Politik | Sonderweg

Der Weihnachtssegen hängt schief

Die Verordnung mit den Südtiroler Corona-Regeln für die Feiertage ist da. Zwei Sektoren und ihre mächtigen Verbände – aber nicht nur – laufen Sturm.
Weihnachten 2020
Foto: Martin Vysoudil on Unsplash

Noch bevor die Unterschrift gesetzt ist, ist klar: Mit der Verordnung, die den “Südtiroler Weihnachtsweg” vorgibt, sind längst nicht alle einverstanden. Freitag Nacht hat der Landtag mit einem Artikel im Haushaltsgesetz die gesetzliche Basis geschaffen, um andere Regeln über die Feiertage zu erlassen als sie das Gesetzesdekret der Regierung in Rom vorsieht. Bedingungslose Bewegungsfreiheit untertags, dafür aber so gut wie völlige Schließung von Gastronomie und Handel. Das die Regeln, die Landeshauptmann Arno Kompatscher am Wochenende für den Zeitraum vom 24. Dezember 2020 bis 6. Jänner 2021 angekündigt hat.

Am Montag Abend unterzeichnet er schließlich die entsprechende Verordnung Nr. 76. Die betroffenen Wirtschaftssektoren laufen Sturm. Und auch aus der eigenen Landtagsfraktion erntet der Landeshauptmann Kritik.

 

Was von 24. Dezember bis 6. Jänner gilt

 

  • Bars und Restaurants bleiben geschlossen, Abholservice (bis 20 Uhr) und Lieferservice (bis 22 Uhr) sind möglich.
  • Einzelhandelsbetriebe bleiben geschlossen – allerdings mit einer Reihe von Ausnahmen:
    • Supermärkte, Lebensmitteleinzelhandel, Apotheken, Para-Apotheken, Zeitungskioske, Tabaktrafiken dürfen offen halten, auch an Sonn- und Feiertagen
    • der Einzelhandel mit Grundbedarfsgütern laut Anlage 1 der Verordnung ist erlaubt, muss aber an Sonn- und Feiertagen schließen – darunter fallen eine Vielzahl von Betrieben wie z.B. Sportartikel-, Elektro-, Optik-, Spielwaren-, Kinderbekleidungsgeschäfte oder Parfümerien und Wanderhandel; diese dürfen also am 24., 28., 29., 30., 31. Dezember sowie am 4. und 5. Jänner offen halten
    • völlig geschlossen bleiben indes u.a. Bekleidungs- und Schugeschäfte
    • Märkte sind nicht erlaubt, mit Ausnahme des Verkaufs von Lebensmitteln, Produkten der Landwirtschaft und des Gartenbausektors
  • Dienste an der Person sind ausgesetzt, ausgenommen Wäschereien, Bestattungsdienste, Friseur- und Friseursalondienstleistungen. Die Bewegungsfreiheit bleibt auf dem gesamten Landesgebiet untertags aufrecht
  • von 5 bis 22 Uhr kann man sich auf dem gesamten Landesgebiet frei bewegen; es wird dringend empfohlen, keine öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, außer für dringliche oder notwendige Zwecke
  • von 22 bis 5 Uhr gilt eine Ausgangssperre, mit der Möglichkeit, sich aus Arbeits- und Gesundheitsgründen sowie dringenden Notwendigkeiten mit einer Eigenerklärung zu bewegen
  • Hotels bleiben offen, deren Dienste dürfen jedoch nur Gäste, die dort übernachten, beanspruchen.
  • Feiern im engsten Familienkreis sind erlaubt; es wird nachdrücklich empfohlen, den Kreis der Feiernden klein zu halten und über die Feiertage neben den engsten Verwandten (Großeltern, Eltern bzw. Lebenspartner und Kinder) höchstens zwei weitere nicht zusammenlebende Personen zu treffen. 
  • Feste und Events im Freien, in Privatwohnungen oder in den Beherbergungsstrukturen sind nicht erlaubt; in den Beherbergungsbetrieben müssen die Gemeinschaftsräume um 23 Uhr geschlossen werden
  • ab sofort können Orte der Offenen Jugendarbeit für die Betreuung von Jugendlichen zugänglich sein, die eine besondere Notwendigkeit der Begleitung haben

Die aktuelle Verordnung enthält auch die Bestimmung, dass die schulischen und didaktischen Aktivitäten in den Oberschulen und in den Berufsschulen ab 7. Jänner für maximal 75 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Präsenz erteilt wird.

“Wir setzen auf die Eigenverantwortung der Menschen in Südtirol und lassen etwas mehr Bewegungsfreiheit zu, allerdings verbunden mit dem Appell, sie nicht für Besuche von Verwandten oder Freunden zu Hause auszunützen”, meint Landeshauptmann Arno Kompatscher. Und weiter: “Beweisen wir gerade an Weihnachten Solidarität und Gemeinschaft, schränken wir unsere Kontakte ein, tragen wir den Mund-Nasen-Schutz, halten wir Abstand und achten wir auf Hygiene.”

 

Der Aufstand der Verbände

 

Warum muss Südtirol strenger sein als Italien? Diese Frage stellen sich die großen Interessenverbände hds und HGV. Es gehe nicht an, dass die beiden Sektoren bzw. Restaurants, Bars und der Nicht-Lebensmittel-Einzelhandel “bestraft” würden, tönen die Präsidenten von hds und HGV, Philipp Moser und Manfred Pinzger. Beide betonen: Weder der Handel noch die Gastronomie seien Corona-Hotspots. “Die Infektionszahlen sind trotz totaler Schließung der Beherbergungs- und Gastronomiebetriebe vom 4. November bis zum 3. Dezember weiter nach oben gegangen. Und auch nach der Aktion ‘Südtirol testet’ von 20. bis 22. November und mit nur teilweise geöffneter Gastronomie ab 4. Dezember sind die Infektionszahlen immer noch relativ hoch. Derzeit weist Südtirol eine Sieben-Tage-Inzidenz von rund 250 auf”, rechnet Pinzger vor. “Somit scheinen die Gastronomiebetriebe keine signifikante Größe im Infektionsgeschehen darzustellen.” Gleich wie die Gastronomie habe auch der Einzelhandel seine Hausaufgaben gemacht, und “strenge Vorschriften und Hygienekonzepte eingehalten”, ergänzt Moser.

Laut Gesetzesdekret der Regierung ist an den vier “orangen” Tagen (28., 29., 30. Dezember und 4. Jänner) der Handels- und Gastronomiebetrieb erlaubt – letzterer, wie auch an den “roten Tagen” (24., 25., 26., 27., 31. Dezember sowie 1., 2., 3., 5. und 6. Jänner) nur eingeschränkt mit Take Away und Lieferservice bis 22 Uhr. Für Pinzger steht fest: Südtirol hätte im Gastro-Sektor lockerer statt strenger als der Staat sein sollen. Zumindest das Mittagsgeschäft hätte erlaubt bleiben sollen, findet der HGV-Präsident. Sein Argument: “Gesellige Treffen verlegen sich verstärkt in private Räumlichkeiten und somit in ein kaum kontrollierbares Umfeld. Der Appell an die persönliche Verantwortung ist löblich. Besser wäre es aber, die Treffen könnten in Gastbetrieben stattfinden, wo seitens des Gastgebers für die Einhaltung der AHA-Regeln gesorgt wird und die Kontrollorgane die Einhaltung auch überwachen können.”

Eine teilweise Öffnung sei angebracht und notwendig gewesen, findet Helmut Tauber. Der SVP-Landtagsabgeordnete und HGV-Bezirksobmann im Eisacktal kritisiert die Entscheidung für den dritten Gastro-Lockdown. “Unsere Restaurants, Gastwirte, Sterne- und Haubenköche sowie Barbetreiber blicken aufgrund des entgangenen Abendgeschäfts im Dezember und des erneuten vollständigen Lockdowns bis 6. Jänner einer unsicheren wirtschaftlichen Zukunft entgegen. Entsprechend außer sich sind viele.”

Der SVP-Parteiobmann versucht den Spagat zwischen den Positionen. Die Bewegungsfreiheit zu gewährleisten sei “absolut notwendig” – auch als Signal in Richtung Rom, meint Philipp Achammer. “Wenn es nach Gesundheitsminister Speranza gegangen wäre, hätte am liebsten jede und jeden zu Weihnachten zuhause eingesperrt.” Als Wirtschaftslandesrat muss Achammer aber auch den Betrieben Zusagen machen. Es wird Unterstützungsmaßnahmen geben, sichert er zu. “Nach Klärung der Entschädigungszahlungen über die Dekrete ‘Ristori’ muss in einem zweiten Schritt die Grundlage dafür geschaffen werden, damit wir unseren Betrieben mit angemessenen Landesmitteln durch die Krise helfen können.”

Besänftigen lassen sich die Verbände damit nicht. “Es geht nicht darum, jetzt Ausgleichszahlungen einzufordern, Handel und Gastronomie müssen weiterarbeiten dürfen”, fordert hds-Präsident Moser freie Fahrt für den gesamten Einzelhandel. Und HGV-Präsident Pinzger erklärt den vom Landeshauptmann angekündigten “Südtiroler Weg” zu Weihnachten und Neujahr kurzerhand für “gescheitert”.

 

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Thomas Unterwinkler Di., 22.12.2020 - 17:53

Die Herren Moser und Pinzger sollten vielleicht nicht nur Richtung Süden, sondern auch mal Richtung Norden schauen. In Österreich und Deutschland bleiben Gastronomie und Geschäfte nach Weihnachten ebenfalls zu, und das obwohl sowohl Österreich (160) als auch Deutschland (198) eine deutlich bessere 7-Tages-Inzidenz als Südtirol (250 nur PCR, 380 (!) PCR & Antigen) aufzuweisen haben.
Im Übrigen ist es nicht richtig, dass Gastronomie und Geschäfte bei der Ausbreitung des Virus keine oder nur eine geringe Rolle spielen würden:
https://futurezone.at/science/restaurants-und-fitnesscenter-als-corona-…

Di., 22.12.2020 - 17:53 Permalink
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Günther Schwei… Di., 22.12.2020 - 23:18

"Weder der Handel noch die Gastronomie seien Corona-Hotspots"
Das RKI (Robert Koch Institut) stellt die gemeldeten COVID-19 Fälle nach Infektionsumfeld im wöchentlichen Situationsbericht dar.
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situations…
Dabei ist zu beobachten, dass sich das Infektionsumfeld laufend verändert. In den letzten Wochen traten die meisten Infektionen in Alters- und Pflegeheimen auf, gefolgt von Haushalt, Krankenhaus und Arbeitsplatz. Speisestätten scheinen in Deutschland kaum eine Rolle zu spielen, im Gegensatz zu Amerika.
Für Südtirol sind dazu leider keine Daten zu finden.

Di., 22.12.2020 - 23:18 Permalink
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Thomas Unterwinkler Mi., 23.12.2020 - 15:22

Antwort auf von Günther Schwei…

Im RKI-Bericht steht aber auch: „ Für einen großen Anteil der Fälle kann das Infektionsumfeld nicht ermittelt werden.“
Das ist dasselbe, wie in Österreich, als man im November bei 70 % der Fälle den Ursprung nicht mehr ermitteln konnte. Bei den restlichen 30 % war das Infektionsumfeld hauptsächlich der private Bereich. Daraus wurde dann gefolgert (selbst ein hochrangiger Beamter des Gesundheitsministeriums hat das so gemacht!), dass es in Gastro, Handel und Öffis keine Ansteckungen gebe. Das ist natürlich Unsinn! Die Betroffenen wissen es halt, wenn sie sich bei einem kranken Familienmitglied angesteckt haben. Sie können die Ansteckung dagegen nicht zuordnen, wenn sie in der Bar, im Geschäft oder im Bus einer Aerosolwolke ausgesetzt waren.

Mi., 23.12.2020 - 15:22 Permalink
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Thomas Unterwinkler Fr., 25.12.2020 - 20:09

Antwort auf von Günther Schwei…

Mit den Fallzahlen, wie sie derzeit in Südtirol auftreten (200-300 Neuinfizierte pro Tag) ist eine Kontaktnachverfolgung nicht möglich. Bei 250 Neuinfizierten pro Tag, die jeweils durchschnittlich 5 enge Kontakte haben, wären das 1.250 Anrufe pro Tag durch das contact tracing-Team. Dazu hat der Sanitätsbetrieb nie und nimmer die Kapazitäten - leider!
Man braucht sich nur die Zahlen in Bozen anzuschauen: 1.500 derzeit Infizierte, 2.000 Personen derzeit in Quarantäne. Selbst wenn jeder Infizierte nur zwei enge Kontakte gehabt hätte, müssten - zusätzlich zu den 1.500 Infizierten - 3.000 Personen in Quarantäne sein. Es sind aber nur zusätzlich 500 in Quarantäne.
An einer radikalen, langfristigen Eindämmung des Virus führt kein Weg vorbei:
https://www.faz.net/aktuell/wissen/manifest-europaeischer-forscher-radi…

Fr., 25.12.2020 - 20:09 Permalink
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Günther Schwei… Sa., 26.12.2020 - 09:21

Antwort auf von Thomas Unterwinkler

"Dazu hat der Sanitätsbetrieb nie und nimmer die Kapazitäten - leider!"
"Wir sind zu langsam, wir schaffen das Contact Tracing nicht mehr", sagte der Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetiebes, Florian Zerzer bereits Ende Oktober und man hat beschlossen, nur mehr jene Kontakte zu testen, die symptomatisch sind. In der Folge kam es in Südtirol zu einem überproportionalen Anstieg der Neuinfektionen, verglichen mit dem Rest Italiens. Mit dem Massentest Ende November hat man versucht, die Sache wieder in den Griff zu bekommmen, mit geringem Erfolg, denn der berechnete Rückgang der Neuinfektionen hat sich bis heute nicht eingestellt.
Der Sanitätsbetrieb hätte es alleine auch nicht geschafft, den Massentest zu organisieren, man war auf die Hilfe der vielen Freiwilligen angewiesen.
Warum also nicht auch beim "Contact-Tracing", wie das "Ermitteln von Kontaktpersonen einer mit einer ansteckenden Krankheit infizierten Person" so schön auf Neudeutsch genannt wird, auf die Hilfe von Freiwilligen vertrauen? Südtirol hat derzeit über 6.500 Personen in häuslicher Quarantäne und Tausende Personen die gerne arbeiten würden. Ich bin mir sicher, dass sich da Freiwillige finden ließen, die diese Aufgabe übernehmen würden und könnten.

Sa., 26.12.2020 - 09:21 Permalink
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Klemens Riegler Sa., 26.12.2020 - 16:09

Antwort auf von Günther Schwei…

Für die sogenannte Nachverfolgung braucht es vielleicht nicht Dr. med. (verstehe ich übrigens auch nicht), aber 6.500 Personen in Quarantäne können dafür leider auch nicht eingesetzt werden. "Contact Tracing" ist durchaus kompliziert und zeit- und arbeitsintensiv. Es muss eine abgestimmte, konzertierte und gut durchgeplante Aktion sein. Ich kann doch nicht X-1000 X-beliebigen Personen Zugriff auf Datensätze erlauben (Privacy - Datenschutz). Und die erhobenen Daten & Informationen müssen schließlich verarbeitet und verwaltet werden. Es geht bei dieser Arbeit eben leider nicht nur um das Nachfragen Wer Wen Wann zuletzt getroffen hat. Bei einer 7-Tages-Inzidenz von 300 schafft das kein Land und auch keine Provinz der Welt.
Interessanter wäre vielleicht die Variante, indem Betroffene (also positiv Getestete) das selbst tun ... also zumindest alle Menschen mit denen er zuletzt in Kontakt war über seinen Positiv-Status zu informieren. Ist nicht "rechtssicher", aber kann sicher helfen die Verbreitung zu mindern ... weil ich dann wohl noch etwas "vorsichtiger" wäre, wenn mich jemand in dieser Sachen anruft.

Sa., 26.12.2020 - 16:09 Permalink
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Thomas Unterwinkler Sa., 26.12.2020 - 16:50

Antwort auf von Klemens Riegler

Jein. In Deutschland werden Bundeswehrsoldaten nach kurzer Einschulung für die Kontaktnachverfolgung eingesetzt. In Wien wurde das contact tracing-Team binnen kurzer Zeit aufgestockt, indem neue Stellen ausgeschrieben wurden und die neu eingestellten Personen (darunter viele bisher Arbeitslose) eine kurze Einschulung bekamen (zum Jahresende zählt das Team in Wien 750 Mitarbeiter). Grundsätzlich könnte das auch mit Freiwilligen funktionieren. Jede/r, gleich ob angestellt oder freiwillig, muss natürlich eine entsprechende Verschwiegenheitserklärung unterschreiben.
Sehr gut finde ich den Vorschlag, dass positiv Getestete ihre Kontakte selbst „warnen“.
Das Hauptproblem bleibt aber die hohe Zahl der Neuinfizierten. Es fehlen eine klare Zielsetzung (z.B. eine Wocheninzidenz von 50 wie in Deutschland) und die entsprechenden Maßnahmen zur Erreichung dieser Zielsetzung.

Sa., 26.12.2020 - 16:50 Permalink