Gesellschaft | Gastbeitrag

Mit dem Nachtzug nach Sizilien

Einmal von Mailand nach Sizilien: ein Nachtzug auf Schiene und Meer.
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Foto: Privat
Wenn es nach Sizilien geht, dann fahren die meisten von uns zuerst zum Flughafen. Doch es gibt auch eine spannendere und klimaschonendere Alternative: der Nachtzug. Von Mailand und Rom aus fahren insgesamt drei Nachtzüge auf die sizilianische Insel und erreichen dabei Städte wie Syrakus, Palermo, Taormina und Cefalù. Seit Dezember 2022 sind u.a. auch Städte wie Bologna und Florenz per Nachtzug mit der Insel des Ätnas verbunden. Trotz des relativ umfangreichen Nachtzugangebotes von Nord- und Mittelitalien nach Sizilien werden sich einige hier nun zurecht fragen, ob Sizilien per Nachtzug zu erreichen, was ja schon fast einen Tag in Anspruch nimmt, wirklich eine Option sei. Eine präzise und objektive Antwort auf diese gerechtfertigte Frage zu liefern, ist relativ schwer, eine subjektive hingegen nicht.
 

 
Am Mailänder Hauptbahnhof geht die wohl längste Zugfahrt Italiens los. Nicht gerade wenige Fahrgäste, die ein Ticket für den schon fast legendären Intercity Notte 1963 haben, tummeln sich am Mailänder Hauptbahnhof herum. Fast schon etwas genervt warten die Menschen auf die gerne mal verzögerte Bekanntgabe des Gleises, von dem die Fahrt in Richtung Süditalien und Sizilien losgehen wird. Sobald die Gleisnummer an den Tafeln steht bzw. vom Personal in den Infoständen den dort schon fragenden Kund*innen mitgeteilt wird, zieht sich die Reiseschar zum Gleis. Für alle beginnt die oft nervenaufreibende Suche nach dem Wagon und dem richtigen Abteil – kleine und schwer lesbare Nummernschilder am Zug sind für jede*n Reisenden ein Problem. Zusätzlich muss hier auch noch gesagt werden, dass die Mitarbeiter*innen am Bahnhof, trotz Bemühung und Freundlichkeit, nicht immer die korrektesten Informationen über Wagen- und Abteilnummer weitergeben. Im Zug gibt es deswegen häufig noch gestresste Fahrgäste, die samt Koffer und Taschen ihr Abteil suchen. Für Menschen mit Behinderungen dauert diese Suche, egal ob vor oder im Zug, meist noch länger, besonders wenn kein Bordpersonal bzw. kein*e Wagenbetreuer*in zu finden ist. Gerade der Anfang dieser Nachtzugreise kann zu einer kleinen Zerreißprobe werden, auch wenn man sagen muss, dass all dies irgendwo zum Nachtzugfahren, egal wo in Europa, dazugehört bzw. es zum Teil ausmacht.
In Europa sind die Nachtzugverbindungen von und nach Sizilien die letzten, die noch auf Fähren geladen werden.
Meist nach wenigen Minuten im Zug bzw. im richtigen Abteil gehen schon die Türen zu und langsam ruckelt die Wagenreihe in die Mailänder Nacht hinaus. Jetzt werden – wie in jedem Nachtzug – die Fahrkarten und Personalausweise der Fahrgäste kontrolliert. Abteil für Abteil hört man die freundliche Kartenkontrolle. Diese ist auch der geeignetste Zeitpunkt, die Kontrolleur*in auf einen eventuellen Umstieg am nächsten Morgen hinzuweisen. So bekommt man am nächsten Morgen, meist zehn Minuten vor Ankunft am Umsteigebahnhof, das richtige Gleis des Anschlusszuges mitgeteilt. Bevor in den Abteilen dann langsam Ruhe einkehrt, helfen die Schlafwagenbetreuer*innen noch kurz den Reisenden sich im Abteil zurecht zu finden; außerdem gibt es Wasser und einen kleinen Prosecco für die Reise quer über den Stiefel. Jetzt noch kurz die Polster aus der Plastikverschweißung nehmen und überziehen, dann kann es mit Schlafen auch schon losgehen. Für manche können die Trenitalia-Betten, die schon etwas härter sind als die der ÖBB-Nightjets, als unbequem empfunden werden. Dies ist für einige sicherlich ein Manko, gerade wenn man denkt, dass man am nächsten Morgen ja ausgeschlafen und fit in den Tag starten möchte. Auch die Geräuschkulisse eines Nachtzuges wird gerne mal als schlafstörend bezeichnet. Hier muss man sich mit Kopfhörer oder Ohrstöpsel weiterhelfen.
 

 
Nach ein paar Stunden leichten Schlafes, die trotz der etwas zu harten Betten und der nächtlichen Zuggeräusche normalerweise drin sein sollten, kommt auch schon der Weckservice von den Schlafwagenbetreuer*innen. Gleich darauf folgt das Frühstück, das selbstverständlich ins Abteil gebracht wird. Auch wenn Frühstück im Bett in den Schlaf- und Liegewagen möglich ist, so lädt doch die Landschaft und die Küste Süditaliens, an denen der ICN 1963 gar nicht mal so langsam vorbeifährt, dazu ein, das Fensterverdeck zu öffnen und die erste Mahlzeit des Tages mit dem Blick nach draußen zu genießen. Ja, das Frühstück, oder besser gesagt der Kaffee im Pappbecher, könnte etwas mehr sein und die fehlende Auswahlmöglichkeit, die es bei den ÖBB bespielweise gibt, muss schon als gastronomische Kritik genannt werden. Aber im Großen und Ganzen ist der Kaffee, das Süßgebäck, die kleine Konfitüre und der Saft ok für den Start in den Tag.
 
 
Meist gegen halb elf bis elf, wenn es nicht zu größeren Verspätungen gekommen ist, findet der wohl interessanteste Teil dieser Nachtzugfahrt statt: die Fährüberfahrt von Villa San Giovanni (Kalabrien) nach Messina (Sizilien). Samt Wagons kommen die restlichen Fahrgäste, die noch nicht aus- oder umgestiegen sind, in das Eisenbahndeck der Fähre. Bei den meisten Überfahrten steht es jeder*m frei, im Zug zu bleiben oder auf das Außendeck zu gehen. Für die meisten ist jedoch nach über vierzehneinhalb Stunden im Zug der Gang nach draußen eine angenehme Abwechslung. Zusätzlich kann man diesen kleinen Abstecher auf das Außendeck der Fähre als echtes Erlebnis werten, denn in Europa sind die Nachtzugverbindungen von und nach Sizilien die letzten, die noch auf Fähren geladen werden und so eine kurze Schifffahrt während einer Bahnreise ist schon was Besonderes. Was man hier aber auch zugeben muss ist, dass dieses Kuriosum nicht gerade effizient ist und auch der Klimabilanz dieser Nachtzugfahrt nicht gerade dienlich ist – eine Brücke nach Sizilien wäre vielleicht keine schlechte Idee. Ungefähr 35 Minuten braucht die Fähre der Trenitalia um die Meerenge von Messina zu überqueren. Bevor die Wagons aus dem Fährbauch auf dem Boden der Ätna-Insel gezogen werden, müssen alle wieder in ihr Abteil. Der Einstieg von der Fähre in den Zug ist nicht gerade ein Kleks – die fehlende Barrierefreiheit ist ein Ärger, der sich durch Europa zieht.
Für die einen zählt eine erholsame Nacht mehr, für die anderen ist ein kleines Abenteuer der ausschlaggebende Anreiz.
Es ist meistens gegen Mittag, wenn die Wagons in den Bahnhof von Messina geschoben werden. Während viele Italiener*innen zum Mittagstisch schreiten, gibt es auch auf dem sizilianischen Part dieser Reise gastronomisch gesehen nichts zu bieten. Wer den Zug von und nach Sizilien nimmt, der muss auf Selbstverpflegung setzen oder sich auf der Fähre was kaufen. Ab Messina Centrale fährt der ICN 1963 in zwei Teilen weiter: Ein Zugteil fährt nach Syrakus, während der andere nach Norden in Richtung Palermo fährt. Die letzten 3 bzw. 4 Stunden der längsten direkten Zugverbindung Italiens verstreichen, während die letzten Fahrgäste die ersten Eindrücke der sizilianischen Insel mitnehmen. Diejenigen, die nach Syrakus fahren, können auf diesem Abschnitt der Zugfahrt den Ätna, der an den Fenstern vorbeizieht, bestaunen. Hier wachsen Obst, Gemüse und Pistazien von hervorragender Qualität. Am Nachmittag, nach einer langen Nachtzugfahrt durch Italien, fahren die beiden Zugteile in ihre Endbahnhöfe Syrakus und Palermo ein. Samt Koffern und Taschen mühen sich jetzt die letzten Fahrgäste, mit Hilfe des Personals, von den hohen Stufen der Wagons runter auf den Bahnsteig.
Es scheint, dass so eine Nachtzugfahrt nach Sizilien einiges anzubieten hat. Doch die Frage, ob diese Reiseart wirklich eine Alternative zum Flugzeug ist, bleibt offen. Objektiv gesehen kann hier nur schwer eine Antwort geliefert werden. Jede*r muss die eigenen Präferenzen abwiegen: Für die einen zählt eine erholsame Nacht mehr, für die anderen ist ein kleines Abenteuer der ausschlaggebende Anreiz. In einer subjektiven Argumentation hingegen kann man ohne Weiteres sagen, dass eine Fahrt mit dem 1963er Zug etwas Besonderes ist, das man mal gesehen und erlebt haben muss. Und eine bessere Klimabilanz ist allemal ein guter Beweggrund, um vom Flugzeug auf den langsameren Nachtzug umzusteigen – auch wenn Zeit für jede*n ein kostbares Gut ist.
 

 
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Stereo Typ Sa., 25.02.2023 - 16:16

Wir fahren immer mit dem Nachzug nach Catania. Man schläft ganz wunderbar, vorausgesetzt man lässt sich von den Geräuschen und dem Geruckel nicht stören. Einschlafen und in Italiens Süden aufwachen - ein besonderes Erlebnis.

Sa., 25.02.2023 - 16:16 Permalink
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Johannes Engl Sa., 25.02.2023 - 18:26

Schöne Beschreibung. Auch wir sind mit einer Familiengruppe von Bozen nach Messina gefahren. Ich kann das auch sehr empfehlen. Der Flugplatz in Bozen "verführt" die Reisenden aus Südtirol zu meinen, ein Kurzstreckenflug nach Sizilien oder Sardinien sei die "normale" Art zu reisen. Dabei sind vermeidbare Kurzstreckenflüge unbedingt zu vermeiden, um das Klima nicht unnötig zu belasten.

Sa., 25.02.2023 - 18:26 Permalink
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Otto Rosenberg Sa., 25.02.2023 - 19:00

Netter Artikel, nur das konsequente Gendern nervt und stört. Vielleicht bin ich altmodisch, aber könnte man nicht am Anfang des Beitrags einen Satz hinschreiben, der das ständige Gendern überflüssig macht? Sowas wie: "Alle Bezugnahmen auf ein bestimmtes Geschlecht sind auf alle Geschlechter bezogen zu verstehen".

Sa., 25.02.2023 - 19:00 Permalink
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Winfried Theil Sa., 25.02.2023 - 19:14

Danke für die anregende Beschreibung. Als Alternative kann man auch mit der Freccia nach Neapel und von da mit der Fähre über die Äolischen Inseln nach Sizilien gelangen. Natürlich mit mehr Wechseln aber etwa gleich lang. Der Weg ist das Ziel!

Sa., 25.02.2023 - 19:14 Permalink
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△rtim post Sa., 25.02.2023 - 20:30

Mit dem Zug sieht man jedenfalls mehr von der Landschaft als mit dem Flugzeug. Ich bin immer direkt mit dem Express-Zug Freccia del Sud ab Bologna nach Agrigent gefahren. Von Bozen bis Bologna gibt es den Interregio.

Sa., 25.02.2023 - 20:30 Permalink