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„Eigentlich ist es ein großes Chaos“

Der Sanitätsbetrieb führt regelmäßig Umfragen unter den Mitarbeitern durch und weiß laut Maria Elisabeth Rieder daher genau um die Situation im Pflegebereich Bescheid.
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Foto: Privat
Dorothea Kurz, eine Krankenschwester, die auf der Mutter-Kind-Abteilung im Krankenhaus von Schlanders arbeitet, hat in Eigenregie eine Umfrage unter dem Pflegepersonal des Sanitätsbetriebes organisiert, an der 272 Personen teilgenommen haben. Die Ergebnisse werfen ein bezeichnendes Licht auf diesen Bereich. Frau Kurz hat sich auch an die politischen Vertreter gewandt, unter anderem an die Landtagsabgeordneten des Team K Franz Ploner und Maria Elisabeth Rieder. Letztere hat selbst 32 Jahren in der Verwaltung des Sanitätsbetriebes gearbeitet. Im Interview mit Salto.bz spricht die Politikerin über ihre Einschätzung zur derzeitigen Situation und über die Fehler der Vergangenheit.
 
Salto.bz: Frau Rieder, wie ordnen Sie diese Umfrage ein?
 
Maria Elisabeth Rieder: Wir haben es mutig und gut gefunden, dass Frau Kurz diese Aktion gestartet hat. Sie hat uns die Situation geschildert und auch im Rahmen unserer Tour durch die Krankenhäuser kamen wir miteinander ins Gespräch. Was mir besonders zu denken gegeben hat, ist, dass darin immer wieder die fehlende Wertschätzung und die niedrige Entlohnung angekreidet werden. Ich glaube, dass der Führung bewusst werden muss, dass – bei allem Bemühen um neue Fachkräfte – das Hauptaugenmerk auf die erfahrenen und langjährigen MitarbeiterInnen liegen sollte. Denn sie halten den Betrieb am Laufen, sie versorgen die kranken Menschen, obwohl viele Stellen unbesetzt sind und sie haben in der Zeit von Corona Unglaubliches geleistet. Man muss mit ihnen sprechen und sie vielleicht auch einmal nach ihrer Meinung fragen, bevor eine Entscheidung getroffen wird.
 
 
Man muss mit ihnen sprechen und sie vielleicht auch einmal nach ihrer Meinung fragen, bevor eine Entscheidung getroffen wird.
 
 
Während meiner Tätigkeit im Krankenhaus von Bruneck war ich zuständig für die betriebliche Gesundheitsförderung, in deren Rahmen wir ebenfalls eine Befragung durchgeführt haben. Es ist zwar schon einige Zeit her, aber die Ergebnisse waren ähnlich. Wir haben dann versucht, Aktionen zu setzen und die MitarbeiterInnen miteinzubeziehen.
 
 
 
 
 
Die Führung des Sanitätsbetriebes weiß also sehr wohl, wo den Pflegekräften der Schuh drückt?
 
Ja, natürlich. Auch im gesamten Sanitätsbetrieb wurden bereits Mitarbeiterbefragungen durchgeführt. Ich habe hier im Landtag nachgefragt, wann die letzte landesweite Befragung stattgefunden hat und wann die nächste geplant ist. 2020 hatte der Landesrat versprochen, dass die Ergebnisse der Befragung 2019 in der Mitarbeiterzeitung veröffentlicht würden, bisher ist das nicht geschehen und die MitarbeiterInnen wurden nicht über die Ergebnisse informiert. Das ist das eigentlich Schlimme daran. Wenn man eine Mitarbeiterbefragung durchführt und die Teilnehmer dazu animiert, mitzumachen, im Anschluss erfolgt aber keine Rückmeldung, hat das …
 
…einen bitteren Beigeschmack, weil man annehmen muss, dass etwas verheimlicht werden soll.
 
Bei einer früheren Befragung wurden die Ergebnisse nur für den gesamten Sanitätsbetrieb mitgeteilt, damit waren sie aber so allgemein gehalten, dass man überhaupt keine klaren Rückschlüsse daraus ziehen konnte. Bei einer Umfrage, die wir 2010 in Bruneck machten, haben wir diese nach Abteilungen aufgeschlüsselt. Wenn auf der medizinischen Abteilung alles gut läuft, dann muss das nicht auch für die Erste Hilfe gelten. Erst mit den aufgeschlüsselten Daten kann man arbeiten und lassen sich Rückschlüsse daraus ziehen. Wir konnten daran ablesen, in welcher Abteilung es Handlungsbedarf gibt bzw. wo Coaching und Teamgespräche benötigt wurden. Man hat eingegriffen und an den Problemen gearbeitet. Und so sollte es ja auch sein.
 
 
Auch im gesamten Sanitätsbetrieb wurden bereits Mitarbeiterbefragungen durchgeführt.
 
 
Worum ging es konkret bei dieser „Arbeit“?
 
Wir haben festgestellt, dass es um sehr viele Belange ging: Stress, Unstimmigkeiten im Team, psychische Belastung oder auch um Fragen nach psycho-physischen Urlaub. Wir haben beispielsweise einen Ruheraum eingerichtet, psychologische Betreuung und Teamcoaching angeboten. Anliegen, die das Angestelltenverhältnis betrafen, haben wir versucht, über die Gewerkschaften zu regeln. Die Beteiligung der MitarbeiterInnen ist jedoch das Um und Auf, um herauszufinden was sie wirklich brauchen. Und manchmal sind es keine großen Sachen wie eben der Ruheraum, der dem Betrieb fast nichts gekostet hat und einfach umsetzbar war. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es sehr viele positive Rückmeldungen gegeben hat. Leider sind all unsere Bemühungen und Aktionen der Zentralisierung zum Opfer gefallen. Das tut mir immer noch sehr leid.
 
 
 
 
 
Ist dieser schwerfällige Apparat „Sanitätsbetrieb“ überhaupt zu Veränderungen fähig?
 
Der Umgang der Berufsgruppen untereinander insbesondere der Ärzteschaft mit den PflegerInnen folgt teilweise immer noch alten Mustern. Es besteht immer noch ein Gefälle, das es eigentlich nicht mehr geben sollte, weil inzwischen auch die Krankenpflegeausbildung universitären Charakter hat. Das Miteinander findet immer noch nicht auf Augenhöhe statt, was zu Problemen führen kann. Ein weiteres großes Thema ist meiner Meinung nach die Tatsache, dass vieles zu sehr zentralisiert ist. Bestimmte Entscheidungen müssen vor Ort getroffen werden können, weil man nur dort weiß, was gebraucht wird und nur so eine schnelle Umsetzung erfolgen kann. Wenn die Anliegen weite Strecken und über viele Stellen laufen müssen, dann wird alles viel zu kompliziert und dauert viel zu lange.
 
 
Der Umgang der Berufsgruppen untereinander insbesondere der Ärzteschaft mit den PflegerInnen folgt teilweise immer noch alten Mustern.
 
 
Was meinen Sie damit konkret?
 
Die meisten Angestellten haben oft mehrere Vorgesetzte, zudem sind die Hierarchien oft nicht genau definiert
 
Wenn man Pech hat, dann kommen sie sich auch noch ins Gehege?
 
Genau. Wenn man sie um eine Auskunft bittet, wie dieses oder jenes gemacht werden soll, kommt oft keinerlei Rückmeldung. Wenn man irgendwann ganz verzweifelt aktiv wird, dann dauert es keine fünf Minuten, bis jemand anruft und sagt: „Wie kommen Sie dazu, das zu tun?“ Weil man hätte ja erst um Erlaubnis fragen müssen. Wenn die Vorgesetzten nicht sehr gut miteinander können, dann sitzt man als Angestellte sowieso zwischen den Stühlen.
 
 
„Wie kommen Sie dazu, das zu tun?“ Weil man hätte ja erst um Erlaubnis fragen müssen.
 
 
Wie ist das möglich?
 
In der Verwaltung gibt es beispielsweise eine Hierarchie im Gesundheitsbezirk mit Amtsdirektor, Verwaltungskoordinator, Bezirksdirektor. Für die eigene Abteilung gibt es dann noch einen betriebsweiten Direktor samt Verwaltungsdirektor und nicht zu vergessen den Generaldirektor. Mittlerweile ist es so, dass einige MitarbeiterInnen vor Ort keinen direkten Vorgesetzten als Ansprechpartner mehr haben. Eigentlich ist es ein großes Chaos.
 
Wo liegen die Ursachen für dieses Chaos?
 
Die Zentralisierung, die 2007 durchgeführt wurde, war weder gut überlegt, noch gut vorbereitet. Als man im Jänner 2007 aus den vier bestehenden Sanitätsbetrieben einen einzigen Betrieb gemacht hat, hatte man im Grunde genommen keinen klaren Plan, wie dieser letztendlich aussehen und strukturiert sein sollte. Man hat über die vier Gesundheitsbezirke eine weitere Führungsebene darübergestülpt, ohne genau zu wissen, wie das alles organisiert werden sollte. Man hat nicht bedacht, dass es innerhalb dieser Struktur viele Leute gab, die um ihre Posten fürchteten und um ihre Position kämpften. Man hat die bestehenden Führungsstrukturen beibehalten und einfach weitere übergeordnete zusätzlich geschaffen. Wenn Sie beim Sanitätsbetrieb nach einem Organigramm fragen, dann werden Sie keines bekommen, weil es nämlich keines gibt. Man ist nicht in der Lage, eines zu schreiben.
 
Aus der Umfrage von Frau Kurz geht auch hervor, dass zwar interessiertes Personal vorhanden wäre, die Anstellungsmodalitäten jedoch zu langwierig und schwierig sind. Trotz aller Personalnot können sie nicht eingestellt werden, wie geht das zusammen?
 
Als öffentliche Bedienstete muss das Sanitätspersonal einen Wettbewerb absolvieren, um eine unbefristete Anstellung zu bekommen. Während früher jeder Bezirk einen Wettbewerb ausschreiben konnte, sobald absehbar, dass Personalbedarf besteht, wird dieser heute landesweit durchgeführt und zwar nicht regelmäßig. Einmal lagen zwischen einem Wettbewerb und dem nächsten vier Jahre, obwohl die Ranglisten nur zwei Jahre gültig sind. Das Problem dabei ist, dass, solange die Rangliste nicht erschöpft ist, kein neuer Wettbewerb ausgeschrieben wird. Nachdem die TeilnehmerInnen ihre Präferenzen hinsichtlich des Standortes angeben können, kann es passieren, dass für Meran noch Personen auf der Rangliste stehen, für Bruneck aber nicht.
 
 
Es kann passieren, dass für Meran noch Personen auf der Rangliste stehen, für Bruneck aber nicht.
 
 
Gäbe es trotzdem Möglichkeiten, das Personal fix anzustellen?
 
Im Grunde genommen stellt sich die Frage, warum das Abschlussdiplom nicht als Eignung ausreicht. Man muss sich hier wirklich nach dem Sinn fragen, wenn jemand eine mehrjährige Krankenpflegeausbildung macht, ein Diplom erhält, jedoch drei Monate später den Wettbewerb nicht schafft und damit für nicht geeignet erklärt werden kann. Da stimmt doch etwas nicht.
 
Gäbe es die Möglichkeit einer Anerkennung des Fachdiploms?
 
Ich bin überzeugt, dass es zukünftig Varianten geben muss, um die Anstellungsprozeduren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Da müssen neue Wege beschritten werden, sonst kann der Südtiroler Sanitätsbetrieb mit der Konkurrenz in Österreich und der Schweiz auch in Zukunft nicht mithalten und der Personalmangel wird immer schlimmer. Zumindest die Möglichkeit, dezentrale Wettbewerbe zu organisieren, ist aber auf jeden Fall vorhanden. Denn wir haben beispielsweise die Situation, dass eine Krankenpflegerin gerne im Krankenhaus arbeiten möchte, die zuständige Pflegekoordination ihr aber nicht mitteilen kann, wann ein Wettbewerb ausgeschrieben wird bzw. ihr im Grunde genommen oft gar keine klaren Auskünfte geben kann und dann entscheiden sich halt viele dafür ins Ausland zu gehen. Nach Österreich oder in die Schweiz, dort bekommen sie schnell und unkompliziert einen Arbeitsvertrag.
 
 
 
 
Weshalb sollte eine Krankenpflegerin dann in den öffentlichen Dienst gehen, wenn es anderswo viel leichter ist, an eine fixe Stelle zu kommen?
 
Leider ist das so.
 
Sind die Investitionen in Privatkliniken als Versuch zu werten, auf diesem Wege die Gesundheitsversorgung aufrecht erhalten zu können?
 
Ich glaube, dass zu Beginn dieser Legislaturperiode die Entscheidung gefallen ist –  der ehemalige Sanitätslandesrat Thomas Widmann hat hier wohl eine entscheidende Rolle gespielt – die Gründung von Privatkliniken zu fördern.
 
 
In erster Linie geht es hier um sehr viel Geld.
 
 
Um das Personal zumindest im Land zu halten?
 
Auch, aber in erster Linie geht es hier auch um sehr viel Geld. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen private Kliniken, sie haben ihren wichtigen Platz in der Gesundheitsbetreuung. Tatsache ist aber, dass private Einrichtungen interessanter sind, wenn sie konventioniert sind, heißt wenn Verträge mit dem Sanitätsbetrieb abgeschlossen werden und wie im Falle der Salus-Klinik in St. Georgen zudem öffentliche Beiträge für den Bau fließen. Das Risiko ist für die Betreiber klein, der Verdienst groß. Die öffentliche Gesundheitsbetreuung gerät immer mehr in Schwierigkeiten und das nicht nur wegen Corona. Wer es sich leisten kann, geht in private Einrichtungen und wer es sich nicht leisten kann, hat es zurzeit nicht leicht. Und ich befürchte, dass sich die Situation noch verschlimmern wird.
 
Ab wann ist alles schief gelaufen?
 
Ich glaube, dass ab 2007 sehr viel schief gelaufen ist und viel Porzellan zerschlagen wurde. Ab diesem Zeitpunkt haben sich die negativen Tendenzen zunehmend verstärkt, die Mitarbeiterzufriedenheit hat gelitten, dann hat eine Flucht eingesetzt und in der Folge ist ein unheilvoller Kreislauf in Gang gesetzt worden.
 
 
Für jene, die im Betrieb bleiben, wird die Belastung immer stärker, sie sind oft ausgelaugt und können nicht mehr.
 
 
Als sich abzeichnete, dass die Personalnot ein gravierendes Ausmaß annehmen würde, war klar, dass der Sanitätsbetrieb mit jedem Externen eine Konvention unterzeichnen muss, um die Gesundheitsversorgung aufrecht erhalten zu können, was wiederum dazu führte, dass der Aufbau von privaten Einrichtungen attraktiver wurde. Dadurch wird der Personalmangel im öffentlichen Gesundheitswesen immer größer. Für jene, die im Betrieb bleiben, wird die Belastung immer stärker, sie sind oft ausgelaugt und können nicht mehr. Die Folge ist, dass wieder einige kündigen – eine Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt. Für mich bleibt es weiterhin oberstes Ziel, den Menschen in unserem Land eine umfassende öffentliche Gesundheitsversorgung zu garantieren, mit 1,5 Milliarden Euro, die wir für die Gesundheit ausgeben, müsste das doch eigentlich möglich sein.