Umwelt | Toblacher Gespräche

Hannover bekommt eine neue Lunge

Am Rande Hannovers entsteht ein neuer Stadtteil. Dieser soll grün, selbstständig und billig sein. Ein Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden, Hans Mönninghoff.
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Hannover Rathaus
Foto: Pixabay: Stefu

Es vergeht kaum mehr ein Tag, an dem man nicht vom Klimawandel hört. Die Medien berichten von Bränden und Überschwemmungen, die Jugend geht auf die Straße und selbst beim Wandern fällt einem der fehlende Gletscher auf. Der Klimawandel ist in aller Munde und eine Lösung gibt es keine. Jedoch wird danach gesucht, etwa bei den Toblacher Gesprächen 2023: Diese gehen vom 29. September bis zum 1. Oktober und drehen sich um diverse Lösungsansätze gegen die Einflüsse des Bausektors auf den Klimawandel. Im Rahmen der Gespräche werden verschiedene Experten ihre Projekte und Ideen darstellen. Einer davon: Hans Mönninghoff, Ingenieur, Öko-Aktivist und ehemaliger Umwelt- und Wirtschaftsdezernent der Stadt Hannover. Seit rund vier Jahren ist er Aufsichtsratsvorsitzender des Projekts „Ecovillage Hannover“. Dieses hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen grünen „Mini-Bezirk“ am Rande Hannovers zu bauen. Das Projekt klingt fast schon utopisch – klimaneutrale Gebäude, möglichst viel Grünfläche, tiefe Mieten und selbst hergestellter Strom. Dabei soll einerseits Platz gespart werden – ein Bewohner wird nicht mehr als 25 bis 30 m² individuellen Wohnraum zur Verfügung haben - andererseits soll die Zone begrünt werden. Das Wohngebiet soll so Leitprojekt für nachhaltige Neubauten werden. Eco Village Hannover zählt inzwischen mehr als 900 Mitglieder, Alt und Jung, die in eine der geplanten Wohnungen ziehen wollen. Ein Gespräch mit Mönninghoff zu seinen Anfängen als Öko-Aktivist und der Gegenwart und Zukunft von Ecovillage Hannover.

Hans Mönninghoff
Hans Mönninghoff auf dem Podium bei einem Treffen für Ecovillage Hannover (Foto: Villegras)

Salto.bz: Sie bezeichnen sich als Öko-Aktivist. Wie kommt es dazu?

Hans Mönninghoff: Ich wurde politisiert durch die Anti-Atombewegung um 1977. Damals waren wir sehr in die Causa engagiert, haben dann aber schnell gemerkt, dass es nicht reicht, immer nur „gegen etwas“ zu sein. Man muss auch positive Initiativen und Lösungsvorschläge aufzeigen können. So haben wir 1979 begonnen, uns vielseitig zu engagieren: Wir haben 1979 Volkschulhochkurse über das Energiesparen gehalten, haben 1980 die ersten Solaranlagen und 1982 die erste Biogasanlage auf einem Landwirtschaftsbetrieb hier in Norddeutschland aufgebaut. Das ist jetzt 40 Jahre her – als Öko-Aktivist bezeichne ich mich also schon lange.

Vieles, das Sie damals eingeleitet haben, ist also heute der Standard.

Ja, das ist völlig faszinierend. Auf der anderen Seite ist es aber auch schockierend, wie viel Zeit wir verloren haben. Beispielsweise gab es damals bereits ausgereifte Konzepte, um kleine Biogas-Anlagen seriell für Höfe zu produzieren. Das ist aber alles in die Brüche gegangen, als das Öl nach der ersten Ölkrise wieder billig wurde und sich somit Ausgaben in Biogas nicht mehr lohnten. Im Prinzip war bei vielen Thematiken das Wissen bereits in den 80er-Jahren vorhanden. Inzwischen haben wir mehrere Jahrzehnte verloren, leider.

40 Jahre später – Sie haben noch die gleiche Einstellung, aber nicht vieles hat sich geändert.

Ja, wobei man sagen muss, dass sich jetzt tatsächlich was bewegt. Das ist schön und auch notwendig. Wir fühlen uns im Nachhinein bestätigt, dennoch ist es schade, dass es so lange gedauert hat.

„Wir müssen ein Bewusstsein schaffen, dass die Leute von diesem „Immer mehr, immer größer“ herunterkommen“ – Hans Mönninghoff

Wie sind Sie auf das Projekt „Ecovillage“ gestoßen?

Ich war 24 Jahre Umwelt- und auch Wirtschaftsdezernent in Hannover. Nach meiner Pensionierung 2013 habe ich dann eine Zeit lang andere Projekte verfolgt, habe in Afrika ein Wasserprojekt geleitet und war in einer Energiegenossenschaft aktiv. 2019 kam dann eine kleine Gruppe aus Hannover auf mich zu, diese hatte erste Pläne zum Ecovillage im Kopf. Also haben wir eine Veranstaltung organisiert, um über das Konzept zu reden. Damals hatten wir uns 50 Gäste erwartet, gekommen sind dann aber mehr als 300. Viele waren vom Projekt fasziniert und wollten auch teilhaben an dieser Idee der neuen, einfachen und grünen Wohnform am Rande der Stadt. So hat sich das Projekt entwickelt.

Demonstrationshaus Ecovillage Hannover
Aus nachhaltigen Materialien gebaut, Solar-Anlagen wo es nur geht und platzeffizient: Das erste Haus von Ecovillage Hannover steht!

2021 gab es bei Ecovillage Hannover den „Meilenstein Spatenstich“. Wo stehen Sie jetzt aktuell?

Inzwischen haben wir das erste Versuchs- und Demonstrationshaus fertiggestellt. Dieses stellen wir jetzt den Mitgliedern zur Verfügung, um dort Probe zu wohnen. Die Häuser werden nämlich sehr platzsparend gebaut, so geben wir den Leuten die Gelegenheit, zu testen, ob sie sich wirklich zutrauen, auf so wenig Raum zu leben. Aktuell haben wir aber mit einem großen Problem zu kämpfen.

Was für ein Problem?

Das Grundstück ist gekauft, wir sind eigentlich fertig organisiert, haben die Baugenehmigungen, aber jetzt ist eine Bank abgesprungen und wir haben bei 48 Mio. € Baukosten ein Finanzierzungsloch von 9 Mio. €. Die Zinsen steigen so, dass die ausgehandelten Kreditbedingungen für sie nicht mehr interessant genug sind und so haben sie ihre letzte Möglichkeit ergriffen, auszusteigen. Das hat uns in eine Krise gestürzt.

Was bedeutet das nun für Sie?

Aktuell können wir nicht mit dem Bau anfangen, weil uns schlicht die Mittel fehlen. Inzwischen haben wir schon ein halbes Jahr verloren, in den nächsten Tagen entscheidet sich, was aus dem Projekt wird.

Beim Ecovillage Hannover bauen wir das meiste aus Holz, sogar die Aufzugsschächte – die Leute erklären uns teilweise für verrückt“ – Hans Mönninghoff

Kann es sein, dass Sie nach Toblach kommen und erzählen, dass das Projekt gescheitert ist?

Nein, soweit wird es wohl nicht kommen. Wir werden sicher irgendeine Lösung finden. Es gibt ein sehr großes Interesse für uns, viele wollen uns unterstützen.  Wir haben in den letzten vier Wochen 300.000 Euro Darlehen bekommen, mit diesen kommen wir vorerst über die Runden. Ecovillage Hannover wird nicht scheitern.

Wieso sind Projekte wie dieses so wichtig?

Es gibt seit Jahrzehnten das Problem, dass der Wohnflächenverbrauch pro Person steigt. Allein der Mehrwohnverbrauch in Deutschland in den letzten 20 Jahren entspricht fast 10 Millionen Wohnungen. Diesen Trend muss man durchbrechen. Das ist eben die spannendste Frage, ob und wie das gelingt. Da sind Ideen wie Ecovillage natürlich Leuchtturm-Projekte.

Lageplan Ecovillage Hannover
Das für das Projekt gewählte Grundstück liegt zwar am Rand der Stadt, ist jedoch dennoch gut vernetzt und umgeben von Infrastrukturen. Kein abgeschiedenes "Öko-Dorf" also, sondern ein neuer, grüner Stadtteil.

Was ist der Langzeitplan für Ecovillage Hannover?

Laut unserem Bauplan kann man auf dem Grundstück 500 Wohnungen zu einer mittleren Dichte bauen. Das sind keine Hochhäuser, aber auch keine Einfamilienhäuser – Baufläche in der Stadt ist dafür zu wertvoll. Unser Ziel ist es also, diese 500 Wohnungen für ca. 1000 Menschen bis 2028 fertigzustellen. Das ist ein großer Schritt für uns. Für das Danach haben wir noch keine Pläne, durchaus aber schon einige Ideen.

Was für Ideen?

Es gibt zum Beispiel eine Gruppe, die nicht ins Ecovillage Hannover ziehen möchte, sondern ein Projekt im ländlichen Raum anstrebt. Andere hingegen würden lieber in ein ungenutztes Gewerbegebäude einziehen, die finden Neubau schlecht. Wir haben die Struktur unserer Genossenschaft so angelegt, dass wir mehrere Ecovillages anlegen können. Die Idee der kleinen Wohnungen bleibt die gleiche, die Gegebenheiten ändern sich.

"Wenn Neubau, dann klimaneutral - darüber darf man gar nicht erst diskutieren." - Hans Mönninghoff

Wieder andere Gegebenheiten finden sich in Südtirol: Inwiefern könnte man so ein Projekt auch hier starten?

Bei meiner Präsentation bei den Toblacher Gesprächen werde ich auch ein Projekt vorstellen, das am Rande einer Kleinstadt mit 20.000 Einwohner vollzogen wird. Damit will ich zeigen, dass es grüne Bezirke auch für kleinere Städte gibt. Ich gebe aber nur den Input, Schlussfolgerungen der Südtiroler Experten müssen bei den Toblacher Gesprächen diskutiert werden. Ich will da keine Ratschläge von außen geben.

Welchen Einfluss hat der Neubau generell auf das Klima?

Der Neubau spielt bei den Bilanzierungen keine große Rolle, denn 400.000 neuen Wohnungen stehen in Deutschland 40 Mio. bestehende gegenüber. Das, was neu hinzukommt, muss selbstverständlich klimaneutral gebaut werden. Die größere Frage ist, wie man Bestandsgebäude klimaneutral bekommt.

Was ist der aktuelle Stand in Bezug zu Bestandsgebäuden?

Das ist ein zurzeit heiß diskutiertes Thema wegen der Forderung, Bestandsgebäude bis spätestens 2045 klimaneutral zu bekommen. Da gibt es eine massive Kontraverse, weil die Hausbesitzer merken, dass diese Sanierungen Geld kosten. Plötzlich ist ihnen dann der Klimaschutz nicht mehr so wichtig und sie beginnen, sich gegen diese Regelungen aufzulehnen.

Werden Sie im Ecovillage Hannover leben?

Nein. Wir haben zusammen mit sieben anderen Familien vor zehn Jahren unser Traumhaus in Hannover selbst gebaut, von der ersten Idee bis zur letzten Schraube. Mich bekommt man hier nur noch horizontal raus - entweder auf der Krankenliege oder im Sarg.

Ein Beitrag von Nathanael Peterlini