Kultur | Salto Afternoon

Schneeeule im Sommer

Die Künstler Linda Jasmin Mayer und Sebastian Kulbaka stellen im Rahmen des Projekts “We and the others” ihre Arbeit "Dove fermarsi?" in Kassel aus. Ein Gespräch.
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Foto: Quelle: Linda Jasmin Mayer

Salto.bz: In Ihrer Arbeit geht es um Migrationsbewegungen in der Vogelwelt? Über die Kunst des Fliegens… anhand einer Schneeeule?
Linda Jasmin Mayer:
Die Beobachtung von Migrationsbewegungen in der Vogelwelt waren der Ursprung der Arbeit, von hier aus haben sich viele neue Aspekte entwickelt. Die Schneeeule ist weder Vogel noch Mensch, sie ist ein Wesen im „Dazwischen“ und befindet sich somit in einer schwierigen Situation, da sie sich weder zum Einen noch gänzlich zum Anderen zugehörig fühlt.

Vielleicht macht sie sich auf den Weg um ihrem Leben einen Sinn zu verleihen. Die Suche, auf die sich begibt, wird sie dazu bringen ihre Menschlichkeit sowie ihr Tiersein zu entdecken.

Die Schneeeule versucht mit der Leere umzugehen die sie ins sich fühlt, eine Antwort auf die Fragen zu finden die sie bewegen. Der Mensch hat Beine, die er verwendet, um sich fortzubewegen, ohne danach zu fragen weshalb er damit ausgestattet ist. Der Vogel hat Flügel, die er benutzt um Nahrung zu finden, er hinterfragt nicht seine Flugbewegungen.

Wie, mit wem und vor allem wo wurde das Projekt realisiert, das nun in Kassel zu sehen ist?
Der Ursprung der Arbeit ist eine Studie zum Verhalten von Zugvögeln die ich im Sommer 2016 mit der finnischen Künstlerin Sara Pathirane durchgeführt habe.
Natürlich waren es die schwierigen politischen Bedingungen der Menschen die sich auf den Weg nach Europa gemacht hatten, die uns zur Metapher der Zugvögel gebracht hatten. Finnland war zu diesem Zeitpunkt eines jener Länder der EU die am wenigsten Flüchtlinge aufnahmen, Millionen von Vögel jedoch kommen jährlich über die Sommermonate nach Finnland. Die Zugvögel sind willkommen, es gibt tausende von Menschen die jährlich die Vögel beobachten.
Wir folgten dem Ornithologen Martti Heinkinheimo während der Beringung von Vögeln zum Zwecke der Aufzeichnung von Migrationsbewegungen und der Gewinnung von Informationen über den Status einzelner Vogelpopulationen. Wir machten Videoaufnahmen in den weiten Feuchtgebieten Lapplands, wo wir unter Anderem einer Sperbereule begegneten, an der Grenze zwischen Finnland und Norwegen, die das geographische Ende des europäischen Staatsgebiets darstellt.

Vom Norden Europas ging es dann nach Sri Lanka...
Die daraus entstandene multimediale Installation „Invisible Walls“, wurde an der Colombo Art Biennale 2016 in Sri Lanka gezeigt. Sie erschafft durch Klänge, Projektionen und Netze einen dreidimensionalen, organischen Raum, der die Frage nach der Bewegungsfreiheit und den Einschränkungen dieser Freiheit im geistigen und materiellen Raum neu verhandelt.

​Die Frage ist aber, an welchem Punkt wir anhalten. 

Die Schneeeule ist der Anfang einer mehrteiligen Arbeit?
Die Schneeule ist der erste Mensch-Vogel-Charakter, der sich aus der Arbeit „Invisible Walls“ ergeben hat und in Zusammenarbeit mit dem italienischen Kostümbildner Andrea Ferri realisiert wurde. Nach der Schneeeule wird es weitere Mensch-Vogel-Charaktere geben, die aus unterschiedlichen Orten der Welt kommen und sich treffen werden.
Die Aufnahmen und das Konzept des ersten Teils von „Dove Fermarsi?“ wurden in Zusammenarbeit mit dem italienisch-polnischen Künstler Sebastian Kulbaka realisiert und hier in Kassel ausgestellt.

Dieser erste Teil der dokumentarischen Videoarbeit verarbeitet die Schwierigkeit das eigene "zu Hause" in der Welt zu finden. Wo sind Sie Daheim?
Das Mensch-Vogel-Wesen glaubt, dass es kein Zuhause hat und aus diesem Grund sehnt es sich und sucht danach. Es bemerkt, dass sein Zuhause an keinem spezifischen Ort ist, sondern sich aus den Beziehungen zu Anderen und zum Umfeld entsteht und in stetigem Wandel ist. Es macht die Erfahrung, ein Teil der Welt zu sein.

Wann stellen Sie sich die Frage „Dove fermarsi?”
Manchmal halten Menschen an, weil sie müde sind. Manchmal halten sie an um der Umgebung mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Manchmal um Zuflucht zu finden. Manchmal wenn sie Menschen treffen, mit denen sie sich ausseinandersetzen wollen. Manchmal halten sie an um etwas zu lernen oder um das Gelernte weiterzugeben.
Die Frage ist aber, an welchem Punkt wir anhalten. Und diese Entscheidung ist uns täglich überlassen.

Warte Für Kunst
Tischbeinstrasse 2
Kassel, Germany

22.6.-29.6.2017