Bühne | Musik & Poesie

Von fremden Zungen

Im Meraner Stadttheater brachten Ensemble Conductus und Co. „Della Carne e della Lingua“ zur Aufführung. Ein Abend mit „stranen“ Akzenten und den Worten Roberta Dapunts.
Sonora 707 Strange
Foto: SALTO
  • „Strange“ lautet das Jahresmotto der Konzertreihe Sonora 707 und dabei handelt es sich nicht nur um eine ästhetische Zuschreibung zur Werkauswahl. Vielleicht darf dieses „Seltsame“ auch als etwas verstanden werden, das im besten Fall Neugier weckt und unsere Annäherung zu einer achtsamen, respektvollen und möglichst vorurteilsfreien werden lässt. So lautet zumindest die Theorie.

    In der Praxis marschiert am Anfang ein 13-köpfiges Streicherensemble im überopulenten Saal der Kurstadt auf, der Dirigent kommt hinzu und man beginnt zu spielen. Den Auftakt unter der Leitung von Marcello Ferra macht Ottorino Respighis „Antiche danze ed arie per liuto“, eine Suite, die ursprünglich für Lauten gedacht ist. Die Transposition klingt glatt und festlich, ist bis auf wenige kleine Details eine mit dem Strich gebürstete Übertragung. Dem ist so bis der Solist Stefano Valla die Bühne betritt und in seinen Piffero stößt. Das Doppelblatt-Blasinstrument mit geteilter DNA mit der Schalmei gehört in der klassischen norditalienischen Gegend des Apennins typischerweise am Akkordeon begleitet. Hier beginnt sich das Konzert angenehm und spannend seltsam anzufühlen.

    „Levar di Tavola“, eine traditionelle Weise nach einem alten Fragment klingt von Geigen, Bratschen, Cellos und Kontrabass begleitet neu und der Klang des Piffero, wie gesagt ähnlich einer Schalmei, doch schnarrender und ein bisschen mehr nach Schlangenbeschwörung und Vuvuzela als nach einem feierlichen Mittelalterinstrument.

    Der Klang der Pifferotöne in ihrer schnarrend, oft fieberhaft flirrenden Qualität lässt abwechselnd an einen Festakt denken, der mit Zeremoniell zu begehen ist und dann wieder an eine Feier auf der sich der Ernst verabschiedet hat. Vielleicht hat dies auch etwas mit dem Kontrast zwischen den schwankenden Tönen dort und den auf Kontrolle und ein gleichbleibendes Timbre gestimmten Streichern hier zu tun. Jedenfalls entsteht Frohsinn, der sich auf einigen Gesichtern im Saal sichtlich spiegelt. Umso härter damit der Schnitt nach Estland zum nächsten Programmpunkt, den „Kurvameelsed lalud“ von Veljo Tormis.

  • Strange: Links im Bild sitzt Roberta Dapunt, die mit Lois Anvidalfarei nach Meran gekommen war. Foto: SALTO

    Zu den „Liedern der Melancholie“, von Mezzosopranistin Iris Oja in Originalsprache vorgetragen und vom Orchester begleitet und kontrapunktiert, wurde auch ein Blatt in englischer Sprache verfasst. Der Bellcanto-Vortrag schlägt sich weniger als gedacht mit dem Inhalt der Lieder aus dem Schatz der estnischen Tradition, er macht das Leiden in den Texten von Armut, Hunger und Verlust in gewisser Weise genüsslicher. Das Leiden wird zur Leidenschaft.

    Deutlich weniger glatt fällt die Bühnenübersetzung für fünf Werke Dapunts aus. Hierbei handelt es sich, strenggenommen - wie bei Tormis Liedern - um eine italienische Uraufführung. Bereits einige Zeit arbeiten Fera und Dapunt zusammen, am Abend werden vier Texte aus „Sincope“ und ein neues Fragment aus dem neuen Buch „Il verbo di fronte“ aufgeführt. Trotz allgemeiner Konzentration auf das Konzert und einer nun wirklich nicht alltäglichen Auswahl an Tönen war zu spüren, dass die Aufmerksamkeit im Saal noch einmal wuchs. Sicher ist der Weg von Dapunts Lyrik ein weiterer als jener dervon ohnehin für einen Singvortrag gedachten Lieder weiter auf die Bühne des Stadtzentrums. Rund um die in mancher Begrifflichkeit theoretisch-linguistischen Lyrik, welche auch mit unmöglichen Bildern wie „unsichtbaren Illusionen“ oder, zum Schluss, den „Versen für eine Stimme ohne Gesang“ arbeitet, macht sich ein Spannungsfeld auf.

    Auch streiten sich - hier mal nicht auf fruchtbare Weise, sondern eher störend - Musik und Text darum, wer Ojas Stimme eine Form vorgeben kann. Die Zeilenumbrüche zwischen Poesie und Bellcanto sind andere, die Gewichtung fällt verschieden aus. Gerade aber dann wenn Text und Streicher im besonders innigen Dialog sind, erlebt man allerdings viel mehr die Poesie, die in die Saiten gesteckt wurde: Eine Stille wird zum leisest möglichen Kratzen auf den Geigen und schafft zwischen einem Satz und dem nächsten Freiraum für die Assoziation oder besagte Stimme ohne Gesang beginnt zu singen, indem ein im kaum merklichen Tempo voranschreitendes großes Tremolo gespielt wird. Das „auf der Stelle treten“ der Musik erlaubt dem Text, einen Schritt nach vorne zu machen und den Schlussakzent zu setzen. Auch das Schlusswort gehört Dapunt, man darf es auch am Ende des Abends als Einladung verstehen: „Ascolto“.

  • Roberta Dapunt ist auch am Sonntag in Meran zu Gast, dann im Theater in der Altstadt, wo sie ab 18 Uhr eine poetische Lesung aus „Il verbo di fronte“ geben wird. Das Festival Sonora 707 bietet noch drei Konzerttermine im APril und März an.