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Abteilung (Un)Rechtsmedizin

Fünf Jahre lang musste eine Bozner Ärztin kämpfen, bis sie jetzt zur Primaria ernannt wird. Die Geschichte zeigt, wie man in der Sanität Karrieren gesteuert hat.
Leiche
Foto: Upi
  • Offiziell ist die Ernennung noch nicht erfolgt. Barbara Avesani will öffentlich nichts sagen. Doch seit einigen Tagen ist klar, dass die 53-jährige Rechtsmedizinerin, die bei den vergangenen Landtagswahlen als Kandidatin des Team K angetreten ist, am Ziel ihrer beruflichen Träume ist. Avesani wird zur Primaria und Leiterin der Rechtsmedizin am Gesundheitsbezirk Bozen berufen. 
    Es ist das Ende ein Kreuzweges, der fünf Jahre lang gedauert und den Südtiroler Steuerzahler am Ende viel Geld gekostet hat. Vor allem aber ist es eine unglaubliche Geschichte, die anschaulich macht, wie unter Florian Zerzer im Südtiroler Sanitätsbetrieb Ernennungen von Primaren nach Belieben gesteuert und öffentliche Auswahlverfahren bewusst in die Länge gezogen wurden, um den gewünschten Kandidaten ins Amt zu hieven.
    Die Geschichte beginnt im fernen Jahr 2019.

     

    „Es ist ein Geschichte, die anschaulich macht, wie im Südtiroler Sanitätsbetrieb Ernennungen von Primaren nach Belieben gesteuert und öffentliche Auswahlverfahren bewusst in die Länge gezogen wurden, um den gewünschten Kandidaten ins Amt zu hieven.“

  • Der Auserwählte

    Mit 1. Juni 2019 geht die langjährige Primaria und Leiterin der Bozner Rechtsmedizin, Giovanna Zanirato, in Rente. Damit übernimmt ihr Stellvertreter, Oliver Neeb, geschäftsführend die Leitung der Abteilung. Der damals 46-jährige Neeb ist damit auch der Favorit auf die Nachfolge zum Primar. 
    Dass die Führung des Südtiroler Sanitätsbetriebes auf den im Vinschgau geborenen  Arzt setzt, wird auch dadurch deutlich, dass Neeb noch während des laufenden Auswahlverfahrens zusätzlich zum stellvertretenden Sanitätsdirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes ernannt wird.
    Am 2. April 2019 beschließt die Führung unter Generaldirektor Florian Zerzer, eine öffentliche Kundmachung zur Erteilung des Fünfjahresauftrages zur Leitung der Rechtsmedizin auszuschrieben. Die Ausschreibungsfrist endet für die Bewerber am 13. Juni 2019. Bis zu diesem Zeitpunkt gehen vier Bewerbungen ein. Neben den zwei internen Kandidaten, Oliver Neeb und Barbara Avesani, die bereits in der Bozner Rechtsmedizin tätig sind, bewerben sich mit dem Paduaner Andrea Failoni und Francesco Gongolo, Rechtsmediziner aus Udine, auch zwei externe Kandidaten.

  • Sitz der Bozner Rechtsmedizin: Leiter stand schon vor dem Auswahlverfahren fest. Foto: Google StreetView
  • Am 30. Juli 2019 ernennt der Sanitätsbetrieb die Expertenkommission, die das Auswahlverfahren durchführen soll. Dieser Prüfungskommission gehören der damalige Sanitätsdirektors des Südtiroler Sanitätsbetriebes, Thomas Lanthaler, der Direktor des Gerichtsmedizinischen Instituts an der Medizinischen Universität Innsbruck, Richard Scheithauer und Fabio Cembrani, Direktor der komplexen Struktur für Rechtsmedizin beim Sanitätsbetrieb Trient an.
    Danach aber passiert völlig unverständlich 15 Monate lang überhaupt nichts mehr.

  • Überraschender Rückzug

    Welchen Grund diese Pause hat, wird am 1. September 2020 klar. An diesem Tag beschließt der Sanitätsrat den Ausschluss von Andrea Failoni aus dem Auswahlverfahren. Dem Rechtsmediziner aus Padua wird die Dienstzeit, die er beim Arbeitsversicherungsinstitut INAIL geleistet hat, nicht anerkannt. Laut Ausschreibung müssen die Bewerberinnen und Bewerber mindestens sieben Jahre im Angestelltenverhältnis gearbeitet haben.
    Im selben Beschluss wird aber noch das Ausscheiden eines zweiten Kandidaten festgestellt. Es ist ausgerechnet der Mann, der die Ausschreibung gewinnen sollte. Jener Kandidat, der zehn Monate zuvor am 24. Oktober 2019 und mitten im Ausschreibungsverfahren zum stellvertretenden Sanitätsdirektor ernannt wurde und damit zum Stellvertreter eines Mitglieds der Wettbewerbskommission.

  • Favorit Oliver Neeb: Zieht seine Kandidatur plötzlich zurück. Foto: Sabes
  • Oliver Neeb zieht am 19. Juni 2020 völlig überraschend seine Kandidatur für das Auswahlverfahren zurück.
    Neeb hat sich damit selbst vor jenem Schicksal gerettet, das seinem Kollegen Failoni zum Verhängnis geworden ist. Denn auch dem geschäftsführenden Leiter der Bozner Rechtsmedizin fehlt zu diesem Zeitpunkt das notwendige Dienstalter. Bei Neeb geht es nur um ein paar Wochen. Er hat am 2. Juli 2012 als Facharzt im Dienst für Rechtsmedizin seinen Dienst aufgenommen. Damit fehlen dem Favoriten im Juni 2019 ein paar Wochen auf die erforderlichen sieben Jahre an Dienstzeit.
    Mit dem freiwilligen Rückzug verhindert Neeb seinen Ausschluss aus dem Auswahlverfahren.

  • „Nicht geeignet“

    An diesem 1. September 2020 beschließen Florian Zerzer & Co. aber auch die nachhaltige Veränderung der 15 Monate zuvor für das Auswahlverfahren ernannten Expertenkommission. Der offizielle Anlass dafür ist der freiwillige Dienstaustritt von Thomas Lanthaler im April 2020. Lanthaler wird in der Kommission durch seinen Nachfolger Pierpaolo Bertoli ersetzt. 
    Zudem wird ein zweites Mitglied ausgetauscht. Wir erinnern uns: Ursprünglich hatte man den Leiter der Innsbrucker Gerichtsmedizin Richard Scheithauer berufen.
    Was jetzt in dem Beschluss steht, klingt — abgesehen vom unverständlichen Deutsch — wie ein schlechter Witz:

    „festgestellt, dass sich die italienische Gesetzgebung im Bereich der Gerichtsmedizin von der österreichischen Gesetzgebung unterscheidet;  daher erachtet, ein anderes Mitglied zum Experten der Auswahlkommission bestimmen zu müssen.“

    Ersetzt wird Scheithauer durch die Leiterin der Rechtsmedizin des Sanitätseinheitsbetriebs Piacenza, Anna Maria Grego.
    Schon wenig später führt die Auswahlkommission dann die Gespräche mit den beiden verbliebenen Kandidaten Barbara Avesani und Francesco Gongolo durch. Am 17. November 2020 beschließt der Sanitätsrat dann das „negative Ergebnis des Auswahlverfahrens“. Die Expertenkommission hatte kurz vorher beide Kandidaten als nicht geeignet bewertet.

  • Da capo

    Es dauert keine drei Monate, dann beginnt das Theater da capo. 
    Am 16. Februar 2021 schreibt der Sanitätsbetrieb ein neues Auswahlverfahren für die Leitung der Rechtsmedizin aus. Interessierte müssen bis zum 6. Mai 2021 ihre Gesuche einreichen.
    Der Zufall, der mit dieser Wiederholung einhergeht: Oliver Neeb hat inzwischen das erforderliche Dienstalter erreicht. 
    Ein Schelm, wer Böses denkt.

     

    „Der Zufall, der mit dieser Wiederholung einhergeht: Oliver Neeb hat inzwischen das erforderliche Dienstalter erreicht. Ein Schelm, wer Böses denkt.“

     

    Diesmal werden per Beschluss am 27. Juli 2021 insgesamt fünf Kandidaten zugelassen. Neben Oliver Neeb und den kurz davor durchgefallen Francesco Gongolo und Barbara Avesani bewerben sich auch die beiden Südtiroler Mediziner Verena Steurer und Roberto Tassetti.
    Geht es bis zu diesem Zeitpunkt sehr schnell, versandete auch dieses Auswahlverfahren danach wieder. Diesmal sogar für zweieinhalb Jahre.
    Der Grund dafür ist eine juristisch-politische Bombe. 

  • Südtiroler Sonderweg

    Staatsweit gibt es bei der Ernennung der Primare eine klare Regelung. Nach Ausschreibung der Wettbewerbe prüft eine Kommission die Kandidatinnen und Kandidaten. Die Mitglieder dieser Kommission stammen zum Teil aus dem betreffenden Sanitätsbetrieb und zum Teil sind es externe Fachleute. Wobei die Mehrheit der Kommissionsmitglieder von außerhalb kommen muss.
    Diese Kommission erstellt dann eine Rangliste der Kandidatinnen und Kandidaten, und der Generaldirektor kann jemand aus den drei Erstgereihten zum Primar ernennen. Überspringt er dabei den oder die Erstgereihte/n, muss er diese Entscheidung ausführlich begründen.
    Beide Bestimmungen zielen darauf ab, die Inzucht und die politischen Mauscheleien bei den Ernennungen in den Krankenhäusern zumindest einzudämmen.

  • Krankenhaus Bozen: Primar-Ernennung müssen wiederholt werden. Foto: Seehauserfoto
  • In Südtirol hingegen hat man sich per Landesgesetz 2017 für einen Sonderweg entschieden. Nicht nur, was die Zusammensetzung der Prüfungskommission betrifft, sondern auch den Ernennungsmodus. Die Expertenkommission erstellte nicht eine Rangordnung, sondern nur eine Liste der Geeigneten. Aus dieser Liste kann der Generaldirektor des Sanitätsbetriebes dann die Primaria oder den Primar auswählen, ohne die Wahl begründen zu müssen. Zudem steht dem zuständigen Bezirksdirektor ein Vorschlagsrecht zu.
    In der Realität heißt das: In Südtirol wird jahrelang nur Primar oder Primaria, wer der Sanitätsführung genehm ist.

  • Das Urteil

    Dieser Südtiroler Sonderweg führte aber in eine Sackgasse. Die Meraner Neoantologin Gaia Weissmann klagte gegen ihre Nichternennung zur Primaria. Im Verfahren vor dem Arbeitsgericht wirft ihr Anwalt die Frage auf, ob dieser Südtiroler Sonderweg nicht verfassungswidrig sei. Richter Giulio Scaramuzzino ruft in dieser Frage das Verfassungsgericht an. Das italienische Höchstgericht kommt am 7. Juni 2022 zum Schluss, dass das Südtiroler Auswahlverfahren zur Primarernennung verfassungswidrig ist.
    Weissmann erhält 334.000 Euro an Schadenersatz und Verdienstausfall. An dieses Urteil hängt sich aber eine ganze Reihe von weiteren Medizinern, die mit diesem Modus nicht zum Primar wurden. So auch Barbara Avesani und Francesco Gongolo, die gegen den Beschluss vom Herbst 2020 vor Gericht gehen, mit dem sie als "nicht geeignet" befunden wurden. Im Oktober 2023 gibt die Bozner Arbeitsrichterin Eliana Marchesini der Klage der Beiden Recht und verurteilt den Sanitätsbetrieb zur Zahlung von 157.000 Euro an Gongolo und von 92.000 Euro an Avesani.

  • Die Ernennung

    Seit dem Urteil des Verfassungsgericht ist auch klar, dass 52 Ernennungen von Primaren im Sanitätsbetrieb unter Einhaltung der staatlichen Spielregeln wiederholt werden müssen. Auch das Auswahlverfahren zur Leitung der Rechtsmedizin.
    Es ist schließlich Sonderkommissarin Irene Pechlaner, die sich dieses Auswahlsverfahrens annimmt, das seit Juli 2021 ruht. Am 29. Dezember 2023 beschließt die kommissarische Verwalterin der Sanitätseinheit die Einsetzung einer neuen Auswahlkommission. Dieser gehören neben Sanitätsdirektor Josef Widmann die Direktorin der Rechtsmedizin der Sanitätseinheit Romagna, Donata Dal Monte, der Direktor der Rechtsmedizin der Sanitätseinheit Sette Laghi in Varese, Massimo Alonzo, und Aldo Di Fazio, Leiter der Rechtsmedizin in der Sanitätseinheit Potenza und Matera an. 

  • Rechtsmedizinerin Barbara Avesani:: Fünf Jahre, um Primaria zu werden. Foto: B. A: Archivio
  • Am 19. Jänner 2024 finden die Anhörungen der Kandidaten statt. Am 13. Februar 2024 nimmt Kommissarin Irene Pechlaner per Beschluss das Ergebnis zur Kenntnis. Die Kommission hat zwei Kandidaten für geeignet erklärt: Barbara Avesani und Francesco Gongolo. 
    Es sind ausgerechnet jene zwei Rechtsmediziner, die die Südtiroler Kommission drei Jahre zuvor in der selben Angelegenheit noch durchfallen ließ.
    Nach Informationen von SALTO ist Barbara Avesani die Erstgereihte. Die Bozner Rechtsmedizinerin wurde persönlich auch bereits informiert, dass sie mit einem eigenen Beschluss demnächst zur Primaria und Leiterin der Rechtsmedizin ernannt wird.
    Damit bekommt die Ärztin nach fünf Jahren jenen Job, für den sie sich beworben hat.

  • Der Risiko-Manager

    Diese absurde Geschichte zeigt exemplarisch, wie die Beförderungen im Sanitätsbetrieb Südtirol jahrelang funktioniert haben. Es ist eine Affäre mit einem Happy End. Nicht nur für Barbara Avesani.
    Denn die geneigten Leserinnen und Leser werden sich spätestens jetzt fragen, was mit jenem Mann passiert ist, der ursprünglich für die Leitung der Rechtmedizin bestimmt war: Oliver Neeb.
    Unter der Führung von Florian Zerzer wird im Sanitätsbetrieb auch die komplexen Struktur „Organisationseinheit für die klinische Führung“ eingerichtet. Am 8. November 2022 wird Oliver Neeb per Beschluss provisorisch der Auftrag als geschäftsführender Direktor dieser Abteilung erteilt, die bei der Generaldirektion des Südtiroler Sanitätsbetriebes angesiedelt wird. Zudem wird Neeb als betrieblicher Risk-Manager beauftraget.
    Oliver Neeb hat in dieser Funktion im Jahr 2023 222.527,16 Euro verdient. 
    Das ist mehr als der Sanitätsdirektor, der Verwaltungsdirektor oder alle Bezirksdirektoren im Sanitätsbetrieb bekommen.
    Ende gut, alles gut? Für den Steuerzahler wohl kaum.

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Christian I Fr., 23.02.2024 - 13:45

Was mich am meisten von dieser Geschichte interessiert: wer bezahlt fùr diesen Saustall? Wieder wir dumme Steurzahler?
Gibt es in Sùdtirol noch ein Rechnungshof?

Fr., 23.02.2024 - 13:45 Permalink
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Salto User
opa1950 Fr., 23.02.2024 - 13:53

Diese Spesen sollte nicht die Allgemeinheit bezahlen. Sonder der schlaue Vinschger Zerzer. Nebenbei müsste er aus dem Landesdienst sofort entlassen werden.

Fr., 23.02.2024 - 13:53 Permalink
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Profil für Benutzer Markus K.
Markus K. Fr., 23.02.2024 - 18:35

Antwort auf von nobody

Um das Heilen geht es denen schon lange nichgt mehr, obwohl sie dafür den Hippokrates-Eid geleistet haben. Die Prioritäten dieser Herren liegen längst bei der Frage, wie sie bei minimalem Einsatz maximalen Verdienst herausschlagen können. Dafür gehen sie sprichwörtlich über Leichen. Da brauch ich nur die Hausärzte in meinem Tal ansehen, da gehts ähnlich zu. Einfach nur traurig.

Fr., 23.02.2024 - 18:35 Permalink
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Simonetta Lucchi Sa., 24.02.2024 - 16:27

E non conosciamo come funzionano le cose nei concorsi, e non solo per gli ospedali ? Speriamo che non debba rimpiangere di aver ottenuto il posto meritato.

Sa., 24.02.2024 - 16:27 Permalink