Gesellschaft | Ernährung

Orthorexia nervosa

Auch gesunde Ernährung kann zum Zwang werden - und bedarf Aufmerksamkeit.
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Foto: istock

Was? Wenn ich mich gesund ernähre bin ich krank? Da stimmt doch was nicht!

Was heißt Orthorexia genau? Ortho kommt aus dem griechischen und bedeutet richtig, gerade, korrekt. Orexis ist der Appetit. Also wörtlich heißt diese Krankheit korrekter Appetit. Gemeint ist damit, dass jemand mit diesem Krankheitsbild eine krankhafte Fixierung auf gesundes Essen hat. Auch das scheint im ersten Moment etwas seltsam. Wie kann es krank sein, wenn ich mich „nur“ gesund ernähren will?

Das Krankhafte fängt da an, wo das Verhalten zwanghaft wird, wo sich der Alltag nur noch um das Thema gesunde Ernährung dreht und wo es für die betroffene Person nicht mehr möglich ist, einmal „eine Ausnahme zu machen“, also ein Abweichen vom Plan nicht mehr möglich ist.

Im Unterschied zu den „klassischen“ Essstörungen, bei denen es immer um die Quantität der aufgenommenen Essmengen geht (extrem viel oder extrem wenig), haben die von Orthorexia nervosa Betroffenen ein krankhaftes Augenmerk auf die Qualität auf die von ihnen als gesund und deshalb für sie als essbar definierten Nahrungsmittel.

Auch hier beginnt das Verhalten meist langsam zu entgleisen. Anfangs macht man sich nur gelegentlich Gedanken, ob das, was man gerade essen möchte, eher gesund oder ungesund ist. Irgendwann kippt das Verhalten und die Gedanken kreisen fast ausschließlich darum, was noch in die Kategorie „gesund“ fällt und deshalb noch gegessen werden kann. Es geht soweit, dass keine Einladungen mehr angenommen werden (können) oder auch ein gemeinsames Essen in einem Lokal nicht mehr möglich ist, weil die „erlaubten“ Nahrungsmittel nur zu Hause vorhanden sind.

Durch die von der Person selbst aufgestellte Definition, was zu den gesunden und was zu den ungesunden Lebensmitteln gehört, wird die Auswahl an essbaren Lebensmitteln immer kleiner. In nicht wenigen Fällen bleiben nur noch wenige Obst- und Gemüsesorten übrig.

Die betroffenen Personen fühlen sich selbst als außerordentlich willensstark. Denn aus ihrer Sicht schaffen nur sie es, aus dem reichhaltigen Angebot, die guten und gesunden Lebensmittel herauszufinden und nur sie haben die Disziplin, sich nur von den aus ihrer Sicht wirklich gesunden Lebensmitteln zu ernähren.

 

Woran erkennt man eine Orthorexia nervosa?

 

Die Grenze zwischen einer normalen gesunden Ernährung und dieser Erkrankung zu ziehen, ist nicht leicht, zumal der Übergang fließend ist. Tatsächlich hat Steven Bratman erst 1997 diese Essstörung als erster beschrieben. Bis heute gibt es lediglich drei Screening-Instrumente zur Erfassung orthorektischen Ernährungsverhaltens. Auf Englisch gibt es den Orthorexia Self-Test von Bratman. Von diesem Test abgeleitet gibt es zwei weitere Fragebögen, einen auf Italienisch (ORTO-15 in italiano) und einen auf Türkisch (ORTO-11).

In diesem Test werden Fragen gestellt, anhand derer man relativ gut einschätzen kann, ob das Essverhalten noch normal oder ob es bereits auffällig ist und man sich besser Hilfe suchen sollte. Die Fragen zielen darauf ab, herauszufinden, wieviel Zeit man täglich mit dem Thema Essen verbringt, ob man sich schlecht fühlt, wenn man etwas isst, was nicht zu den „richtigen“ Lebensmitteln zählt oder ob bereits eine soziale Isolierung aufgrund des Essverhaltens eingetreten ist.

In der Literatur wird heute noch keine einheitliche Therapie vorgeschlagen. Es gilt abzuklären, ob es aufgrund der oft sehr selektiven Lebensmittelauswahl bereits zu Mangelerscheinungen gekommen ist. Das kann man mit einem Blutbild feststellen lassen. Betroffene sollten ehrlich mit dem Arzt reden und erklären, dass sie die Vermutung haben, dass ihr Essverhalten nicht mehr richtig sein könnte und dass sie deshalb überprüfen möchten, ob es bereits zu Mangelerscheinungen gekommen sein könnte. Vitamine wie B12, D, Folsäure und Mineralstoffe und Spurenelemente wie Kalium, Kalzium, Eisen, Zink und Jod sollten hier unter anderem überprüft werden.

Oft ist aber die eigene Erkenntnis das Schwierigste, denn die Betroffenen sind ja gerade davon überzeugt, nur gute und die Gesundheit erhaltende Lebensmittel zu essen. Optisch auffällig kann diese Essstörung dann werden, wenn die Auswahl nur noch Lebensmittel mit wenig Kalorien „erlaubt“. Die Betroffenen verlieren sichtbar an Gewicht. 

Auch hier sollte in jedem Fall professionelle psychologische Hilfe gesucht werden. Aber auch eine fundierte Ernährungsberatung, die falsche Vorstellungen und Missverständnisse korrigieren kann, kann hier hilfreich sein. Ziel ist auch hier, die Wiederherstellung eines normalen Essverhaltens und vor allem die Rückkehr zu einem Essen ohne Zwänge und „Auflagen“.