Politik | Anna Pitarelli

Bozner Knalleffekt

Erste Reaktionen am Tag danach. "Enttäuscht von unserer Gemeinderätin. Wir werden Konsequenzen ziehen", so Klaus Ladinser. Anderswo feiert man.

“La giunta nasce di notte: Maggioranza compatta”. Grund dafür, dass die Tageszeitungen wie etwa Alto Adige am Donnerstag Morgen mit solchen und ähnlichen Schlagzeilen aufwarten, ist die fünfeinhalbstündige Sitzung des Bozner Gemeinderats. Bis 23.30 abends – da war der Redaktionsschluss vieler Printmedien bereits vorbei – saßen die 45 Räte zusammen, wählten ihren Präsidenten und dessen Vize. Anschließend ging die Debatte über das von Bürgermeister Spagnolli vorgelegte Regierungsprogramm los. Mehrere Stunden sollte diese dauern. Einen Schlussstrich unter die zähen Diskussionen zog schließlich Anna Pitarelli. Ihr “Nein” zum Programm reichte, um der nach mühsamen Verhandlungen zusammen gestellten Regierung den Todesstoß zu versetzen. Insgesamt sprachen sich 23 Gemeinderäte gegen Spagnollis Programm und Stadtregierung aus. Nur 22 stimmten mit “Ja”.


Abgang in High Heels

Während die Gemeinderäte der Mehrheit in eine Art Schockstarre verfielen, brach in den Oppositionsreihen lauter Jubel und Applaus für die abtrünnige SVP-Rätin Pitarelli aus. Diese verließ “Hals über Kopf auf ihren High Heels”, so ein Beobachter, die Szene. Das Grölen im Sitzungssaal ist noch zu hören, als Pitarelli vor der Tür von Journalisten abgefangen wird. Sie muss ein paar Mal schlucken, bevor sie eine Erklärung für ihre Gegenstimme gibt: “Ich war von Anfang an für Innovation und gegen Stillstand”, so Pitarelli. Und die Linke, die wieder mit ins Boot geholt wurde, ist für sie ein Zeichen dieses Stillstandes: “Dieser Stadtrat, so wie er zusammen gesetzt ist, geht für mich nicht in Ordnung. Ich bin kohärent und sage: ‘Ich will die Linke nicht.’ Für mich gibt es hier keine Erneuerung und daher habe ich mit Nein gestimmt.” Sprach’s und verschwand.

Anna Pitarelli war die einzige der “Benkianer” aus den Reihen der SVP gewesen, die in den Gemeinderat gewählt wurde. “Sie opfert sich für Benko. Die Luft für eine Pro-Benko-Abstimmung wurde ihr anscheinend zu dünn”, so meldet sich der Grüne Gemeinderat Tobias Tobe Planer noch Mittwoch Nacht zu Wort. Auch andere sehen im Ausscheren von Pitarelli ein Zeichen dafür, dass es gewissen Leuten lieber ist, wenn ein Kommissär und nicht der Gemeinderat über die Zukunft des Kaufhaus-Projekts befindet: “Leider haben wir es dank Benko nicht geschafft, dass sich eine demokratisch gewählte Institution frei zu einem so gefährlichen Projekt äußern konnte. Der Gemeinderat wurde nach Hause geschickt. Von jemandem, dem offensichtlich die Interessen einer Gruppe von Privaten wichtiger sind als jene der Stadt”, kritisiert SEL-Gemeinderat Guido Margheri. “Eine Verarsche.” Claudio Della Ratta kann seine Enttäuschung kaum verbergen. “Ich will nicht ausfallend werden”, so der PSI-Vertreter, “aber so kann man die Leute nicht behandeln, die versuchen, seit mehreren Wochen, ein Gleichgewicht zu finden. Und eine Person macht alles innerhalb einer Sekunde zunichte. Sie können sich vorstellen, was ich von so jemandem halte.”


Nicht nur Spagnolli geht nach Hause

Anderswo hingegen hält man sich weniger bedeckt und zeigt ganz offen, wie man zu Anna Pitarelli und ihrer Entscheidung steht: “Brava, Anna Pitarelli, che donna con le palle! Grandissima!”, so der Facebook-Eintrag von Maria Teresa Tomada am frühen Donnerstag Morgen. Die ehemalige Bürgermeisterkandidatin von Fratelli d’Italia hat es bei den vergangenen Wahlen nicht mehr in den Gemeinderat geschafft. Und doch lässt sie ihrer Freude über die gescheiterte Regierung Spagnolli freien Lauf: “Wie ich es genieße! Großartige Anna Pitarelli!” Während Tomada aus ihrem Freudenrausch nicht mehr herauszukommen scheint, packt Alessandro Urzì die Sache viel pragmatischer an. Er habe sich bereits Gedanken zu den Neuwahlen – die allem Anschein nach im November stattfinden – gemacht, so berichtet er in einem Fernsehinterview von RTTR. “Es wird eine viel größere Mitte-Rechst-Koalition mit vereinten Kräften geben. Wir stehen schon in den Startlöchern”, so der Landtagsabgeordnete und ehemalige Bürgermeisterkandidat von Alto Adige nel cuore. Weniger konstruktive Äußerungen kommen indes von Andrea Bonazza. Der Casapound-Vertreter meldet sich mit dem beinahe schon obligatorischen “Spagnolli a casa!” zu Wort. Dass er selbst auch nach Hause gehen muss, darüber verliert er kein Wort. Lieber verabschiedet sich Bonazza mit fast schon poetischen Gute-Nacht-Wünschen: “Buonanotte Bolzano, torna a sognare in un futuro vero.”


Es brodelt

Doch was sagt der Bürgermeister? Was sagt jener Spagnolli, der beinahe alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, um doch noch im letzten Moment eine tragfähige Regierung auf die Beine zu stellen? Und der schließlich abgesägt wurde. Und das vom treuen Koalitionspartner, der SVP. “Ein Kommissär? Mir soll es recht sein”, so der Noch-Bürgermeister im Anschluss an die Gemeinderatssitzung. “Ich bin sehr entspannt, bin glücklich. Ich habe meine Erfahrung, die gute Erfahrung von fast zehn Jahren an der Regierung, beendet.” Für mehr Worte reicht es so kurz nach dem in den Rücken gerammten Messer nicht. Doch wer gedacht hätte, auch die SVP würde eine solche Ruhe wie Spagnolli bewahren, der irrt.

Lange und zähe Verhandlungen, über Koalitionspartner, Programm und Posten – und das soll nun alles umsonst gewesen sein? Abgewatscht von einer Vertreterin aus den eigenen Reihen? Klaus Ladinser steht das Entsetzen und die Fassungslosigkeit nach dem Abgang von Anna Pitarelli ins Gesicht geschrieben: “Niemand von uns ist über diesen Schritt informiert worden. Hier hat sich eine wirklich komplizierte Situation ergeben. Ich bin von der Gemeinderätin sehr enttäuscht. Und wir werden unsere Konsequenzen ziehen”, berkäftigt Ladinser. Denn schließlich hat sich Pitarelli mit ihrem “Nein“ nicht nur gegen Spagnolli und sein Programm, sondern auch gegen ihre Partei und deren Stadträte gestellt. Auch  Parteikollegin, Judith Kofler Peintner steht ungläubig da: “Ich bin schockiert, ich haber mir das nicht erwartet. Nun müssen wir schauen, welche Konsequenzen es geben wird. Aber denken wir positiv, irgendetwas Positives wird die Sache ja haben”, versucht sie sich selbst zu überzeugen. Doch ganz gelingt das nicht: “Ich muss gestehen, ich bin enttäuscht.”

Enttäuschung, Wut, Unverständnis und Fassungslosigkeit auf der einen Seite. Jubel, Häme und Schadenfreude auf der anderen. Das politische Klima in Bozen ist aufgeheizter denn je. Gegenseitige Schuldzuweisungen lassen nicht auf sich warten. Guido Margheri etwa zieht die Grünen zur Verantwortung: “Sie sind mit Schuld, dass nun nicht nur die Stadtregierung, sondern die gesamte Stadt versenkt wurde.” Umgehend der Konter von Tobias Planer: “Alle Überlegungen, was geschehen wäre, wenn wir Grüne doch noch Teil der Regierung gewesen wären, sind reine Spekulationen. Ich bin überzeugt, dass unser geradliniger Weg in die Opposition der richtige war. Die politische Konstellation in Bozen stand nach den Wahlen von Beginn an unter einem schlechten Stern. Man wollte retten, was kaum zu retten war.”

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Palaia Renato Do., 25.06.2015 - 09:21

Desolante l'immagine dell'ambiente politico di Bolzano, quale scaturisce da questo imprevisto evento. Sinceramente è molto difficile salvare dal punto di vista morale qualcuno degli attori in scena. I verdi, in quanto non hanno accettato di essere coinvolti, ne escono più puliti. L'ormai ex sindaco Spagnolli impallinato da un voto contrario, che veniva dato per certo a suo favore, la responsabile di questo voto con il suo proditorio accoltellamento alle spalle, l'opposizione più accanita, che trova motivo di esultanza da tale fallimento politico, tutti quanti lasciano alquanto a desiderare. Sullo sfondo una città senza guida e priva di riferimenti credibili. Da qui alle prossime inevitabili elezioni comunali si attendono attori nuovi e più responsabili.

Do., 25.06.2015 - 09:21 Permalink
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Harald Knoflach Do., 25.06.2015 - 12:53

wenn man jahrelang den knall ignoriert bzw. nicht hört, geschieht halt dann sowas. diese benko-geschichte ist das beste, was bozen passieren konnte. nicht etwa, weil bozen ein kaufhaus so nötig hat, sondern weil die stadt endlich einmal handeln, stellung beziehen, entscheidungen treffen und verantwortung übernehmen muss.

Do., 25.06.2015 - 12:53 Permalink