Kultur | Salto Afternoon

Weihnachten und Literatur

Der von der Schriftstellerin Selma Mahlknecht verfasste vorweihnachtliche Dialog „Im Kaufhaus“ ist der Beginn einer literarischen Mini-Serie auf Salto.bz.
Lebkuchenstrasse Titel
Foto: edition raetia

Im Kaufhaus

von Selma Mahlknecht


A: Guten Tag, können Sie mir bitte helfen?
B: Selbstverständlich, was suchen Sie denn?
A: Ein Weihnachtsgeschenk.
B: Aha, ich verstehe. Für wen denn?
A: Für meine Frau.
B: Und was hätten Sie sich da ungefähr vorgestellt?
A: Keine Ahnung.
B: Was mag sie denn?
A: Weiß ich nicht. Ich dachte, Sie helfen mir.
B: Ja, das möchte ich sehr gerne, aber ich kenne Ihre Frau nicht.
A: Sie heißt Cordula.
B: Aha.
A: So eine kleine Dunkelhaarige. Vielleicht haben Sie sie schon mal gesehen?
B: Ist sie eine Kundin von uns?
A: Möglich. Ich weiß nicht, was sie so in ihrer Freizeit macht.
B: Was ist sie denn von Beruf?
A: Etwas mit … Büro.
B: Sekretärin?
A: Nein, doch nicht. Sie trägt keine Miniröcke.
B: Dann schauen wir doch mal im Bürobedarf.
A: Ja, das wäre nett.
B: Hier, das ist zum Beispiel eine originelle Klammermaschine.
A: Die sieht aus wie ein Frosch.
B: Deswegen ist sie ja originell.
A: Cordula mag keine Frösche. Sie findet sie ekelhaft.
B: Aber vielleicht mag sie Schmetterlinge?
A: Sie sagt immer „Schmetterlinge sind die Ratten der Lüfte“.
B: Sagt man das nicht über Tauben?
A: Nein, Cordula hat nichts gegen Behinderte. Sie hat schließlich selbst eine Hasenscharte.
B: Ich verstehe. Wie wäre es dann mit diesem Ordner in karottengelb?
A: Wie meinen Sie das?
B: Das ist so gesund für die Augen.
A: Aber ich wollte ihr eigentlich mehr etwas Frauliches schenken.
B: Einen Ordner in rosarot?
A: Gar keinen Ordner. Sie ist normalerweise auch nicht so für Ordnung.
B: Dann ist Bürobedarf vielleicht doch nicht das Richtige. Wie wäre es denn mit einer schönen Kerze? Wir haben da verschiedene Modelle, hier zum Beispiel Kugelkerzen. Oder dort, die sind aus echtem Bienenwachs gerollt.
A: Gibt es die auch in blau?
B: Die mit dem Bienenwachs?
A: Ja.
B: Nein, das Bienenwachs gibt es nur in … Bienenwachs.
A: Schade, in blau hätte ich sie genommen.
B: Wir haben aber noch andere Kerzen in blau. Hier, diese Stumpenkerzen zum Beispiel.
A: Wie heißen die?
B: Stumpenkerzen.
A: So etwas Obszönes schenke ich ihr nicht.
B: Wollen Sie dann vielleicht lieber bei den Geschenkbänden schauen?
A: Über die Verpackung reden wir dann, wenn wir das Geschenk gefunden haben.
B: Ich meinte ein Buch mit schönen Bildern und Denksprüchen großer Meister.
A: Denksprüche?
B: Naja, so wie der Spruch mit den Ratten der Lüfte. Ihre Frau scheint so etwas zu mögen.
A: Ja, vielleicht ist das eine Idee.
B: Hier: Goethe für Genießer.
A: Nein.
B: Lessing für Leser?
A: Nein.
B: Schiller für Schüler?
A: Nein.
B: Mann für Frauen?
A: Ich bitte Sie!
B: Bohlens beste Beschimpfungen?
A: Das eher. Cordula mag Männer, die sagen, was Sache ist.
B: Dann ist Dieter Bohlen ja genau der Richtige.
A: Aber eigentlich liest sie nicht gerne. Haben Sie das auch als Hörbuch?
B: Nein, ich fürchte, das ist noch nicht erschienen.
A: Schade.

B: Wir hätten aber Berlusconis lustigste Witze oder Stoibers gestammelte Werke.
A: Nein, sie interessiert sich nicht so für Politik.
B: Dann etwas Romantisches? „Herzen im Frühlingsrausch“ zum Beispiel.
A: Kommt darin ein Blutbad vor?
B: Ich glaube nicht.
A: Und eine Feuersbrunst?
B: Auch nicht.
A: Aber ein Weltkrieg?
B: Nein.
A: Und so etwas nennen Sie romantisch?
B: Vielleicht wollen Sie sich selbst ein bisschen umschauen?
A: Ich dachte, Sie helfen mir?
B: Wenn Sie mir vielleicht doch etwas genauer sagen könnten, wie Sie sich das Geschenk vorgestellt haben … Was schenkt Ihnen denn Ihre Frau so?
A: Mal nachdenken. Das war: Im ersten Jahr eine Flasche Wein. Dann eine Krawatte. Dann wieder eine Flasche Wein. Dann wieder eine Krawatte.
B: … dann wäre jetzt wohl wieder der Wein fällig?
A: Eigentlich hoffe ich eher, dass sie mir mal einen Korkenzieher schenkt.
B: Oh. Und was haben Sie ihr bisher geschenkt?
A: Pralinen. Parfüm. Pralinen. Dann war da wieder ein Parfüm.
B: Und warum schenken Sie ihr dieses Jahr nicht wieder Pralinen?
A: Diabetes.
B: Und das Parfüm?
A: Ist zu teuer. Sie verstehen schon, die Finanzkrise.
B: Wie viel wollten Sie denn ausgeben, wenn ich fragen darf?
A: 4,75 Euro.
B: 4,75 Euro?
A: Ja. Soviel bleibt mir neuerdings am Ende des Monats.
B: Aber dafür kriegen Sie doch höchstens ein Päckchen Kaugummi und ein Brillenputztuch!
A: Das ist es! Sie sind ein Genie! Führen Sie so etwas denn?
B: Ich … denke schon.
A: Dann packen Sie es mir bitte ein. Mit einer großen Schleife, wenn es geht. Cordula liebt große Schleifen.
B: Große Schleifen sind das Feigenblatt des Ramschs.
A: Wie bitte?
B: Ach, nichts. Hat mich gefreut, dass ich Ihnen helfen konnte. Beehren Sie uns bald wieder.

 



SALTO in Kooperation mit:
Edition Raetia

 

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Profil für Benutzer denis mader
denis mader Di., 27.12.2016 - 05:31

Selmals Lebkuchenbuch ... ist für mich im Dezember als Nikolaus oder bei den Weihnachtsfeiern eine wunderbare
Erzählhilfe ...ich danke ihr!

Di., 27.12.2016 - 05:31 Permalink