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Der Maler Jörg Hofer stellt seine Arbeiten in der von Architekt Werner Tscholl umfunktionierten Seifenfabrik in Marling aus. Eine Begegnung mit dem Künstler. [Teil 1]
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Foto: Foto: Salto.bz

Gastbeitrag von Erika Wimmer Mazohl

„Kann man Bilder hören?“ Diese Frage stellt – in der Auseinandersetzung mit Jörg Hofers Bildern – der Zwölftonmusiker und Komponist Herbert Grassl. Und vergleicht den Vorgang des Sehens mit dem des Hörens wie folgt:

„Die visuelle Wahrnehmung ermöglicht es uns problemlos, eine Zusammenfassung des ganzen Bildes zu vollziehen. In Sekundenschnelle können wir das Gesehene zerlegen und wieder zusammenfügen. In der akustischen Wahrnehmung bedarf es dafür einer wesentlich größeren Leistung des Gehirns.“

Jörg Hofers Bilder ‚tönen‘ tatsächlich ein wenig, wenn man mit der Hand über deren raue Oberfläche streicht, was ausdrücklich erwünscht ist: Da ist ein Schaben, fast ein Schleifen zu vernehmen. Doch der Künstler fordert die Betrachterin und den Betrachter zum Ertasten seiner Werke weniger wegen des subtilen akustischen als wegen des haptischen Erlebens auf. Kleine Krater, Furchen, Täler und Erhebungen sind neben den von Noppen überzogenen, krustenartigen Flächen, die sich dazwischen ausbreiten, Teil der Bildwahrnehmung über die Hände. Es ist sofort zu spüren, hier wurde nicht nur Farbe aufgetragen: Hofer mischt Marmorpartikel in seine Farben, er malt mit Marmorstaub. Und setzt (u.a. mit Spachteln, Besen) in die noch weiche Farbschicht weitere Strukturen. Ist der Auftrag erstarrt, erscheint die Bildoberfläche, betrachtet man sie von der Nähe, gerippt, geädert – wie eine aus der Vogelperspektive  gesehene Steinlandschaft. Es ist Hofers ganz eigene Art, die Natur – besonders den Stein – in seine Kunst zu integrieren: In der haptischen Begegnung fühlt man seine Bilder wie eine grob verputzte Wand – schlicht und elementar. Wände und Mauern, verputzt oder nicht, haben in der Tat einiges mit dieser Malerei zu tun, vor allem jene der alten Laaser Häuser aus grauen, grob behauenen Steinen. Es geht bei Jörg Hofer immer auch um Materialität und Materie, bloß und ungekünstelt. „Das eigentliche Sujet des Werkes“, so Valerio Dehò anlässlich einer Ausstellung im Schloss Tirol im Jahr 2012, „sind also die Eigenschaften des Materials selbst.

Die mit Marmorstaub gemischten Farben, komponiert zum abstrakten, oftmals monochromen und meist großformatigen Bild, bringen indes einen Hauch von Transzendenz ins Spiel. Hofers Farbkompositionen scheinen die Wahrnehmung zu befreien, in ihnen ist nichts eingefangen, alles ist offengelegt. Doch es ist nicht metaphysische Gestimmtheit, die darin zum Ausdruck kommt, sondern, mit Peter Weiermair gesprochen, das Interesse am spontan entstandenen Effekt im Zusammenspiel von Staub und Farbpigment, an den so erzeugten „Lichtwirkungen“. Die informelle Malerei macht Platz „für eine Freiheit der Ausdrucksformen mit starkem Bezug zu neuen Materialexperimenten und bildnerischer Dichte [ihrer] in ihrem Wesen abstrakten Formstrukturen“.

Jörg Hofers Bilder können auf den ersten Blick eine gewisse kühle Zurückhaltung ausstrahlen, rasch an ihnen vorbeizugehen wäre ein Fehler. Verweilt man vielmehr vor den in seinem Atelier gerade so an der Wand befestigten oder lehnenden Bilder, so fühlt man sich mehr und mehr gefesselt von dem Reichtum und der Tiefe, die in seinen konzentrierten Farbkompositionen liegen. Faszinierend ist, wie gerade die Schlichtheit, die keine Simplizität bedeutet, sondern erarbeitete Reduktion ist, zu bewegen vermag. Lässt man sich auf die Mikrostruktur dieser Bilder ein, ohne das Gesamtbild aus dem Auge zu verlieren, so wird die Wahrnehmung zu einem intensiven Erlebnis. Die subtilen Farbschattierungen, mitunter kaum merkbar, und die fein strukturierte Textur dieser Bilder vermitteln mit einem Mal, weitab von Coolness, Sinnlichkeit und Vitalität, vibrierendes Leben, die Kraft der Natur. Die Natur ist in Hofers Malerei wesentlich, das Grundlegende – nicht umsonst verweisen viele Bildtitel auf Phänomene der Natur (Fels, Wasser, Erde, Eis, oder konkreter auch Erdrutsch, Permafrost, Erosion). Doch die Natur ist hier aus dem Inneren und Geistigen heraus gestaltet und in ihrer Essenz gezeigt, worauf wiederum die Tatsache hinweist, dass die meisten Bilder „ohne Titel“ sind. Ein Bild von Jörg Hofer ist in der Tat kaum zu beschreiben, es wird erfahren, und das ist es. Das Bild versammelt in seiner Tiefenstruktur die Wahrnehmung der materiellen Welt und das Erleben vielfältiger mentaler Beschäftigung mit Kunst und Literatur, aber auch der aus dem Kontakt mit Menschen sich einstellende Erfahrungshorizont. Im Auge des Betrachters, der Betrachterin können manche Bildausschnitte geradezu explodieren, sie können einen hineinziehen in die Wahrnehmung einer hinter der Oberfläche von Sehgewohnheiten zu entdeckenden ‚Innenstruktur‘ der Welt, und von hier aus vermögen sie wiederum einen Geschmack des Immateriellen, ja Körperlosen zu vermitteln. Ob das Bild nun auf betörende Weise eine ganze Palette von Weiß-Tönen versammelt oder ob es mehr in die Vielfalt der warmen erdigen Töne oder mehr ins Blaue (ins Blauhimmelblautiefviolette) tendiert – immer verbindet sich im Bild die Konnotation einer Natur- und Seelenlandschaft, und wesentlich ist dabei, dass diese Ebenen nicht zwei und geschieden sind, sondern in eins fallen. Von Bild zu Bild zu gehen wird so zur reinen Freude, denn sie laden die Betrachterin, den Betrachter ein, sich als Spiegel all dessen zu empfinden, den eigenen Reichtum und die eigene Schönheit zu spüren.

Geprägt von der einen Landschaft

Doch zurück zur eingangs gestellten Frage: „Kann man Bilder hören?“ Herbert Grassl (geb. 1948) und Jörg Hofer (geb. 1953) haben mit einem gemeinsamen Projekt tatsächlich den Versuch unternommen, Bilder hörbar zu machen und Töne in Bilder zu übersetzen. Mit ihren im August 1995 im Marmorbruch Göflan aufgeführten Berührungen – 11 Klangbildräume suchten sie eine Symbiose aus Tönen und Farben zu erzeugen. Es war ein ambitioniertes Projekt, das an die 1.000 Besucherinnen und Besucher in den Vinschgau und aufbzw. in den Berg in 2.250 Metern Höhe lockte. Dass beide Künstler in Laas gebürtig sind und eine enge Beziehung zum Marmor haben, spielte dabei einegroße Rolle,weshalb auch die Aufführung im Steinbruch den Höhepunkt des bereits in Dresden und Salzburg gezeigten und verfeinerten, durch eine Tanzperformance erweiterten Projekts darstellen sollte. Klang, Bild, Raum, Bewegung, Natur –  diese unterschiedlichen Elemente traten in Kommunikation – in Berührung – etwas Neues, Einzigartiges konnte entstehen: „Das Bildmaterial sollte Impulsefür die musikalische Entwicklung bringen und umgekehrt; es galt Möglichkeiten zu finden, mit dem musikalischen Verlauf auf Farbe und Form einzuwirken.“ Hofers Bilder wurden auf einer 8 x 10 Meter großen,im Steinbruch installierten Leinwand präsentiert, sie wurden im Rhythmus der konzertant dargebotenen Musik bewegt, während die Tänzerin Claudia Tinta mit ihrem Körper die Verbindung zwischen den beiden Kunstgattungen herstellte: Sie transportierte die Ton- und Bildebene in den Raum. Neben anderen Aspekten war es die Bedrohung der Natur durch den Menschen,  die nicht nur thematisiert, sondern auf eine fühlbare Ebene gebracht wurde. Herbert Grassl beschreibt das Ereignis in seiner herkömmliche Muster und Vorstellungen überschreitenden Dynamik sehr plastisch:

„Ich sehe emotional aufgewühlte Struktur, das Aufeinanderprallen von gegensätzlichen Materialien (Farbstruktur – Blei), weiche Pianissimo-Übergänge von einer Phase zur nächsten, dramatische Impulse, eine Transparenz, die manchmal verschwindet, kontrapunktisch zusammengefasste Gruppen, das geheime Zudecken von schon Fertigem. Ich sehe die Verdichtung, die Aufhellung, ich spüre die Reflexion der Farbe im Raum. Ich sehe die Monotonie, die dem dramatischen Ausbruch vorangestellt ist. Ich kann dies alles so erleben, als würde ich es hören.“

Wer einmal im Marmorbruch in Laas oder Göflan war, weiß, dass der Begriff „aufgewühlte Struktur“ den Status dieses Ortes treffend umreißt. Auf Steinbrüche dieser Größe passt außerdem das Attribut „monumental“. Der Mensch, der seit Jahrhunderten Marmorblöcke aus dem Berg gewinnt, ist im Verhältniszu seinem Wirkungsort klein, schmächtig, verletzlich. Und doch ist er es, der eine weitum sichtbare Wunde in den Berg reißt. Das Verhältnis von Mensch und Marmorbruch istwidersprüchlich und spannend, kaum jemand vor Ort vermag sich der Faszination dieses für den Vinschgau so prägenden Wirtschaftszweiges ganz zu entziehen: Nicht alle leben vom Marmor, aber auf die eine oder andere Weise leben die meisten Menschen in dieser Gegend mitihm, besonders intensiv wohl Künstlerinnen und Künstler bzw. Intellektuelle.

In Hofers Umfeld war dies neben Herbert Grassl etwader Maler Hans Ebensperger(1929-1971) aus Prad, dessen Werk von intensiver Auseinandersetzung mit der Landschaft, besonders mit dem Hochgebirge, zeugt und der wie Hofer Schüler des Nordtiroler Malers und Lehrers an der Wiener Akademie für Bildende Künste Max Weiler (1910-2001) gewesen ist. Allerdings starb Ebensperger zu einer Zeit, als Hofer noch sehr jung, erst 18 Jahre alt war. Ein geistiger Weggefährte und Freund ist auch ein unmittelbarer Nachbar Hofers, der feinsinnige Laaser Philologe und Literaturkenner Norbert Florineth (geb. 1939), er hat sich mehrfach mit dem Ort Laas beschäftigt undu. a. eine Sammlung von Texten und Fotografien über Laas herausgegeben. In seinem Vorwort schreibt er:

„Laas, ein Dorf im Oberen Vinschgau, der Name ist sehr alt, wahrscheinlich indogermanischen Ursprungs, es würde dann STEIN bedeuten, STEIN an der Etsch. Es gibt wenige Orte, ländliche Gemeinden, über die so viel geschrieben worden ist, auch literarisch anspruchsvolle Texte, wie über Laas.
Ist es der Marmor, der dem Ort eine weitere Dimension gibt, die Nähe zu dem weißen Stein, ist es die Lage am Fuß eines Tales zwischen dem Marmorgebirge und der sonnverbrannten Steppe der Leiten […].
Ein Grundmotiv, ein Anlass über Laas zu schreiben, ist der weiße Stein, so im Werk von Franz Tumler, aber auch Norbert C. Kaser, Therese Eisenmann, Hans Wielander, Luis Stefan Stecher […].“

Der von Florineth genannte Philosoph und Kulturpublizist Hans Wielander (geb. 1937) betreut seitüber 40 Jahren in Schlanders die Kulturzeitschrift Arunda, für diese Zeitschrift und auch andernorts hat er zahlreiche kultur- und kunsthistorische Essays rund um den Vinschgau verfasst Und der Dichter Norbert Conrad Kaser (1947-1978), der eine Zeitlang als Mittelschullehrer in Laas tätig war, widmete einige Gedichte dem Laaser Marmor. Als Kunstschaffende, die vom Vinschgau geprägt sind und dies auch in ihrer Arbeit zum Ausdruck bringen, könnten außerdem der Schriftsteller Josef Feichtinger, geboren 1938 in Vetzan bei Schlanders, sowie die aus Laas stammenden Maler Luis Stefan Stecher (geb. 1937)und Michael Höllrigl (geb. 1936) genannt werden. All diesen Künstlern und Autoren eignet der Sinn für die charakteristische Landschaft, in der sie lebten und leben, für das markante Wetter des Vinschgaus und den von Gletschermoränen gekennzeichneten Talboden, für die umgebende Hochgebirgslandschaft, für das Elementare und Rohe der alten Laaser Steinhäuser wie auch die Affinität zu Eleganz und Raffinesse einer Marmorskulptur. So unterschiedlich die künstlerischen Instrumentarien bzw. literarischen Verfahren im Einzelnen auch sein mögen, aus diesen Aspekten leiten sich nicht nur poetische Bezugspunkte, sondern ganz generell ein Kunst- und Kulturbegriff ab, zu dem auch ein zwar sanfter, aber doch deutlicherWiderstandgegen die für Umwelt und Menschen destruktive Profitgier in Wirtschaft und Fremdenverkehr gehört. Feichtinger schreibt in seinem Text An Laas:

„Ich mag dich, du Stiefkind der Übernachtungsstatistiken, du Aschenputtel unter den Farbprospekten. In zerrütteter Symmetrie drücken sich deine grauen Häuser um den demütigen Kirchturm, vom Sonnenberg abgedrängt durch den Murdrachen der Gadrià, verklemmt am rauhreifharschigen Etschbett, dem Gletscherwind ausgesetzt, der eisig aus dem Tal bricht.“

Mit der Landschaft des Vinschgaus ist im Übrigen das Geschichtliche verbunden: Gemeinsam ist den angeführten Künstlern und Autoren der der Sinn für eine „alte Welt und ihre Werte“, die „von äußeren Einflüssen bedroht“ ist und allmählich verdrängt und vergessen wird: doch nicht in rückwärtsgewandtem Sinn, sondern als Motor für eine wache Wahrnehmung und kritisches Denken in der Gegenwart. Zwar steht Jörg Hofer auch überregional im Austausch mit Vertretern zeitgenössischer Kunst und Kultur, doch die Intellektuellen des Vinschgauer Kreises, mit denen er am Ort seines Schaffens in Kontakt und auf Tuchfühlung steht und von denen er wohl auch Anregungen bezieht, ist neben der umgebenden Landschaft als soziales Umfeld prägend.

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Salto.bz in Zusammenarbeit mit: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv  (Nr 36)
Teil 2 [30.11.2018]