Kultur | Rede

„Die Zweifel zu akzeptieren“

Die dreisprachige Laudatio von Stefania Pitscheider Soraperra auf die Preisträger des Bischof-Josef-Gargitter-Preises 2022 Lois Anvidalfarei und Roberta Dapunt.
Anvidalfarei. Lois, Dapunt, Roberta
Foto: Othmar Seehauser
Stimé publich, stimada Roberta, stimé Lois, gentili signore e signori, sehr geehrte Damen und Herren,
 
al è por mè en onú da ester encö atlò con os por onoré y por laldé le laûr de döes porsones che i aprijei dër: Roberta Dapunt y Lois Anvidalfarei. Can che i sun gnüda damanada da baié encö atlò, ai dubité en cört momont sce iu foss bën la dërta porsona. Da öna na pert porta le lauré sora i derc dla era y dai generi – cösta è la pert plü importanta de mio laûr– a se damané sce an passenei ben ete te na strutura desco la dlijia, concepida, portada ennant y manajada mâ da ei. Da l’atra pert á propio l’ert de Lois plü de önn en iade porté a conflic con la dlijia y sü rapresentanc.
Le pest dal Vesco Gargitter? En pest da pert dla dlijia? Sonz’ater m’ai damané sce cösta foss na strategia de apropriaziun.
Mo dubité ai mâ püch: la amicizia con Lois a metü man dan da trëpes desënes canche i ea enstessa roada a Viena a stüdié y la amiraziun por le laûr de Roberta döra belo dër trëc agn. Y che cösc pest dla dlijia vegni propio sorandé atlò tal Museion, en post ola che al s’è manifesté na storia nia saurida danter l’êrt y zerti rapresentanc dla dlijia co a araté da messëi defener la moral, che cösc pest vegni sorandé propio atlò, m’a porté a al convinziun da lí cösc pest desco segno de daurida y de bona orenté. A porchel ai dit de sciö. Y atlò sunse, con ligrëza. Iolan dal invit.
I mo proará da ji ennant por talian y spo por todesch...*
Sonz’ater m’ai damané sce cösta foss na strategia de apropriaziun.
Assegnando il Premio Vesco Joseph Gargitter a Roberta Dapunt e Lois Anvidalfarei, la giuria ha aperto una nuova strada. Per la prima volta, questo premio viene assegnato a una coppia. Per la prima volta, il premio viene assegnato a persone di madrelingua ladina. E per la prima volta, il premio viene assegnato a due persone che plasmano la cultura di questo Paese e non solo – una poetessa e uno scultore, mentre finora I destinatari erano persone con grandi meriti in campo sociale o socio-politico.
Quando, all'inizio della pandemia, gli abitanti di Napoli iniziarono a cantare dai balconi, fecero una vera e propria conquista culturale, una conquista che ci ha fatto capire quanto siamo esseri culturali, quanto la cultura sia intimamente intrecciata all'essere umano. La cultura ci unisce, crea prospettive, conforta. La cultura è più di una ciliegina sulla torta – è uno spazio di risonanza in cui una società è obbligata a guardare ai rapportid interpersonali e a comunicare criticamente sul proprio ruolo.
Per la prima volta, questo premio viene assegnato a una coppia. Per la prima volta, il premio viene assegnato a persone di madrelingua ladina.
Fin dai primi giorni della pandemia, le offerte digitali furono innumerevoli. Senza dubbio ci hanno aiutato a superare un momento molto difficile per noi tutti. Ma tutte le offerte digitali, gli streaming, i blog culturali, le letture online, le inaugurazioni via zoom alla fine hanno dimostrato di poter essere solo dei surrogati. Questo ci ha resi consapevoli quanto l'arte e la cultura abbiano bisogno di uno spazio fisico, quanto la dimensione auratica di un originale possa dispiegarsi solo in incontri reali. Ora siamo consapevoli piú che mai che un fattore decisivo dell'impatto dell'arte e della cultura risiede nell'incontro diretto con le persone, che l'arte e la cultura creano spazi di incontro in cui la società viene negoziata e messa in discussione.
E ora continuo in tedesco (sará Roberta poi a parlare in Italiano)...
 
 
 
Paul Klee hat das so formuliert: "Kunst zeigt nicht das Sichtbare, sondern macht sichtbar". Sie kann also neue Blickwinkel und Sichtweisen aufzeigen.
Lassen Sie mich etwas ausholen: Mit der Aufklärung hat sich das individuelle Subjekt ausgebildet, hat der Mensch sein Selbst und sein individuelles Selbstbewusstsein stärker entwickelt, er ist sich also seiner selbst bewusst geworden. Spätestens seit der Erfindung der Fotografie und des Films Ende 19. Jahrhunderts sind die Künstlerinnen und Künstler befreit von der Last, die Welt abzubilden wie sie ist. Nach dem Ersten Weltkrieg, der ersten großen Katastrophe des 20. Jahrhunderts in Europa – und wir haben nun eine neue große Katastrophe in Europa –, waren die alten Regierungs- und Gesellschaftssysteme, die zu dieser Katastrophe geführt hatten, zerstört. Es waren vor allem auch Künstlerinnen und Künstler, die eine neue Welt erschaffen wollten, die mit neuen Lebensformen, aber auch mit neuen Ausdrucksformen experimentiert haben. Die Kunst war somit eine treibende Kraft der Erneuerung. Gleichzeitig hatte sie eine gewichtige Stimme in der Kritik des Bestehenden. Wie die Philosophie hat die Kunst die Rolle der teilnehmenden Beobachterin, die auf unsere Welt blickt und eben Dinge sichtbar macht, die zunächst verborgen scheinen. Sie ist Bohrkern und Seismograph und erweitert unsere Wahrnehmung, spiegelt gesellschaftliche Debatten wider, weist gleichzeitig
über das alltägliche Geschehen hinaus. Sie bietet, Reibungsflächen in der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und ist Ausdruck des menschlichen Daseins.
Wird aber etwas sichtbar gemacht, dass wir nicht sehen oder vielleicht auch nicht sehen wollen, dann erzeugt dies bei manchen Widerstand und Ablehnung.
Wird aber etwas sichtbar gemacht, dass wir nicht sehen oder vielleicht auch nicht sehen wollen, dann erzeugt dies bei manchen Widerstand und Ablehnung.
Nun komme ich zu den zwei wichtigen Personen des heutigen Tages. Mit Lois Anvidalfarei verbindet mich eine alte Freundschaft, seit den ersten Studientagen in Wien vor etlichen Jahrzehnten. Ich habe seine Arbeit verfolgt und die konzentrierte Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung mit Form wie Inhalt gleichermaßen, das Geerdete, das Gewichtige, das Körperhafte seiner Figuren immer bewundert; Figuren, die formal unglaublich präsent sind, jedoch ihrem Wesen nach weit über formalästhetische Aspekte hinausgehen.
Als dann Roberta Dapunt an Lois Seite trat, war das wie eine logische Entwicklung, ist sie doch – so wie er – eine Dichterin, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Und dieses Bewusstsein für Kunst als etwas dem Menschen Innewohnenden, sehen wir bei ihr wie bei ihm.
 
 
Lois Anvidalfarei wird 1962 in Abtei / Badia geboren. Nach der Staatliche Kunstschule in St. Ulrich in Gröden studiert er an der Akademie der Bildenden Künste in Wien bei Joannis Avramidis. Nach Abschluss des Studiums kehrt er 1989 in seine Heimat zurück. Seither bewirtschaftet er – gemeinsam mit Roberta – den von den Eltern geerbten Bauernhof und arbeitet als freischaffender Bildhauer.
Die bekanntesten Werke von Lois Anvidalfarei sind figuralen Skulpturen. Meist beginnt er bei der Zeichnung, um über die Gipsfigur zur gegossenen Bronzeskulptur zu kommen. Seine Altarraumgestaltungen, z.B. in Mondsee, sind hingegen streng und abstrakt.
Lois Anvidalfarei schafft Arbeiten für die Wiltener Basilika, für Sonntagberg, für Unterammergau, für Wien oder für Südtirol. Er beteiligt sich an zahlreichen internationalen Ausstellungen und nimmt Teil an der 54. Biennale von Venedig im Jahr 2011.
Die Skulpturen, die Teil der Fassade der Landhauskapelle in Innsbruck geworden sind, tragen gewichtige Titel wie „Die Bekehrung“, „Das Böse“, „Das Entsetzen vor dem Bösen“, „Die Segnung“. Die Körper, die er schafft, sind ganz und gar nicht idealisiert.
Seine Arbeiten wurden daher nicht selten verhindert, beschädigt, abgedeckt, entfernt, abgelehnt. Einmal haben sie sogar dazu geführt, dass das Abhalten einer Prozession vom Entfernen einer seiner Skulpturen abhängig gemacht wurde.
Aber was ist das das Provokante an diesen Werken? Ist es die Nacktheit? Provozieren sie, weil sie nicht tradierten Vorstellungen entsprechen?
Viele seiner Werke zeigen fragmentierte Körper, eingesperrt, aufgehängt, verloren, verlassen, verzweifelt, kauernd.
Viele seiner Werke zeigen fragmentierte Körper, eingesperrt, aufgehängt, verloren, verlassen, verzweifelt, kauernd. Und machen damit das Turbulente, das Hässliche, das Schmerzhafte, das Verletzte und Verletzliche im Menschen sichtbar. Und damit lassen sie kein Verdrängen mehr zu. Sie werfen uns auf uns selbst zurück. Und das ist schmerzhaft und – für manche Menschen – schwer auszuhalten. Natürlich kann Kunst verstören und irritieren, aber erst wenn wir gewohnte Positionen und Sichtweisen verlassen, wird Selbstreflexion möglich. Ein chinesisches Sprichwort sagt: "Wenn du loslässt, hast zu zwei Hände frei". Lassen wir doch los von gewohnten und eingeübten Wahrnehmungen! Kunst darf, Kunst soll uns irritieren!
 
 
 
Roberta Dapunt ist seit vielen Jahren Lois Anvidalfareis kongeniale, auf allen Ebenen ebenbürtige Partnerin. Sie wird 1970 geboren, auch sie in Abtei/Badia. Sie ist ladinischer Muttersprache und beginnt bald auf Italienisch zu schreiben und tut dies mit einer Leichtigkeit, die typisch ist für jemanden, der sich seit jeher zwischen den Sprachen und Kulturen bewegt. Bereits in jungen Jahren veröffentlicht sie 1993 die Sammlung "OscuraMente", gefolgt von "la carezzata mela" im Jahr 1999 und "del perdono" im Jahr 2001.
Auf keinen Fall will sie Erfolg durch Protektion.
Der berühmte neapolitanische Schriftsteller Erri de Luca, mit dem sie immer wieder Lesungen gestaltet, schlägt sie dem renommierten Verlag Giulio Einaudi editore vor. Der Verlag kontaktiert Roberta und ... sie ist zunächst geneigt abzulehnen. Auf keinen Fall will sie Erfolg durch Protektion. Doch der Verlag überzeugt sie, sie nicht aufgrund von Beziehungen, sondern einzig und allein aufgrund der Qualität ihrer Arbeit unter Vertrag nehmen zu wollen. Und so publiziert Roberta Dapunt 2008 «la terra piú del paradiso», ein poetisches Werk über einen Bauernhof als Mikrokosmos. Roberta Dapunt verzichtet dabei bewusst auf ein Vorwort ihres berühmten Förderers. So beginnt eine lange, erfolgreiche und fruchtbare Zusammenarbeit, die nun vier Gedichtbände und mehrere Auflagen umfasst.
Der große Erfolg kommt 2012, als sie NAUZ beim Folio Verlag veröffentlicht – diesmal auf Ladinisch mit einer deutschen Übersetzung von Alma Vallazza. Von der ladinischen Community wird ausgerechnet dieses Werk wenig wahrgenommen, vielleicht weil ihr manche die Wahl des Italienischen als ihre Poesiesprache übelnehmen. Zur Sprache aber gleich mehr.
«Le beatitudini della malattia» schreibt Roberta Dapunt wieder auf Italienisch, ebenfalls wie «Sincope», ein Werk, bei dem sie sich mit dem Körper beschäftigt.
Übersetzt wurden inzwischen viele ihrer Werke, sogar auf Albanisch oder Spanisch. «Le beatitudini della malattia» heißt auf deutsch «Die Krankheit als Wunder».
Und gerade in diesem Werk (und ich sage das als unmittelbar Betroffene) geht es um die Vermittlung einer substanziellen, elementaren Erfahrung – der jahrelangen Pflege eines
kranken Familienangehörigen. Roberta beschließt sich künstlerisch, poetisch mit dieser Erfahrung auseinanderzusetzen und bringt an die Oberfläche, wie sehr eine Krankheit wie Alzheimer nicht nur den erkrankten Menschen unmittelbar betrifft, sondern auch dessen nahes Umfeld.
Roberta erinnert sich, manchmal bruchstückhaft, an Regeln, an Tagesabläufe strukturiert durch Gebete, an Litaneien, an innere Ruhe und Gelassenheit, an Gerüche. Sie pflegt und wäscht. Und sie zweifelt und leidet. Krank ist man immer zu zweit und die pflegende Seite wird allzu oft übersehen. Umso eindringlicher gedeihen ihre Worte.
Kann man Demenz – also einen Zustand, bei dem der Geist vergisst, der Körper sich aber erinnert – kann man Demenz einfühlsamer beschreiben als mit der Verszeile: "Du lächelst mich an und rundum bist du aufhebung der zeit, / ein grashalm, der um seine wiese nicht weiß."
Roberta schreibt meist in einer Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist.
Roberta schreibt meist in einer Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist. Wie ist es, in einer Sprache zu schreiben, die nicht die eigene Muttersprache ist? Diese Frage stelle ich mir oft, weil sie Teil meines eigenen Lebens ist. Wie fühlt es sich an? Wie ein anderes Leben? Tatsache ist, dass das in der Literatur gar nicht so selten ist.
Der einfühlsame Beobachter Milan Kundera schreibt nicht auf Tschechisch, sondern auf Französisch. Die großartige nigerianische Feministin und Bestsellerautorin Chimamanda Ngozi Aidchie schreibt nicht auf Igbo, sondern auf Englisch, ebenso wie Yiyun Li, die ihrem Ursprungsland China den Rücken gekehrt und aus Protest ihr altes Leben und ihre Muttersprache abgelegt hat. Antonio Tabucchi schreibt mitunter auf Portugiesisch, Ishraga Mustafa-Hamid kommt aus dem Sudan und schreibt auf deutsch, ebenso wie Nino Haratischwili aus Georgien oder Tanja Maljartschuk aus der Urkaine. Und so auch Roberta Dapunt, die Ladinerin ist und meist auf Italienisch schreibt.
Die Gründe, in einer Sprache zu schreiben, die nicht die eigene Muttersprache ist, können persönlicher, politischer oder künstlerischer Natur sein. Roberta Dapunt sagt dazu: “Die Sprache bedeutet für mich nicht politische Mission. Italienisch ist für meine Poesie einfach die richtige Sprache. Und Poesie braucht nun mal eine Sprache“.
 
 
 
Fest steht: Es gibt nicht die eine richtige Art und Weise, eine Sprache zu sprechen – oder in ihr zu schreiben. Aber gerade dieses Schreiben erfordert ein hohes Maß an Sensibilität, an Einführungsvermögen, an Präzision im Denken. Vertrautheit muss erarbeitet, das Geschriebene Wort abgewogen, verglichen, in Beziehung gesetzt werden. Der Blick von außen auf eine Sprache, die nicht die ureigene ist, kann Türen zum künstlerischen Potenzial öffnen,  das Potenzial nämlich im Anderen etwas Neues und Wertvolles zu schaffen. Die Frage, ob es besser oder schlechter sei, sich nicht in der eigenen Muttersprache auszudrücken, kommt dabei gar nicht auf.
 
Was bedeutet es als Paar künstlerisch tätig zu sein, als zwei autonom Schaffende, die aber in einer Lebensgemeinschaft vereint sind?
Und noch eine Frage beschäftigt mich:
Was bedeutet es als Paar künstlerisch tätig zu sein, als zwei autonom Schaffende, die aber in einer Lebensgemeinschaft vereint sind?
In der Kunst- und Kulturgeschichte finden wir zahlreiche kunstschaffende Paare. Nicht selten stand jedoch der Mann im Vordergrund. Wir kennen alle Wassily Kandinsky, während die große Malerin Gabriele Münter erst in den letzten Jahren einem breiteren Publikum bekannt wurde. So verhält es sich auch mit Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin. Sowohl sie als auch Gabriele Münter wurden von ihren Männern in ihrer Kunst wenig unterstützt.
Der finnische Architekt Alvar Aalto ist weit bekannter als seine geniale Ehefrau Aino Aalto.
Trudi Frisch war eine großartige Architektin. Sie kennen aber vermutlich vor allem ihren Mann, den Schriftsteller Max Frisch.
Roberta Dapunt und Lois Anvidalfarei sind aber einander ebenbürtig, auch in der Außenwahrnehmung. Da wirft nicht der Eine einen Schatten auf die Andere – oder umgekehrt.
Roberta Dapunt und Lois Anvidalfarei sind aber einander ebenbürtig, auch in der Außenwahrnehmung. Sie haben einander seit jeher genügend Freiraum geschenkt, um parallele und höchst erfolgreiche Entwicklungen zuzulassen. Da wirft nicht der Eine einen Schatten auf die Andere – oder umgekehrt.
Sie sagen von sich, dass sie immer nebeneinander gearbeitet haben, dass das Sprechen über die Dinge sehr wichtig sei, dass sie stundenlang frühstücken und alle Themen auf den Tisch legen, bevor sich jeder an die eigene Arbeit macht.
Sie sagen, dass die Denkweise lange Zeit ähnlich gewesen sei, dass es aber auch möglich ist, sich zu verändern und immer autonom zu bleiben und trotzdem einander verbunden zu sein. „Wir stellen alles immer und grundsätzlich in Frage. Das Geheimnis ist, die Zweifel zu akzeptieren“, sagen sie beide.
Und Roberta schreibt an Lois: «Amico mio, non ho argomento sicuro di cui farti dono, se non la condizione di abitare insieme la vita”. Sie beschreibt damit auf berührende und eindrückliche Weise das Wesen dieser Lebens- und Kunstgemeinschaft.
 
 
 
Und zu guter Letzt geht es um den Ort, um Ciaminades, den Ort, an dem die beiden ihr „gemeinsames Bewohnen des Lebens“ leben, um es mit Robertas Worten zu sagen.
Der Ort ist das wirklich Verbindende. Beide sind erdverbunden, sie stehen in dieser Welt, sind physisch anwesend. Ciaminades ist ein Ruhepol in einer hochtouristischen Umgebung.
Ciaminades ist ein Paar, eine Familie, viel Natur. Ciaminades ist Atelier, Schreibstube, Begegnungsort. Ciaminades ist aber nicht bukolische Idylle – das wurde allzu oft missverstanden. Ciaminades ist ein lebendiger Ort, an dem es unzählige Veranstaltungen gab, Theateraufführungen, Konzerte, Lesungen, Vorträge. Ein Ort, das Migrant:innen und Geflüchteten Raum geschenkt hat und alle Aspekte des Lebens abdeckt. Ein Ort, der mit Roberta und Lois gewachsen und geworden ist, eine „vorbereitete Umgebung“ im Sinne Maria Montessoris, ein physischer und psychischer Raum also, in dem entscheidende Schritte eines seelischen und geistigen Wachstums vollzogen werden können.
Der ländliche Raum befindet sich nicht hinter den sieben Bergen. Im ländlichen Raum werden Entscheidungen von weltweiter Tragweite getroffen
Als jemand, der ein Frauenmuseum leitet, das sich in einem kleinen Dorf in Vorarlberg befindet, aber weit über die Region hinauswirkt, zahlreiche internationale Beziehungen pflegt und tagtäglich Inklusion und Partizipation lebt, weiß ich, welche Wichtigkeit Kulturinstitutionen und Kulturbegegnungszonen im ländlichen Raum haben.
Der ländliche Raum befindet sich nicht hinter den sieben Bergen. Im ländlichen Raum werden Entscheidungen von weltweiter Tragweite getroffen – denken Sie an den Brexit, an Donald Trump, an starke rechte Tendenzen überall in Europa. Das sind keine urbanen Phänomene, das wird in ruralen Gebieten entschieden. Umso mehr müssen wir die demokratischen, die weltoffenen, die kritischen, die menschenverbindenden Kräfte im ländlichen Raum stärken. Und Ciaminades ist ein Ort, der dies möglich macht. Ein Ort, an dem es um Sein statt um Schein geht, und ein Ort, an dem es um Haltung geht.
Und hinter dieser Haltung stehen zwei großartige Menschen – eine Dichterin und ein Bildhauer.
 
 
* Es ist für mich eine große Ehre heute hier zu sein, um die Arbeit von zwei Menschen zu loben und zu ehren, die ich sehr schätze: Roberta Dapunt und Lois Anvidalfarei.
Als ich gefragt wurde, heute hier die Laudatio abzuhalten, habe ich überlegt, ob ich denn die richtige Wahl dafür sei. Einerseits führt die Arbeit mit Frauenrechten und Geschlechtergerechtigkeit – und das ist ein zentraler Aspekt meiner Arbeit – dazu, sich zu fragen, ob man zu einer Organisation passe, die ausschließlich von Männern konzipiert, vorangetrieben und geleitet wird. Andererseits hat gerade die Kunst von Lois mehr als einmal zu Konflikten mit der Kirche und ihren Vertretern geführt.
Der Bischof-Joseph-Gargitter-Preis? Ein Preis seitens der Kirche? Auf alle Fälle habe ich mich gefragt, ob es sich dabei um eine Vereinnahmungsstrageie handeln könnte.
Aber gezweifelt habe ich nur kurz: Die Freundschaft mit Lois hat schon vor etlichen Jahrzenten während des Studiums in Wien begonnen, und die Bewunderung für die Arbeit von Roberta dauert auch schon viele Jahre an. Und dass dieser Preis ausgerechnet im Museion überreicht wird – einem Ort, an dem die gar nicht einfache Beziehung zwischen zeitgenössischer Kunst und manchen, die „Moral“ vertretenden Vertreter:innen der Kirche manifest wurde, dass dieser Preis also ausgerechnet hier übergeben werden soll, hat mich davon überzeugt, dies heute hier als Zeichen der Öffnung und des guten Willens zu sehen. Und deshalb habe ich zugesagt. Und hier sind wir, mit Freude. Herzlichen Dank für die Einladung.
Ich werde nun auf Italienisch und dann auf Deutsch weitergehen...