Kultur | Salto Afternoon

König "Verlorenherz"

Marcel Zischg würde gern einmal eine Heldenfigur in einem Märchenkönigreich sein. Mit seinen Märchen möchte er Kinder zum Lachen und Nachdenken anregen.
p1080220.jpg
Foto: Foto: SAAV

Mitte Februar stellte die Südtiroler Autorinnen und Autorenvereinigung (SAAV) im Rahmen des Leseabends SAAV DreiPunktNull die neuen Mitglieder vor. 
SALTO bringt sie online, mit Fragebogen und Textauszug. Teil 5: Marcel Zischg

 

Wenn du dir drei Räume aussuchen kannst, in denen du dich verorten möchtest: Wie schauen sie aus?
Ich würde gern einmal eine Heldenfigur in einem Märchenkönigreich sein. Dann würde ich gern für einen Tag noch einmal zurück in meine Kindheit, die sehr schön war. Ich glaube, dass ich geographisch gesehen kein reiselustiger Mensch bin.

Ein selbst geschaffener Neologismus?
Verlorenherz – ein Kompositum; das ist der Titel meines ersten Märchenromans, der bald erscheinen wird.

Der große schwarze Hund sprang aus dem Fernseher und stand plötzlich vor der Mutter im Wohnzimmer.

Warum schreiben?
Ich mag das Gefühl, mit meiner Literatur seelische Welten zu erschaffen. Und mit meinen Märchen möchte ich vor allem Kinder zum Lachen oder zum Nachdenken anregen.

Welche Motive tauchen in deinem Schreiben immer wieder auf?
Viele meiner Figuren sind einsam. Ich verwende auch oft märchenhafte Motive, zumeist eingebettet in realen Kontexten. Auch Berge spielen öfter eine Rolle. Interessanterweise wirken die Berge in den Kurzgeschichten aber bedrohlich, herausfordernd oder erdrückend.

Welche Frage möchtest du dir selbst gerne stellen?
Warum habe ich einige bestimmte Geschichten eigentlich geschrieben? Bei einigen weiß ich mir bis heute keine Antwort darauf.
 

Textauszug

Der Hund

„Wirst du bald wieder zu Hause sein?“, fragte die Mutter ihren fünfzehnjährigen Sohn.
„Ja, Mama!“, versicherte er. „In zwei oder drei Stunden! Ich spaziere nur ein Stück den Berg hinauf.“
„Pass gut auf dich auf!“
Er verließ das Haus. Sie ging ins Wohnzimmer, legte sich auf die Couch und machte den Fernseher an.
Plötzlich sah sie ihren Sohn. Auf einem schmalen Pfad spazierte er den Berg hinter ihrem Haus hinauf, zwischen Bäumen und Sträuchern. Sie lächelte.
Ganz hell, sonnig und warm war es im Wald. Die ersten Frühlingsblumen erblühten. Der Junge genoss den Spaziergang und atmete durch.
Doch er war ganz allein auf seinem Weg. Er wurde steiler und steiniger, und der Junge musste tiefer und stärker Atem holen. Es fiel ihm bald schwerer, zu gehen. Er wurde immer langsamer, bis er sich an einen kräftigen Baum stützte, um auszuruhen.
Hinter dem Baum lauerte ein großer schwarzer Hund.
Der große schwarze Hund sprang aus dem Fernseher und stand plötzlich vor der Mutter im Wohnzimmer.
Die Mutter erwachte vor Schreck. Der Fernseher lief – eine italienische Serie, die sie nicht verstand. Nur ein Traum, dachte die Mutter, Gott sei Dank.
Es klingelte an der Haustür. Die Mutter öffnete. Draußen stand ihr Sohn.
„Mama“, sagte er liebevoll, „ich bin auf meinem Weg einem Schäferhund begegnet. Ich möchte ihn gern behalten. Sei doch so lieb und erlaub es!“
Der Hund stand neben dem Jungen und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz.
„Kommt gar nicht in Frage!“, sagte die Mutter, und der Hund knurrte sie an. Er sah zwar nicht aus wie der große schwarze Hund aus ihrem Traum, aber sie mochte keine Hunde und befahl: „Bring ihn sofort zurück zu seinem Besitzer!“ Dann schlug sie ihrem Sohn wütend die Tür vor der Nase zu.
Am Abend kam der Vater nach Hause und fragte nach dem Sohn.
„Er ist weggegangen“, erklärte die Mutter und blickte besorgt auf die Wanduhr in der Küche. Drei Stunden waren vergangen, seit der Junge mit dem Schäferhund vor der Tür gestanden hatte. Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Die Mutter hatte bereits vergeblich nach ihrem Sohn gesucht.
„Er ist in den Wald gegangen“, sagte die Mutter dem Vater, „er … er …“
Endlich klingelte es an der Haustür. Die Mutter ging hin und öffnete.
Der Junge stand mit einem Rotkehlchen vor der Tür, das neben ihm auf dem Boden herumtanzte.
„Ich habe jetzt endlich den Besitzer des Schäferhundes gefunden“, sagte er. „Der Hund ist in guten Händen. Und jetzt ist mir ein Rotkehlchen bis zu dir gefolgt, Mama – einfach so!“
„Wunderbar!“, rief die Mutter begeistert und umarmte den Sohn. „Komm jetzt!“
Als der Sohn ins Haus ging, flog das Rotkehlchen davon.

Aus: Zischg, Marcel: Der verlassene Rummelplatz. Erzählungen. Leipzig: Engelsdorfer Verlag 2016. / SALTO in Kooperation mit: Südtiroler Autorinnen und Autorenvereinigung (SAAV)

Bild
Profil für Benutzer Marcel Zischg
Marcel Zischg Fr., 24.02.2017 - 16:51

Danke für den Kommentar, den ich soeben gelesen habe.
Ja, ich gebe zu, dass die Aussage der Heldenfigur im Märchen von mir etwas unüberlegt kam. Mir war nicht bewusst, dass man das auch so interpretieren kann. Danke, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben.
Und ich habe den Kommentar zu allgemein gehalten. Gemeint habe ich damit, dass mich die psychologische Entwicklung einer männlichen Heldenfigur reizen würde - eine "Individuation" vom Jungen zum Mann als Froschkönig im Märchen. Der Held ist hier ein Frosch. Oder das Märchen von der "Bienenkönigin", in dem ein Held durch Hilfsbereitschaft wächst, weniger durch körperlichen Kampf. Diese Art Helden bewundere ich im Märchen - mich faszinieren also psychologische Botschaften aus den Märchen, die v.a. der Theologe Eugen Drewermann treffend aufzeigt, finde ich. Man wird nach ihm zum Helden im Märchen durch seelisches Wachstum und Reifen. Ich sehne mich danach, in diesem Sinne auch ausgeglichener und wahrhaftiger zu werden.
Aber natürlich haben Sie Recht und man kann diese Aussage ganz anders auffassen. Es gibt auch viele Märchen, die moralisch bedenklich sind. Die Nibelungensage ist m.E. zwar kein Märchen.
Viele Grüße und danke für Ihre Unterstützung und die guten Wünsche! :-) Marcel Zischg.

Fr., 24.02.2017 - 16:51 Permalink