Politik | Nur Musik?

Südtiroler im Nazirock

Die deutsche Neonazi-Szene lädt nach Thüringen zum Rechtsrockkonzert. Der Einladung folgen auch ein paar Dutzend Südtiroler.

Jahr für Jahr pilgern zahlreiche Südtiroler zu den großen und kleinen Rockfestivals im In- und Ausland. Gerne fährt man etwa nach Deutschland – und so könnte man eigentlich nichts berichtenswert daran finden, dass sich am vergangenen Samstag (15. Juli) auch in Themar in Thüringen ein paar Dutzend Südtiroler auf dem Konzertgelände tummelten. Dass die aus Südtirol Angereisten trotzdem in den lokalen Medien landen, verdanken sie der Tatsache, dass “Rock gegen Überfremdung” – so der Name der Thüringer Konzertveranstaltung – als das größte Neonazi-Treffen im deutschsprachigen Raum im heurigen Jahr gilt.

 

Braune Burggräfler

 

Den Beweis für die Präsenz der Südtiroler Gäste liefern nicht zuletzt Fotos, die von den beiden Fotografen Lionel C. Bendtner und Lukas Beyer, die rechtsextreme Aktivitäten in Deutschland beobachten und dokumentieren und für den Störungsmelder-Blog der ZEIT schreiben, vor dem Konzertgelände geschossen und auf die Plattform Flickr geladen wurden. Wer sich die knapp 1.500 Fotos anschaut, entdeckt T-Shirts mit der Aufschrift “Division Südtirol”. Gesichter und Namen der dazugehörenden Träger und ihrer Begleitung wurden am Donnerstag gegen 00.50 Uhr auf der Online-Plattform Indymedia veröffentlicht.

Einige Namen auf der Liste sind bereits im Zusammenhang mit rechtsextrem motivierten Gewalttaten und NS-Verherrlichung, vor allem in sozialen Netzwerken, aufgefallen. “Die Korrektheit der Liste kann von unserer Seite in den meisten Fällen bestätigt werden. Besonders stark vertreten waren junge Männer aus der Völlaner und Naturnser Umgebung, hinzu kamen Personen aus Tisens, dem Passeiertal und Schenna. Auch einige Personen italienischer Muttersprache aus dem Umfeld des ‘Veneto Fronte Skinhead’-Netzwerks aus Sinich waren anwesend”, heißt es von der Antifa Meran.

 

Man kennt sich

 

Dort hat man sich die Fotos genau angeschaut – und “altbekannte Gesichter” entdeckt: ein bereits im Jahre 2008 im Zuge der Operation “Odessa” im Burggrafenamt verhafteter Neonazi; Mitglieder der so genannten “Völlaner Hitlerjugend”, die nicht nur in Zusammenhang mit einer Schlägerei in St. Leonhard im Passeier stehen; einen ehemaligen Freiheitlichen, der von der Partei wegen eines Fotos, das ihn mit Hitlergruß zeigte, ausgeschlossen wurde; ein Mittelsmann zwischen der deutschen und der italienischen rechtsextremen Szene im Raum Meran, der in letzter Zeit immer wieder gemeinsam mit jungen Neonazis unterwegs gewesen sei, so die Antifa. Was die Liste zudem gezeigt habe, “ist, dass sich rechtsextreme und neonazistische Ansichten quer durch alle Gesellschaftsschichten ziehen, Sicherheitsdienstmitarbeiter sind ebenso darunter wie Metzger und Handwerker”.

Doch wie kommen junge Männer aus dem Westen des Landes in das südthüringer Themar? Groß beworben wurde die Veranstaltung weder im Internet noch abseits davon. Musste sie auch nicht, denn man richtet sich an ein Publikum, das sich untereinander bestens kennt. Unter den dubiosen Gästen, die auch aus Russland, Tschechien, Italien und der Schweiz kamen – “Angehörige rechtsextremer Gruppen aus Südtirol, mit den Thüringer Neonazis seit vielen Jahren enge Beziehungen pflegen”, schreibt die Frankfurter Rundschau. Die Verbindungen Südtiroler Neonazis nach Deutschland sind bekannt.

 

Musik und Macht

 

Ebenso bekannt – zumindest in der Szene – waren die Musikgruppen, die am Samstag auf die Bühne durften: Neonazi- und Rechtsrockbands wie “Sleipnir”, “Die Lunikoff Verschwörung”, “Blutzeugen”, “Flak” und “Stahlgewitter” spielten ihre einschlägigen Lieder. Dazwischen traten immer wieder Gastredner auf, darunter Denis Nikitin von der russischen Neonazi-Bewegung “WhiteRex” und Vertreter von Thügida (dem Thüringer Ableger von Pegida), dem “Dritten Weg”, der Rechten – und der verurteilte Holocaust-Leugner und frühere NPD-Vorsitzende Günter Deckert. “Unter dem Namen ‘Rock gegen Überfremdung’ bellen sie ihre Furcht vor dem Untergang des Abendlandes durchs Mikrofon in Tausende kahlrasierte und gescheitelte Köpfe”, schreiben die VICE-Reporter, die vor Ort waren.

Eine für die deutsche Neonazi-Szene illustre Runde, die sogar Kenner überraschte. Angesichts der Verschiedenheit der Gruppen, die sich in Themar eingefunden hatte, war von einem “Schulterschluss” und einer “Machtdemonstration” die Rede. Die Veranstaltung in Themar wurde wohl auch genutzt, um sich zu vernetzen, Kontakte zu knüpfen und Verbindungen zwischen Gleichgesinnten in anderen Ländern herzustellen.

 

Themar – kein Thema?

 

6.000 Besucher zählte die Thüringer Polizei am Samstag in Themar (2016, als das Konzert erstmals stattfand, waren es an die 500 gewesen), die allermeisten davon Männer. In den sozialen Netzwerken, über die die Polizei vor, während und nach ihrem Einsatz auf dem Konzertgelände die Bevölkerung laufend informierte, wurde harsche Kritik laut. Warum hatte die von einem bekannten Neonazi als politische Kundgebung getarnte Veranstaltung überhaupt stattfinden können? Warum schritt die Polizei nicht ein als Hände zum Hitlergruß gestreckt wurden und “Heil-Hitler”-Rufe ertönten? Und wie erklärt man sich, dass Polizeibeamte Teilnehmer des Konzerts offenbar mit Handschlag begrüßt hätten?
Fragen über Fragen, denen sich das Social Media Team der Thüringer Polizei stellt. Ihre Bilanz fällt jedenfalls “größtenteils positiv” aus: 43 Strafanzeigen, unter anderem wegen Verstößen gegen das Waffengesetz und der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen; drei Personen wurden in Gewahrsam genommen, von 440 die Identität festgestellt. Eigentlich nicht berichtenswert?

Im Gegenteil. Für viele heißt es jetzt, noch genauer hinschauen – auch bei uns. Die Teilnahme von über zwei Dutzend Südtirolern sei “sehr bedenklich”, mahnt die Antifa: “Es zeigt nicht nur, wie stark die nationalistische Ideologie bei diesen Männern verankert ist, sondern auch wie fest ihre Strukturen in Südtirol sowie die Verbindungen nach Deutschland immer noch sind. Fakt ist: Das Burggrafenamt und der Vinschgau haben immer noch ein Naziproblem, angesichts dessen die Gesellschaft nicht untätig bleiben kann.” Zur Wachsamkeit ruft auch Giuseppe Tricarico auf. Der Fahndungsleiter der Polizei sagt, man kenne die Südtiroler Szene und behalte sie im Auge. Auch wenn die Teilnahme an einem Konzert wie in Themar allein keinen strafrechtlich relevanten Tatbestand darstelle, so gelte es doch, “jene, die extremistisches Gedankengut wieder aufleben lassen, nie aus den Augen zu verlieren.”.