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„Ich bin ein angefressener Hirte“

Laut einer Studie im Trentino muss der Wolf meist keinen Herdenschutz fürchten. Die Situation der Bauern scheint dabei in einer (selbstgemachten) Sackgasse zu enden.
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Foto: Privat
Vor wenigen Tagen veröffentlichte die Provinz Trient gemeinsam mit dem Museo delle Scienze eine Studie zu den Wolfsrissen zwischen 2013 und 2022 sowie den Präventionsmaßnahmen dagegen. Im untersuchten Zeitraum wurden 605 Risse in der Nachbarprovinz dokumentiert.
Aber wieso etwas fördern, das niemand will und momentan nicht sonderlich viele Wählerstimmen bringt?
Davon konnten 576 (95 %) eindeutig dem Wolf zugeordnet werden, während es in 29 Fällen (5 %) nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte. Von 2013 bis 2022 stieg die Anzahl der Risse an, mit einer Höchstzahl von 151 Fällen im Jahr 2021. Dieser Trend stehe im Einklang mit der fortschreitenden Ausbreitung der Art im Gebiet.
 
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Almwirtschaft: Der Tierbesatz sinkt auf den Weideflächen bereits seit Jahrzehnten kontinuierlich, als Folge davon holt sich der Wald Flächen zurück. (Foto: Seehauserfoto)
 
Die meisten Nutztiere wurden in völliger Abwesenheit von Schutzmaßnahmen angegriffen (62 %), und, wo sie vorhanden waren, dienten sie nicht immer dem Schutz der geraubten Tiere zum Zeitpunkt des Angriffs. „Wenn das Auftreten der Prädation weiter reduziert werden soll, ist eine Behirtung erforderlich, um sowohl zu verhindern, dass das Vieh von innen durchbricht, als auch dessen korrekte Unterbringung zu gewährleisten, vor allem nachts, wenn die meisten Raubtiere unterwegs sind. Die Durchführbarkeit dieser zusätzlichen Maßnahmen muss jedoch auf der Grundlage des Kosten-Nutzen-Verhältnis ihrer Umsetzung beurteilt werden“, resümiert die Studie der Provinz Trient.
 

Behirtung in Südtirol

 
Es gibt die, die nicht mehr darüber sprechen wollen. Die gehen in die Schweiz. Schon seit Jahrzehnten verdienen sie dort gutes Geld damit. „Ich bin einer der Wenigen, die in die Südtiroler Landwirtschaft zurückgekehrt sind“, sagt Erich Höchenberger, Schafzüchter und Tischler in Taufers im Münstertal, am Grenzübergang zur Schweiz. Viele Jahre arbeitete er selbst als Hirte und war schon seit Kindesbeinen auf der Alm.
„Die Bauern haben verlernt, die Tiere zu beobachten“, sagt er. Verübeln kann er es ihnen nicht. Es fehlt die Zeit zwischen Familie, Arbeit und Nebenerwerb am Hof. Denn wer die Behirtung ernst nimmt, muss vor allem Zeit haben. Höchenberger hat es deshalb letztes Jahr aufgegeben, mit den Schafen von mehreren Höfen auf die Alm zu gehen. Es fehlte die Hilfe der Bauern bei der Umzäunung. Wenn der Wolf kommt, ist schnelle Hilfe gefragt, um weitere Risse zu verhindern. Deshalb grasen seine rund 30 Schafe nun auf den Wiesen des Bergbauernhofs seiner Familie auf Tella in Taufers. Und er kümmert sich nun dort um sie, flickt Zäune, bringt sie zu frischen Weiden, bei Hitze in den Schatten und versorgt sie mit Mineralien.
 
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Erich Höchenberger: „Aber wieso etwas fördern, das niemand will?“ (Foto: privat)
 
Von der Behirtung ist er weiterhin überzeugt: „Es ist ein Knochenjob. Aber ich bin ein angefressener Hirte und meine Leidenschaft zum Hüten ist ungebrochen.“ Beim Herdenschutz gehe es vor allem um Kleintiere wie Schafe und Ziegen, da Rinder meist erst gerissen werden, wenn Kleintiere als Beute nicht verfügbar sind.
Ansonsten werden die Schafe so wild wie die Gams.
Durch die Behirtung hat er einen Überblick darüber, wie es den Schafen geht und wo sie sich aufhalten. So können sie nicht auf das Weidegebiet anderer Almen gelangen, was zu Streitigkeiten führen würde. Die Verluste durch Wolfsrisse, Unwetter, Steinschlag oder Krankheiten reduziere sich wesentlich. „Wir konnten in Taufers die Verlustrate von bis zu 7 Prozent auf 4 Prozent reduzieren. 3 Prozent waren Krankheit, Steinschlag, Absturz und Ähnlichem, 1 Prozent war Wolfsrissen geschuldet“, so Höchenberger.
„Wenn Schafe täglich abends eingepfercht und auch ein wenig verwöhnt werden, verhalten sie sich handzahm und lassen sich bei Krankheiten eher behandeln. Ich kann bei einer schwierigen Geburt helfen, Beine eingipsen, Augenentzündungen behandeln und wenn es sein muss, auch eine Notschlachtung vornehmen, damit das Tier nicht elend zu Grunde gehen muss. Ein Schaf mit gebrochenem Rückgrat, bedingt durch einen ungeschickten Sprung oder durch lockeres Gestein, kommt durchaus vor. Ansonsten werden die Schafe so wild wie die Gams“, sagt er.
 

Fehlende Anreize

 
In der Schweiz sind Behirtung und gezielte Weideführung seit langem üblich und durch Förderbeiträge besteht Anreiz dazu. Es wird sichergestellt, dass genügend Tierbesatz in der Kulturlandschaft auf die Alpweiden gebracht wird, um Sträucher und Bäume zurückzudrängen. „Den Schafen schmeckt das frische Gras weiter oben unter dem schmelzenden Schnee am besten, deshalb ist es meine Aufgabe als Hirte, sie auch zu tiefer liegenden Flächen zu bringen, um die Verwilderung zu verhindern“, so Höchenberger.
Für private Almen mit rund Hundert Schafen sei der finanzielle Aufwand in Südtirol aber schwer zu stemmen, hier müssten die Fördergelder noch stärker auf den Herdenschutz ausgerichtet werden. „Aber wieso etwas fördern, das niemand will und momentan nicht sonderlich viele Wählerstimmen bringt? Es herrscht die Auffassung, dass die Behirtung hier nicht möglich ist. Ich kenne in Südtirol nur wenige Almen, die Hirten haben, welche Herdenschutz und eine gelenkte Weideführung machen“, erklärt der Bauer aus Taufers.
 
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Behirtung: Nur wenige Südtiroler Almen setzen auf konsequenten Herdenschutz, hier im Bild die Tierser Schafalm. (Foto: Seehauserfoto)
 
Kürzlich wurden fast alle rund 1.500 Südtiroler Almen von der Landesabteilung Forstwirtschaft zum Weideschutzgebiet erklärt. Reißt dort ein Wolf in einem bestimmten Zeitraum eine Mindestanzahl an Nutztieren in seinem Streifgebiet, darf ein Antrag auf Entnahme gestellt werden. Nur 18 Almen erfüllen laut der Abteilung Forstwirtschaft mindestens eines der Kriterien, um Herdenschutz betreiben zu können. „Auch im Nationalpark Stilfserjoch wurden Almen zum Weideschutzgebiet erklärt, wo der Rotwildbestand eine Plage ist. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass ausgerechnet dort die geschützte Tierart Wolf geschossen werden darf, die der natürliche Feind des Rotwildes wäre. Einsprüche von Tierschutzorganisationen, damit verbundene Verzögerungen und somit noch mehr tote Weidetiere sind dadurch vorprogrammiert“, sagt Höchenberger.
Gleichzeitig geht der Tierbesatz auf den Almen weiter zurück. Bis in die 60er Jahre gab es allein in Taufers noch über 1.000 Schafe. Heute sind es noch rund 150. „In zehn Jahren wird es in Taufers im Münstertal von den rund 15 Voll- und 15 Nebenerwerbsbauern nur noch drei oder vier Bauern im Vollerwerb und vielleicht fünf Bauern im Nebenerwerb geben“, prognostiziert Höchenberger.
 
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Herta Abram Do., 24.08.2023 - 06:05

Erich Höchenberger danke, dass Sie diese Seite von Behirtung, Herdenschutz,
Tierhalteverantwortung beschreiben.
BB und Politik gehen hauptsächlich populistisch mit dem Thema um. Letztendlich auf Kosten eines respektvolleren Zusammenlebens mit unseren Nutztieren und der WeiterEntwicklung von Tier/Haltung -Mensch-Natur.

Do., 24.08.2023 - 06:05 Permalink
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Robert Zagler Do., 24.08.2023 - 08:06

Erst wenn der letzte Grashalm, Ameise und Wassertropfen verbürokratisiert ist, und jeweils dafür ein Amt aus der Taufe gehoben wurde, werden wir draufkommen, dass man Zettel nicht essen kann!

Do., 24.08.2023 - 08:06 Permalink