Chronik | Tenti-Prozess

Mehr als ein Urteil

Das Urteil im Prozess Tenti/Dalle Nogare wird richtungsweisend für die Aufklärung von möglichen Straftaten in der öffentlichen Verwaltung in Südtirol sein.
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Foto: upi
Am Ende stehen sich im Gerichtssaal zwei Welten gegenüber.
Auf der einen Seite sitzt Katiusca Tenti, flankiert von ihren Verteidigern Carlo Bertacchi und Fabrizio Francia. Beide Anwälte tun ihr Bestes, um die ehemalige Ressortdirektorin und rechte Hand von Landehauptmannstellvertreter Christian Tommasini als eine Art Maria Goretti darzustellen. Eine Märtyrerin, die nur das Beste für Land und Leute wollte, und dabei naiv und unbewusst eine paar Spielregeln verletzt hat.
Auf der anderen Seite Oberstaatsanwalt Giancarlo Bramante. Der Ankläger zeichnet eine unlautere Verbindung zwischen einem privaten Bauunternehmer und der höchsten Beamtin im Wohnbauressort nach, die systematisch und über Jahre hinweg ein Netzwerk aufgebaut haben, um durch widerrechtliche Handlungen dem Unternehmer und seinen Partnern finanzielle Vorteile und Millionenaufträge zuzuschanzen.
Beide Prozessparteien schildern am Dienstag fünf Stunden lang vor den drei Richtern Carlo Busato, Stefan Tappeiner und Ivan Perathoner wortgewaltig ihre Sicht der Vorgänge. In den Repliken auf die Schlussplädoyers schenken sich Anklage und Verteidigung dabei nichts.
 

Ein System

 
Es war Giancarlo Bramante, der diesen Prozesstag mit seiner Replik eröffnete. Zweieinhalb Stunden lang reagierte der Staatsanwalt dabei nicht nur auf die Argumente und Vorwürfe der Verteidigung, er verstand es auch geschickt, noch einmal neue Dokumente und Beweisstücke im Gerichtssaal auszubreiten, die seine Thesen deutlich untermauern.
„Ich habe in meinem Schlussplädoyer einige Aspekte zu ausführlich dargelegt und habe deshalb zu viel ausgelassen“, gesteht Bramante mehrmals an diesem Vormittag. Und der Staatsanwalt holt genau das in dieser letzten Verhandlung nach. So skizziert der Ankläger anhand von Mails, SMS und Abhörungen, die er im Gerichtssaal an die Leinwand projiziert, nochmals äußerst detailliert, wie Katiusca Tenti über Jahre hinweg Insiderinformationen und Dokumente aus ihrem Amt und anderen Ämtern an Antonio Dalle Nogare weitergegeben hat. Diese Machenschaften gehen weit über den eindeutig nachgewiesenen Versuch hinaus, den Ausschreibungstext für einen 25-Millionen-Auftrag des Wohnbauinstitutes (Wobi) zugunsten des Unternehmers abzuändern.
 
 
Wenn es in diesem Prozess einen Freispruch gibt, dann können wir das Kapitel Verbrechen in der öffentlichen Verwaltung gleich aus dem Strafgesetzbuch streichen“,
 
Staatsanwalt Giancarlo Bramante.
Bramante zeichnet dabei nach, wie Tommasinis Ressortdirektorin lange vor der Bozner Ausschreibung interne Dokumente, Schätzgutachten des Landes, Beschlüsse der Landesregierung und interne Promemoria des Wobi und des Landes an den Bauunternehmer weiterreichte. Etwa zum Ankauf von zehn Wohnungen durch das Wobi in Neumarkt.
Dalle Nogare bestellte und Tenti lieferte. Ganz gleich ob Zahlen, politische Interventionen oder Treffen mit seinem Rechtsanwalt.
Vor allem aber zeigte der Staatsanwalt in seiner Replik auf, dass Tenti auch nach der erfolgter Ausschreibung monatelang alle ihr amtlich zur Verfügung stehenden Hebel im Land, im Wobi und in der Gemeinde Bozen bediente, um den Deal der 100 Mittelstandswohnungen für ihren Partner Antonio Dalle Nogare unter Dach und Fach zu bringen. Diese Darstellung des Staatsanwalts macht deutlich, wie die auf der Anklagebank so zierliche wirkende Frau in Wirklichkeit einem Bulldozer gleich alle politischen, juridischen und faktischen Hindernisse für den Deal aus dem Weg räumte.
 

„Keinen Beweis“

 
Die Sichtweise der Verteidiger Carlo Bertacchi und Fabrizio Francia lässt sich vereinfachend so zusammenfassen: Es könnte sein, dass die damalige Ressortdirektorin und rechte Hand von Landehauptmannstellvertreter Christian Tommasini das Amtsgeheimnis verletzt habe. Aber das ist auch schon alles, mehr gebe es nicht. Der öffentlichen Verwaltung sei durch Tentis Verhalten kein Schaden entstanden, und der Bozner Bauunternehmer und Tenti-Lebenspartner Antonio Dalle Nogare hätte keinerlei finanziellen Vorteil daraus gezogen.
Das Erklärungsmuster für das Verhalten einer der höchsten Beamtinnen in der Landesverwaltung: Weil der politische Druck kurz vor den Landtagswahlen zu groß wurde, habe Tenti nur zum Wohle ihres Dienstherrn Tommasini und zur Rettung des Südtiroler Mittelstandes versucht, eine 25-Millionen-Ausschreibung des Wohnbauinstitutes so umzuschreiben, dass sie überhaupt durchführbar war. „Der Staatsanwalt hat in diesem Verfahren keinen einzigen Beweis  für die illegale Absprachen unter unseren Mandaten oder die wirkliche Beeinflussung der Ausschreibung vorgelegt“, sagt Carlo Bertacchi an diesem Nachmittag genau in der richtigen Lautstärke, um die Aufmerksamkeit der Richter auf sich zu ziehen.
 
 
„Wir konnten die Abschrift des Telefongesprächs zwischen Katiusca Tenti und Cuno Tarfusser auf Salto lesen, bevor wir sie hier im Gerichtssaal hatten“
 
Anwalt Carlo Bertacchi.
Es ist die einzige wirkliche Trumpfkarte, die die Verteidigung zu spielen versucht. Sollte der Ausschreibungstext auch geändert worden sein: Antonio Dalle Nogare habe daraus keinen sichtlichen Vorteil gehabt.
Vor allem aber versuchen die Anwälte, den möglichen Strafbestand auf die Vorgänge um die Ausschreibung für die 100 Mittelstandswohnungen in Bozen einzugrenzen. „Alles andere ist strafrechtlich nicht relevant“, argumentieren Bertacchi und Francia.
 

Die Kostensenkung

 
Ein Pech für die Verteidigung ist ein Dokument, das man im Büro von Katiusca Tenti beschlagnahmt hat. Es handelt sich um eine interne Berechnung von Antonio Dalle Nogare und seiner Partner zum Bau von 120 Mittelstandswohnungen auf dem Mayr-Defranceschi-Areal 2011 in Bozen. Auf einem Blatt Papier werden die Gesamtkosten für die Wohnungen bei verschiedenen Baudichten berechnet. Diese Berechnung gilt genauso für das verkleinerte Projekt von 100 Wohnungen.
 
 
Fazit: Eine Teilnahme ist unter wirtschaftlichen Aspekten nur möglich, wenn eine Dichte von mindestens 3,5 vorgesehen wird“, heißt es in dem Dokument.
Das Mayr-Defranceschi-Areal hat aber nur eine Baudichte von 2,5. Weil der Ausschreibungspreis des Wobi sich aus vorgegebenen Parametern zusammensetzt, gibt es deshalb für die Unternehmer nur zwei Möglichkeiten, Gewinn zu machen. Die Baudichte zu ändern oder die Kosten zu senken.
Weil ersteres politisch kaum durchsetzbar ist, hat man auf eine Kostenreduzierung gesetzt. „Man hat die Ausschreibung so verändert, dass sich die Kosten für die Unternehmer deutlich reduziert haben“, sagt der Staatsanwalt. Giancarlo Bramante rechnete auch am Dienstag genau vor, wie man das handhabe wollte. „Die Rechnung des Staatsanwaltes stimmt so einfach nicht“, hält die Verteidigung dagegen.
 

Verschobenes Urteil

 
Spätestens am Dienstag wurde im Gerichtssaal eines aber augenscheinlich: Der Ausgang dieses Verfahrens wird weit über diesen Prozess hinaus richtungsweisend für die Aufklärung und Strafverfolgung von Verfehlungen in der öffentlichen Verwaltung in Südtirol sein.
Ich kann ihnen hier keinen unterschriebenen Vertrag zwischen den zwei Angeklagten präsentieren“, sagte Giancarlo Bramante in seiner Replik durchaus provokativ, „in dem die widerrechtlichen Taten festgehalten werden“.
Aus der Fülle der Dokumente, der SMS, der Abhörungen und der Zeugenaussagen im Prozess gehe aber unzweifelhaft hervor, dass es zu einer illegalen Absprache (collusione) zwischen den beiden Angeklagten, zur Wettbewerbsverzerrung und zur wiederholten Weitergabe und Nutzung von Amtsgeheimnissen gekommen sei. „Wenn es in diesem Prozess einen Freispruch gibt, dann können wir das Kapitel Verbrechen in der öffentlichen Verwaltung aus dem Strafgesetzbuch gleich streichen“, sagte Giancarlo Bramante in Richtung Richtersenat.
Auch Carlo Busato, Stefan Tappeiner und Ivan Perathoner scheinen sich der Besonderheit dieses Prozesses bewusst zu sein. Das geht am Ende des Tages auch aus der Entscheidung des Richtersenates hervor, die Strafprozessordnung deutlich zu dehnen.
Das Urteil wird auf den 16. Juni verschoben. An diesem Tag soll den beiden Angeklagten noch einmal die Möglichkeit geboten werden, das Wort zu ergreifen.
Danach wird sich der Richtersenat zur Urteilsberatung zurückziehen.