Wirtschaft | Skigebiete

Keine Chance für die Kleinen?

Unter 200.000 Gästen kann ein Skigebiet nicht gewinnbringend geführt werden, heißt es in Österreich. Skigebiet-Manager Markus Redl über Gründe und Folgen.
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Foto: Markus Redl

Salto.bz: Herr Redl, Sie haben kürzlich im Rahmen der österreichischen Leerstandskonferenz gesagt: „Leerstand im Tourismus ist ein Symptom dafür, dass sich die Zeiten, genauer gesagt die Erwartungen der Gäste geändert haben. In der proaktiven, tiefgründigen Auseinandersetzung mit diesem Phänomen liegt auch die Chance zur erfolgreichen Anpassung.“ Wie stark ist Österreichs Wintertourismus von Leerstand betroffen?
Markus Redl: Ich denke, das Phänomen Leerstand  betrifft den gesamten Alpenraum, und zwar nicht nur, aber auch Tourismusorte. Leerstand kann heißen, dass ehemals touristisch gewidmete Gebäude oder auch andere Immobilien nicht mehr genutzt werden. Er ist ein Symptom dafür, dass sich die Zeiten geändert haben, dass Bedürfnisse, die einmal bestanden haben, nicht mehr existieren. Und das kann man auch in zahlreichen  traditionellen Wintersportorten beobachten. Paradebeispiel dafür ist in Österreich Bad Gastein, wenn es auch bei weitem nicht der einzige Fall ist.  

Ist dieser Leerstand also ein Spiegel dafür, dass immer mehr Wintersportorte unter Druck geraten?
Ja, das ist er sicherlich. Es gibt schließlich gleich mehrere Faktoren, die auf unsere traditionellen Wintersportorte Druck ausüben. Ganz plakativ wird immer der Klimawandel gehandelt. Der spielt natürlich eine Rolle, aber ich habe oft den Eindruck, dass er auch als Ausrede dafür dient, aus anderen Gründen den Anforderungen des Marktes nicht mehr gerecht zu werden.

Welchen Anforderungen?
Ganz zuoberst sehe ich die stark gestiegenen Qualitätserwartungen der Gäste. Früher durfte eine Piste an manchen Stellen aper oder auch muglig sein. Heute muss sie glatt gebügelt und griffig wie ein Teppich sein, und zwar nicht nur um 9 Uhr in der Früh, sondern bis möglichst spät in den Nachmittag hinein. Und natürlich bereits im Dezember und am liebsten überhaupt schon im November. Das heißt, Skifahrer erwarten sich einen perfekten Schnee, perfekte Pisten und dann natürlich auch noch perfekte Aufstiegshilfen, also kuppelbare Bahnen, die in der Station langsamer werden, beheizte Sitze haben und so weiter. Nicht zu vergessen ein komplettes Servicepaket mit Skiverleih, Skischule und Gastronomie.

Und das alles kostet...
Das alles kostet Millionen an Euro und erzeugt einen enormen Investitionsdruck. Das beginnt schon bei der Beschneiung. Wenn in diesen Wochen in den Skigebieten des Alpenraums die Grundbeschneiung vorgenommen wird, laufen schlagkräftige Anlagen in der Regel 50 Stunden durch. Und zwar möglichst gleichzeitig, damit man die mittlerweile geforderte Unterlage von 50 bis 60 Zentimeter zusammenbekommt. Das heißt aber auch, ich kann meine Scheeerzeuger nicht an verschiedenen Orten einsetzen, sondern ich brauche möglichst fix installierte Geräte, die gleichzeitig laufen. Dazu kommen natürlich noch der nötige Wasservorrat und eine potente elektrische Versorgung. All diese gestiegenen Erwartungen setzen vor allem kleine Skigebiete überproportional unter Druck, da auch sie Investitionen in Millionenhöhe tätigen müssen. Und die muss man erst einmal von der Bank finanziert bekommen, und sie dann auch verdienen.

Wird es in Zukunft genügend Skifahrer geben, um sie zu verdienen?
Das ist eine wichtige Frage. Ganz sicher werden wir bei der Produktentwicklung den demografischen Wandel mitdenken müssen. Denn die Menschen werden immer älter, was zwar prinzipiell auch Chancen mit sich bringt, weil damit der Anteil an Besserverdienern steigt. Doch wie lustvoll ist das heute praktizierte Skifahren auf harten Pisten und in kurzer Zeit überwundenen Höhenunterschieden für ältere Menschen tatsächlich? Dazu kommt, dass wir generell weniger Kinder, aber einen steigenden Migrationsanteil  haben, also immer mehr Menschen, die mit dem Thema Skifahren wenig bis gar nichts anfangen können. Und wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Gäste vor allem aus den Städten kommen und dieses urbane Publikum immer seltener über ein eigenes Auto verfügt. In Wien haben heute beispielsweise die Hälfte aller Haushalte keinen PKW mehr. Immer mehr junge Menschen in den Städten machen keinen Führerschein. Und das erzeugt natürlich noch einmal Druck, denn gerade beim Skifahren haben wir bis heute zumeist nicht gelernt ohne eigenes Fahrzeug auszukommen.

Das heißt, nicht der Klimawandel, sondern anspruchsvolle und wenig mobile Gäste machen den Skigebieten den Garaus?
Nun, der Klimawandel spielt sehr wohl auch eine Rolle, doch die öffentliche Diskussion wird zu undifferenziert geführt. Im Grunde muss man sich Skigebiet für Skigebiet anschauen, um abzuschätzen, wie groß seine Bedeutung ist.

Weil sie von der Höhenlage abhängt?  
Die spielt natürlich eine Rolle. Wir haben an der Universität für Bodenkultur in Wien mit Herbert Formayer einen  Meteorologen, der vor einigen Jahren eine schöne Darstellung veröffentlicht hat, ab welcher Höhenlage 90 % der Niederschläge in den Monaten Dezember bis Februar nicht als Regen fallen. Und da hat sich dann zum Beispiel gezeigt, dass das in Niederösterreich in alpinen Lagen bei rund 1000 Höhenmetern der Fall ist, in Kärnten aber erst ab 1500 oder 1600 Höhenmetern.

Man kann also keine allgemein gültigen Aussagen treffen, ab welcher Höhenlage es eng wird?
Nein. Noch dazu beziehen sich diese Werte auf die letzte Klimaperiode, also den Zeitraum 1981 bis 2010. In den vergangenen Jahren haben wir jedoch erlebt, dass bestimmte dominante Wettersysteme, wie die kalte kontinentale Luft, die wir im Osten Österreichs immer im Winter bekommen haben, weniger oft auftreten. Stattdessen hatten wir häufiger Starkregenereignisse, bei denen in 24 Stunden auch einmal 100 Liter pro Quadratmeter fallen. Und man kann sich vorstellen, was das für eine mühevoll aufgebaut Grundbeschneiung bedeutet. Manchmal kommen dann die Weihnachtsferien zu früh, die aber gerade für kleine Skigebiete enorm wichtig sind.

Wie gefährdet sind kleine Skigebiete generell?  
Auf Grundlage von statistischen Erhebungen im Auftrag des Fachverbands der Seilbahnen in der Wirtschafskammer Österreich wurde eine kritische Größe festgelegt, ab der Skigebiete gewinnbringend führbar seien. Demnach braucht es zumindest 200.000 Skier Days pro Wintersaison, also Gäste, die eine Aufstiegsanlage an einem Tag zumindest einmal genutzt haben, um die notwendigen Investitionen bzw. Abschreibungen zur Gänze verdienen zu können. Das ist eine ziemlich brisante Zahl, denn unter den 350 bis 400 Skigebieten in Österreich gibt es verdammt viele, die da drunter fallen. Unser größtes Skigebiet in Niederösterreich liegt mittlerweile ebenfalls unter 200.000 Skier Days.

Und der Grund dafür sind die hohen Investitionen und laufende Kosten für Beschneiung,  Pistenpflege und Aufstiegsanlagen?
Ja, denn sobald ich fünf bis sechs Lifte habe, braucht es eben auch die entsprechende Infrastruktur und geschultes Personal. Das heißt, ein kleines Skigebiet, und darunter versteht man in der Fachverbandsstatistik alle Gebiete mit Jahresumsätzen unter 4,5 Millionen Euro,  hat bereits relativ hohe Fixkosten und zwar weitgehend unabhängig von der Auslastung oder der Anzahl der Betriebstage.

Der einzige Ausweg sind deshalb Fusionen, heißt es vielfach...
Das stimmt aber auch nur bedingt. Ein Zusammenschluss von Skigebieten mag  vielleicht aus Marketingsicht und für den Vertrieb sinnvoll sein oder eine gewisse Risikoabsicherung mit sich bringen. Doch bei Anlagen sind eigentlich so gut wie keine Synergien möglich. Selbst wenn Skigebiete sehr nahe beieinander liegen, braucht dennoch jedes seine eigenen Pistengeräte und Beschneiungsanlagen, und auch beim Personal gibt es diesbezüglich kaum Spielraum.

Also, keine Chancen mehr für die Kleinen?
Paradoxerweise gilt das nicht für so genannte Wirtshauslifte oder Dorflifte, die im Nebenerwerb betrieben werden. Wenn der Betreiber da auch Grundeigentümer ist, vielleicht über eigene Quellen und damit Wasser verfügt und ohnehin Personal beschäftigt bzw. die Familie hilft, dann kann das funktionieren. Aber natürlich sprechen wir hier über Schlepplifte. In dem Moment, wo Sessellifte ins Spiel kommen, wird der betriebliche Aufwand ungleich höher.

Darüber hinaus sind kleine Skigebiete aber eine gefährdete Spezies?
Ja. Und das ist von besonderer Relevanz, weil das vielfach Skigebiete in peripheren Lagen sind, die für die regionale Wirtschaft und die Arbeitsplätze von hoher Bedeutung sind. Es gibt dort selten gewerbliche oder gar industrielle Alternativen zum Tourismus. Das EU-Beihilferecht stuft Seilbahnen als Wirtschaftsunternehmen ein, daher sind Interventionen der öffentlichen Hand nur in diesem relativ engen Rahmen möglich.

Was sind die Alternativen?
Derzeit gibt es diese nur punktuell. Ein Beispiel ist St. Corona am Wechsel, der Austragungsort der heurigen Leerstandskonferenz. Dort haben wir ein Kleinskigebiet mit zwei Sesselliften und einem Schlepplift rückgebaut und total auf die Nische „Familie mit Kleinkindern“ und Ganzjährigkeit gesetzt. Da gibt es ein Familienskiland, das die vorhandene Beschneiungsinfrastruktur nachnutzt. Mittlerweile wurde das Sommerangebot massiv in diese Richtung ausgebaut, zum Beispiel mit einem Motorikpark und einer modernen Sommerrodelbahn. Aber das ist eine Nische, die nicht einfach so auf andere Gebiete übertragen werden kann. Das funktioniert eben dort, auch weil es relativ nahe am Ballungsraum Wien liegt.

Technoalpin-Chef Erich Gummer sagt auf salto.bz: Zu behaupten, dass in unseren Bergen eine andere Art von Tourismus möglich wäre, die das bringt, was uns das Skifahren bringt,  ist schlicht und einfach eine Lüge. Teilen Sie diese Meinung?
Ich teile sie insofern, als es nach bisherigem Wissenstand verdammt schwer ist, die Wertschöpfung, die in einer Wintersaison in einem Skigebiet entsteht, mit einer anderen Form des Tourismus zu erreichen. Diese andere Form des Tourismus gibt es noch nicht, es gibt zwar punktuell gute Beispiele, aber es gibt kein Erfolgsrezept oder Standardmodell, das man heranziehen kann und sagen kann: Das ist jetzt das neue Skifahren. Und es wird auch sicher nicht so sein, dass man alle Wintersportorte, die aus dem Markt ausscheiden, mit einem wirtschaftlich tragfähigen alternativen Konzept neu aufstellen kann.

Was ist mit der Sehnsucht nach mehr Natur und Ursprünglichkeit, die sich beispielsweise im Skitouren-Boom widerspiegelt?
Es ist keine Frage, dass es diese Sehnsucht gibt, auch wenn die Tourengeher im Vergleich zum gesamten Markt eine vernachlässigbare Größe darstellen. Für mich ist jedoch offensichtlich, dass man sich in der Branche bis heute viel zu sehr auf die Hardware konzentriert. Vor allem für kleine Skigebiete kann es nur ins Verderben führen, wenn sie bei diesem Wettrüsten um die Schlagkraft der Beschneiung oder um noch komfortablere Aufstiegsanlagen mithalten wollen. Doch auch große Skigebiete sollten sich viel stärker mit der Frage auseinandersetzen, was zu einem gelungen Skitag gehört, was das persönliche Glücksempfinden stärkt. Ich glaube, darum sollte es wieder viel stärker gehen: Wie können wir unsere Gäste über glatt gebügelte Pisten hinaus glücklich machen.