Gesellschaft | Sozialarbeit

Von Leitwölfen und Lebenskompetenzen

Seit einigen Jahren wird im Jugendzentrum papperlapapp das Ausbildungsformat „Expeerience“ für Jugendliche angeboten. Entwicklerin des Formats Ulrike Huber erzählt im Gespräch mit SALTO von der Entstehung und den großen Herausforderungen.
Expeerience, Papperlapapp
Foto: Marina Baldo, Papperlapapp
  • Lebendig, partizipativ, erfüllend. Mit diesen drei Worten beschreibt Ulrike Huber, pädagogische Mitarbeiterin im Jugendzentrum Papperlapapp, das Ausbildungsformat „Expeerience“. Junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren haben dort die Möglichkeit, sich in der pädagogischen Arbeit und Begleitung von jungen Menschen auszuprobieren. 

    Bei „Expeerience“ gehe es einfach gesagt um Erfahrungen. Als sie jung war, fand Ulrike Huber den Unterricht in der Schule sehr spannend, doch das gewisse Etwas fehlte ihr stets: „Irgendwie lernt man ganz viele Lebenskompetenzen in der Schule nicht“. Es würden vor allem die Dinge fehlen, bei denen es um Persönlichkeitsentwicklung geht. Gewisse Erfahrungen, die man auch außerhalb vom schulischen Leben braucht. Es wäre praktisch, wenn es irgendetwas für junge Menschen gäbe, wo sie solche sammeln können. 

  • Ulrike Huber, Erlebnis- und Sozialpädagogin: „Irgendwie lernt man ganz viele Lebenskompetenzen in der Schule nicht.“ Foto: papperlapapp
  • Als Ulrike Huber 2008 ins Jugendzentrum kommt, liegt der Fokus vorwiegend auf interkulturellen Projekten, Aufgabenhilfe und sozialer Arbeit mit Mädchen und jungen Frauen. Jugendliche kommen in den Treff, um dort Zeit mit anderen zu verbringen.  Die Zielgruppe sowie der allgemeine Fokus sind unklar. Nach einer halbjährigen Leitbild- und Konzeptarbeit liegt er schließlich auf der Erlebnispädagogik; es gibt mehr Zusammenarbeit mit Schulen, verschiedene Projekte und ein neues Angebot, die Sommercamps. Genau aus diesen entsteht einige Jahre später die Idee einer Ausbildung. Jugendliche, die nicht mehr als Teilnehmer*innen dabei sein können, wollen hinter die Kulissen eines Camps blicken, um weiterhin Teil davon zu sein. 

    „Ein Camp ist ein gutes Feld, um Lebenskompetenzen zu erwerben, die man in Begleitung von anderen Menschen und auch für sich selbst in der Entwicklung braucht.“

    Die Gedanken ihrer früheren Schulzeit werden dort wieder zum Thema. Welche Methoden braucht es abgesehen von Spielen, um ein Camp zu leiten? „Eigentlich ist ein Camp ein gutes Feld, um Lebenskompetenzen zu erwerben, die man in Begleitung von anderen Menschen und auch für sich selbst in der Entwicklung braucht“, so Ulrike Huber. Denn: Wenn man sich selbst gut kenne, könne man sich gut in andere einfühlen und andere Menschen besser begleiten. Dies brauche es natürlich nicht nur bei Camps, sondern auch in anderen Bereichen des Lebens. Auch sei es gut, sich selbst zu kennen, zu wissen, was die eigenen Stärken und Schwächen sind. Damit könne man ressourcenorientiert und ohne Leistungsdruck lernen und andere Menschen begleiten. Sie bestärken, ohne sie in ein Bild zu zwängen, dem sie nicht entsprechen wollen. 

  • In den Sommercamps erleben die Teilnehmer*innen eine besondere Zeit. Foto: papperlapapp
  • Wüstenfüchse, Polarfüchse, Kojoten und Leitwölfe

    Bei dem Ausbildungsformat bekommen die Jugendlichen die Möglichkeit, sich in der pädagogischen Arbeit und in der Begleitung von jungen Menschen auszuprobieren. Sie lernen, Verantwortung zu übernehmen und dabei ihre eigenen Ressourcen und Fähigkeiten auszuschöpfen. In einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren werden sie auf die Rolle als Leiter*in vorbereitet und können sich dabei in verschiedensten Situationen ausprobieren: Im Rahmen von Ausbildungscamps und -reisen, Aktionen im Jugendzentrum und konkret auf Sommercamps. Ulrike Huber ist der Meinung, dass jed*er lernen kann, eine Gruppe zu leiten. Grundsätzlich könne jeder Mensch, der sich selbst kennt, gerne Sachen weitergibt und bereit ist an sich zu arbeiten, Leiter*in werden. 

    „Die Menschen in dem zu bestärken, sie selbst zu sein, ist die Grundlage dafür, dass man ein glückliches Leben führen kann.“

    Da das Konzept auf einem Kreislauf-Modell basiert, besteht ein ständiges Geben und Nehmen unter den Jugendlichen. Der Ausbildungsprozess umfasst vier Stufen: Wüstenfüchse, Polarfüchse, Kojoten und Leitwölfe. Gruppenleiter*in ist man dann, wenn man die Stufe des Leitwolfs erreicht hat. In der Ausbildung lernen die Jugendlichen viel voneinander, durch Austausch und gemeinsamen Erfahrungen. Manche müssten dabei viel darin investieren, bestimmte Kompetenzen zu erlangen, bräuchten viel Begleitung von Pädagog*innen und etwas mehr Zeit. Anderen fiele es aufgrund ihrer Persönlichkeit leichter. In der Teamzusammenstellung für Camps sei es letztendlich aber am wichtigsten, dass sich die Leiter*innen selbst kennen und damit gegenseitig ergänzen. „Die Menschen in dem zu bestärken, sie selbst zu sein, ist die Grundlage dafür, dass man ein glückliches Leben führen kann.“ 

  • Die letzte Ausbildungsstufe ist die des Leitwolfs. Foto: papperlapapp
  • Pädagogik und Jugendarbeit: Lernfelder, die nie aufhören

    Für die Ausbildung und Weiterbildung holt sich Ulrike Huber Unterstützung von verschiedenen Referent*innen, die in bestimmten Bereichen spezialisiert sind. So lernen die jungen Menschen unterschiedliche Herangehensweisen an die Gruppenleitung. Von Erlebnis-, und Erfahrungspädagogik über Wildnispädagogik bis hin zu Storytelling. Die Referent*innen lernt sie bei eigenen Ausbildungen kennen. „Pädagogik und Jugendarbeit sind Lernfelder, die nie aufhören, ich lerne ja selbst noch viel.“ Bei Fortbildungen lerne man sich auf einem ganz anderen Level kennen, vor allem wenn es um Persönlichkeitsentwicklung gehe. Man sehe die Werte der Referent*innen und dass sie diese gerne weitergeben. „Man kann nur die Dinge weitergeben, hinter denen man selbst auch stehen kann.“ Das sei sehr wertvoll für die Jugendlichen aber auch für Ulrike Huber selbst.

  • Ausbildungsreise: Jugendliche können sich in einem geschützten Rahmen ausprobieren. Foto: papperlapapp
  • „Expeerience ist ein großer Teil meines Lebens. Etwas, wofür ich selbst brenne, etwas das mir wichtig ist.“

    Ihr und den anderen pädagogischen Mitarbeiter*innen ist es wichtig, dass das Projekt allen Jugendlichen offensteht. Als Entwicklerin des Konzeptes ist Ulrike Huber aber nicht mehr so nah am Geschehen wie zur Entstehungszeit. „Expeerience ist ein großer Teil meines Lebens. Etwas, wofür ich selbst brenne, etwas das mir wichtig ist.“ Mit 102 Leuten in dem Format sei es immer schwieriger, jede*n persönlich und einzeln zu begleiten. Einige junge Leute, die Schwierigkeiten in der Schule hätten, oder ein Elternhaus, das die Ausbildung finanziell nicht unterstützt, stünden vor besonderen Hürden, Verlässlichkeit zu zeigen und konstant mitzumachen. „Sie bräuchten mehr Unterstützung und Begleitung, wir können diese aber nicht mehr gewährleisten. Das tut mir leid“, so Ulrike Huber. Es sei nicht das, was das Projekt eigentlich ausmachen sollte. Das liege daran, dass viele Dinge im Moment noch in der Entstehungsphase und Entwicklung sind. 

    Genaueres zum Jugendzentrum Papperlapapp und Angeboten finden Sie auf www.papperla.net.