilm – immer wieder musikalisch neu aufbereitet. Ist ein weiteres Projekt geplant?

Im Moment werden „Der Berg des Schicksals“ aus dem Jahr 1924 – auch ein Stummfilm – und der erwähnte „Der ewige Traum“ restauriert, d.h. in bester Auflösung abgetastet, gescannt und digital behutsam repariert, von Fehlern und Kratzern befreit. Die Grundlage für solche Restaurierungen sind ja immer alte Filmkopien, die meist viele Beschädigungen aufweisen. Da kann man digital eine ganze Menge wiedergutmachen. Die technische und finanzielle Seite der genannten Restaurierungen stemmt die Murnau Stiftung in Wiesbaden bzw. das Deutsche Filminstitut & Filmmuseum in Frankfurt. Ich rege nur an.