Gesellschaft | Grenzen der Medizin

Gentherapeutische Medizinprodukte? Jein

Die Zeitschrift "frontiers in medicine" erörtert, warum m-RNA Präparate gegen COVID-19 als Impfstoffe und nicht als Gentherapeutisches Medizinprodukt kategorisiert wurden
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

“Grenzen in der Medizin”

Das Online Portal “frontiers” umfasst insgesamt 200 Fachzeitschriften (journals), in denen peer reviewte Aufsätze, Artikel und Studien  veröffentlicht werden. Dazu zählt auch eine Zeitschrift, die sich "Grenzen in der Medizin" nennt (Frontiers in Medicine). “Eine multidisziplinäre Zeitschrift, die unser medizinisches Wissen erweitert.” Es heißt: “Sie unterstützt die Umsetzung wissenschaftlicher Fortschritte in neue Therapien und Diagnoseinstrumente, die die Patientenversorgung verbessern.”  “Field chief editor” ist Michel Goldman vom Institut pour l'Innovation Interdisciplinaire en Santé, Université Libre de Bruxelles, Brüssel,  Belgien

EU-Regulierung RNA basierter Medizinprodukte

Am 17. Oktober 2022, also vor knapp einem Jahr,  erschien im "Volume 9" ein Artikel von Mathieu Guerriaud und Evelyne Kholi zum Thema: 

"RNA-based drugs and regulation: Toward a necessary evolution of the definitions issued from the European union legislation"

Der Artikel ist Teil einer Serie von neun Artikeln, die sich mit "Regulierungswissenschaft (Regulatory Science)" befassen. 

"Die Ziele dieser Studie bestehen darin, (i) zu überprüfen, wie RNA-Arzneimittel derzeit in der EU rechtlich kategorisiert werden und insbesondere, ob sie unter den Status von Gentherapie-Arzneimitteln (GTMP) fallen, einem regulatorischen Status, der zu Arzneimitteln für neuartige Therapien (ATMP) gehört, [...]

Die Überprüfung erscheint dringend notwendig,  “(ii) um die durch diese Klassifizierung verursachten Probleme zu diskutieren, mit Schwerpunkt auf der Heterogenität des Status dieser Produkte, den Unterschieden zu den amerikanischen und ICH-Definitionen und den möglichen Auswirkungen auf die Sicherheitsanforderungen."

Kurz. Die aktuelle Klassifizierung gemäß einer aus dem Jahr  2001 stammenden Legislation "verursacht Probleme”. Der rechtliche Rahmen müsste weiterentwickelt werden, und eine Homogenisierung im “Status dieser Produkte” erarbeitet werden. Auch mit Hinblick auf die Definitionen beispielsweise in den USA. 

Denn es geht  unter anderem auch um die "Sicherheitsanforderungen" wie auch die abschließende Diskussion  des Artikels wiederholt feststellt. Dies gilt v.a. für jene RNA-Medizinprodukte, die als "Impfstoffe" gehandelt werden.

Aktueller “Regulierungs-Status” für RNA- Medizinprodukte. “In Entwicklung”

Die  Einleitung des Artikels bietet mit Tabelle 1 einen ersten Überblick über "Beispiele für RNA-basierte Medikamente, die derzeit oder früher auf dem Markt sind oder sich in der Entwicklung befinden."

Die Spalte "Typ of RNA" ist mit dem Beispiel "mRNA [messenger ribonucleic acid/Boten-Ribonukleinsäure]" angeführt. In sechs Zeilen werden die Unterkategorien benannt und in der Spalte rechts davon einzelne konkrete Beispiele benannt. Es fällt auf:

  •  Fünf der sechs Beispiele sind farblich gelb hinterlegt und  mit dem "Regulierungs-Status" (regulatory status) [...] in Entwicklung (under development)" GTMP bzw. sCTMP gekennzeichnet.
  • Nur ein Beispiel ist mit dem "Regulierungs-Status" (regulatory status) [...] in Entwicklung (under development)" Vaccine eingestuft. Dieses Beispiel benennt die beiden Produkte "Comirnaty®" und "Spikevax®", jene beiden  m-RNA Produkte von BioNtech-Pfizer und Moderna, die sich unter den sog. Covid-"Impfstoffen"  durchgesetzt haben. In der Spalte "Therapeutic indication" wird "active immunization to prevent COVID-19 caused by SARS-CoV-2-virus" angegeben.

Nicht (mehr) zeitgemäße Regulierung

Der Artikel stellt fest. Die zur Zeit gültige EU Legislation wurde zu einer Zeit verfasst, bevor die meisten RNA Produkte überhaupt erst in Entwicklung waren. Somit ergebe sich der Umstand, dass ähnliche Medizinprodukte aktuell unterschiedlich kategorisiert werden und damit automatisch in einen unterschiedlichen Rechtsstatus fallen. 

Die aktuelle Entwicklung in der RNA-Technologie mache es möglich, ähnliche RNA-basierte Medizinprodukte “für unterschiedliche Ansätze” zu produzieren, was die rechtliche Lage zunehmend kompliziert gestalte.  Beispiele für diese Feststellung folgen im weiteren Verlauf des Artikels. Somit wird klar:

  • Dass beispielsweise sog. "Krebsimpfoffe" einen "heilend"-en Ansatz verfolgen, folglich als "therapeutische Impfstoffe" gelten und daher in die Kategorie sCTMP eingeordnet werden. Die Kriterien von GTMP [Gentherapeutisches Medizinprodukt] seien nicht ganz erfüllt.
  • Hingegen verfolgen die "Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten" einen prophylaktischen (vorbeugenden) Ansatz und fallen somit in die Kategorie Vaccine (Impfstoffe).

Doch diese Zuordnung ist nicht ganz unproblematisch.

Kategorisierung im Überblick 

Die momentane Einordnung der RNA-basierten Produkte ist  nämlich alles andere als plausibel. Insgesamt fallen die genannten Produkte zwar eindeutig in die Sparte "Biological medicinal products". Diese unterteilt sich in vier Unterkategorien. Die Frage ist nun, in welche Unterkategorie, wissenschaftlich gesehen, die RNA-basierten Produkte eingeordnet werden müssten. 

In Entsprechung zur aktuellen Legislation (Directive 2001/83/EC cited above , Article 1, §4) sieht die Zuordnung so aus:

  • Unterkategorie 1 "Immunological medicinal products" umfasst nebst Toxinen, Allergenprodukten und verschiedenen Seren auch die "Vaccines" (Impfstoffe). 
  • Unterkategorie 4 "Advanced therapeutic medicinal products (ATMP)" umfasst neben "biotechnologisch bearbeiteten Gewebeprodukten (TEP)" auch die beiden Kategorien, die in den Beispielen von Tabelle 1 mit GTMP und sCTMP gekennzeichnet wurden.

Laut Tabelle 1 fallen die mRNA- "Impfstoffe" von BioNtech-Pifzer und Moderna aktuell in die Unterkategorie 1. Denn ihr “Ansatz” ist ein "immunologischer". D.h.: Die aktuelle Zuordnung geht allein vom medizinisch deklarierten Ansatz aus. Nicht jedoch von der objektiven Beschaffenheit und Eigenheit des Präparates. Das wirft "Probleme" auf.

Unterkategorie 1: Immunologische Medizinprodukte, Kategorie "Impfstoffe"

Die EU Direktive 2001/83 definiert als Impfstoffe  “agents used to produce active immunity, such as cholera vaccine, BCG, polio vaccines, smallpox vaccine.”   Also Agenzien, die eine "aktive Immunität" erzeugen. Hierzu ergänzt das Europäische Arzneibuch: “preparations containing antigens capable of inducing a specific and active immunity in man against an infecting agent or the toxin or antigen elaborated by it” (32). [Hervorhebung von mir]. Zu Deutsch: 

"Präparate, die Antigene enthalten, die fähig sind, im Menschen eine spezifische und aktive Immunität gegen einen Infektionserreger oder das von diesem gebildete Toxin oder Antigen zu induzieren [bewirken]". 

Der Widerspruch [aus meiner Sicht]

Doch trifft diese Definition bei den beiden m-RNA Präparaten von Biontech Pfizer und Moderna überhaupt zu? Aus meiner Sicht nicht. Denn zieht man das  “European Vaccination Information Portal” zu Rate, dann erfährt man: “eine geschwächte oder inaktivierte (abgetötete Form eines Virus oder Bakteriums ) bzw. ein kleiner Teil des Virus oder Bakteriums, der keine Krankheit verursachen kann. Dies wird als Antigen bezeichnet. “ [Hervorhebungen stammen von mir]

Bei den  anfänglich mit "bedingter Marktzulassung" ins Geschäft gekommenen Präparate von BioNtech-Pfizer und Moderna trifft hingegen zu, was dasselbe Informations-Portal wie folgt ausdrückt: “Anstelle eines Proteins enthalten mRNA- und virale Vektorimpfstoffe Anweisungen für die menschlichen Zellen, wie sie ein Antigenprotein herstellen sollen.” [Hervorhebungen stammen von mir]

Unterkategorie 4: Arzneimittel für neuartige Therapien, Kategorie GTMP (Gentherapeutische Medizinprodukte)

Bei der Kategorie sCTMP handelt es sich um somatische zelltherapeutische Medizinprodukte. Die Kategorie GTMP bezeichnet hingegen sog. gentherapeutische Medizinprodukte, die unter RNA-basierten Medikamenten am verbreitetsten sind. Auch hierzu gibt es in der EU Direktive von 2001/83 eine Definition. 

Das Dilemma 

Der hier zugrunde gelegte Artikel aus dem Fachzeitschriften Portal "frontiers" zitiert daraus einen wesentlichen Satz: "Gene therapy medicinal products shall not include vaccines against infectious diseases.” Zu Deutsch

 Gentherapeutische Arzneimittel dürfen keine Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten umfassen

Ein Dilemma. Bedeutet dies doch, dass Medizinprodukte, die als "Impfstoffe" daherkommen nicht in die Kategorie der Gentherapeutischen Medizinprodukte aufgenommen werden dürfen. Auch wenn m-RNA basierten Medizinprodukte laut beratendem Gremium der EMA, das sog. CAT (Committee for Advanced Therapies), der Definition eines Gentherapeutischen Medizinproduktes/ GTMP entsprechen. Die Autoren des Artikels verweisen in der Fußnote (36) auf folgende Quelle, die leider nicht abrufbar zu sein scheint:

“European Medicines Agency. Committee for Advanced Therapies. Minutes of the Meeting on 02-04 December 2020. EMA/CAT/162004/2021. Amsterdam: European Medicines Agency (2021).” Google Scholar.  

m-RNA per definitionem ein Gentherapeutisches Medizinprodukt

Der hier zugrunde gelegte Artikel von "frontiers" besagt unter dem Titel "General case for mRNA in therapeutics" [und dabei handelt es sich hier nicht um meine persönliche Meinung, sondern um eine Zitat aus dem Artikel]:

  • "Das Committee for Advanced Therapies ( CAT; dieses beratende Gremium, das der EMA unterstellt ist und für die Abgabe unverbindlicher Stellungnahmen zu ATMPs, einschließlich ihrer Klassifizierung, verantwortlich ist) hat entschieden, dass eine mRNA der Definition eines gentherapeutischen Arzneimittels (GTMP) entspricht. ( 36  Google Scholar) [...]
  • Tatsächlich handelt es sich bei diesen mRNAs um biologische Arzneimittel, da sie aus einer biologischen Quelle hergestellt werden, z. B. einem DNA-Plasmid, das in vitro durch rekombinante Enzyme transkribiert wird.
  • Darüber hinaus wird die auf diese Weise hergestellte mRNA als rekombinante Nukleinsäure betrachtet. Dieser Punkt wird weiter erläutert im Absatz 'Die Klassifizierung einiger RNA-basierter Arzneimittel in den GTMPs unterstreicht die Notwendigkeit einer Definition des Begriffs 'rekombinant' und einer Ausweitung auf andere genetische Techniken.'
  • Schließlich entspricht aus Sicht des CAT die Verabreichung von mRNA einer 'Hinzufügung einer genetischen Sequenz'“  [Hervorhebungen stammen von mir]

Der wohl entscheidende Fakt dürfte mit dem letzten Satz ausgedrückt sein: "Hinzufürung einer genetischen Sequenz". Demnach müssten die beiden m-RNA Präparate von Biontech/Pfizer und Moderna im objektiven Sinn oder zumindest nach Einschätzung des Beratungsgremiums, das die EMA berät, als Gentherapeutisches Medizinprodukt / GTMP kategorisiert werden. Da die beiden Präparate allerdings einen “immunologischen” "Ansatz"  verfolgen, gibt es für dieses Dilemma nur eine Lösung. 

Die Lösung: "Ein behördliches Verbot"

Die Lösung erscheint relativ einfach. Immerhin sind die Stellungnahmen des Komitees, das inklusive der aktuellen Vorsitzenden aus der EMA aus 12 Mitgliedern verschiedener anderer Komitees und Behörden zusammengesetzt ist, unverbindlich. Also scheint die einfachste und direkteste Lösung des "Problems" in dem zu liegen, was der hier zugrunde gelegte Artikel von "frontiers" wie folgt feststellt: 

"Tatsächlich gibt es ein behördliches Verbot, mRNA-basierte Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten [...], in den Anwendungsbereich der GTMPs einzubeziehen"

"Problem" gelöst?! So scheint es. Allerdings, meiner Meinung nach, mit ein bisschen behördlicher Willkür.

“Diskussion”

Der hier zugrunde gelegte Artikel von “frontiers in medicine” umfasst noch jede Menge weitere Unterkapitel und Gedankengänge. Ihnen folgt eine “Diskussion”. Diese kommt zum Schluss:

“Daher sollten RNA-basierte Arzneimittel, die nicht als GTMPs kategorisiert sind, wie z. B. mRNA-Impfstoffe und ncRNA, zumindest spezifischen Richtlinien unterliegen.”

"Sollten"! Doch was heißt das? Dass sie "spezifischen Richtlinien" unterliegen? Nein. Sie "sollten" aber. Warum? Wegen des medizinischen Grundsatzes "primum non nocere" (zuallererst nicht schaden).

Primum non nocere

Ernüchternd wird festgestellt: “Obwohl die von der ICH vorgeschlagene internationale Harmonisierung unvermeidlich und wünschenswert erscheint, wird sie jedoch nicht alle Probleme der Kategorisierung lösen. Die bevorstehende Überarbeitung der europäischen Vorschriften, die die ICH-Definition einbeziehen sollte, könnte zu mehr Klarheit bei der Kategorisierung, aber auch zu mehr Wachsamkeit führen. Dies wird erforderlich sein, da eine geringfügige Änderung der Vorschriften unerwartete kaskadenartige Auswirkungen auf zukünftige und vergangene Kategorisierungen haben könnte. Daher sollte in Regulierungsfragen der Grundsatz des primum non-nocere angewendet werden." [Hervorhebung von mir]

Daher sollte in Regulierungsfragen der Grundsatz des primum non-nocere angewendet werden.

Tatsächlich scheint der Grundsatz "primum non-nocere" (in erster Linie nicht schaden) auf der Basis des momentanen Rechtsstatus zu kurz zu kommen. Denn: “Impfstoffe” müssen nicht dieselben “Sicherheitsanforderungen” erfüllen wie die Gentherapeutischen Medizinprodukte/GTMP. Mit entsprechenden Auswirkungen auf die Marktzulasung (marketing authorization/MA).  

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Wilhelm B.L Fr., 22.09.2023 - 16:46

Antwort auf von Wilhelm B.L

Nachtrag. Um in der Corona-Aufbereitung voranzukommen, bedarf es zunaechst eines guten detektivischen Riechers fuer Machenschaften. Hier hilft die Volksweisheit: "Was aussieht, auf 4 Beinen laueft und miaut wie eine Katze" ist hoechswahr scheinlich auch eine Katze.

Fr., 22.09.2023 - 16:46 Permalink