Umwelt | Affäre

Machenschaften am See

Seit 27 Jahren besteht ein illegaler Schankbetrieb am Kalterer See. Trotz rechtskräftiger Urteile schaut die Gemeinde aber einfach weg. Bis jetzt das Land einschreitet.
Hofschank Seewiesen
Foto: Salto.bz
Wenn sich am kommenden Montag der Kalterer Gemeinderat trifft, dann stehen als letzter Punkt die Stellungnahmen zum neuen Landschaftsplan „Biotop Kalterer See“ auf der Tagesordnung. Dabei wird auch über die Wiedererrichtung jenes Stegs abgestimmt werden, über den Salto.bz vor Wochen ausführlich berichtet hat. Der Antrag wird mit größter Wahrscheinlichkeit abgelehnt werden.
Ich hoffe nur, dass die Presse nicht wieder schreibt“, sagte die Kalterer Bürgermeisterin Gertrud Benin bereits im Vorfeld der Sitzung. Benins Hoffnung gründet auch darauf, dass im Keller des Kalterer Biotops noch ganz andere Leichen begraben sind.
Denn inzwischen ist klar, dass die Geschichte um den Steg von Helga Morandell nicht zufällig an die Öffentlichkeit gekommen ist, sondern ein Mittel sein sollte, um eine gewissenhafte Beamtin aus dem Weg zu räumen und gleichzeitig von einem weit größeren Skandal abzulenken.
Die Geschichte um den Steg sollte ein Mittel sein, um eine gewissenhafte Beamtin aus dem Weg zu räumen und gleichzeitig von einem weit größeren Skandal abzulenken.
Es geht dabei um einen widerrechtlichen Schank- und Speisebetrieb unmittelbar neben dem Steg, an dem Helga Morandell beteiligt ist. Und es geht um eine jahrelange Säumigkeit der Kalterer Bürgermeisterin rechtskräftige Gerichtsurteile umsetzen. Die Frage, ob hier Amtsunterlassung vorliegt, wird zu klären sein. Sicher ist aber jetzt schon, dass es im Kalterer Rathaus in diesem Fall einen kollektiven Reflex gibt, das Wegschauen.
Es ist eine Geschichte, die vor fast genau 30 Jahren beginnt.
 

Ferienclub Kalterer See

 
Die Morandells sind eine der bekanntesten Kalterer Hoteliersfamilie (wobei diese Morandells mit der Beamtin Helga Morandell nicht verwandt sind). Direkt oder über die Goldgasse OHG betreibt die Familie das Schlosshotel Ährental (4 Sterne), das Hotel Haus am Hang (4 Sterne), das Haus Seewinkel (mit 5 Appartements) und einen Buschenschank am Nordufer des Kalterer Sees.
Schaut man sich allerdings die Entstehungsgeschichte dieses Buschenschanks an, so muss man sich ernsthaft fragen, ob in Kaltern die Gravitationsgesetze außer Kraft gesetzt wurden.
Am 31. Oktober 1994 kauft die Goldgasse OHG ein altes Wohnhaus mit Bauparzelle am Nordufer des Kalterer Sees. Die Ehefrau des Käufers erwirbt am selben Tag zwei angrenzende landwirtschaftliche Grundstücke. Die neuen Besitzer reichen bei der Gemeinde ein Projekt zum „Abbruch und Wiederaufbau eines Wohnhauses“ ein.
 
 
 
Im Herbst 1995 steht das neue Haus. Die Familie Morandell eröffnet jetzt unter dem Titel „Ferienclub Kalterer See“ einen gastgewerblichen Bar-, Restaurant und Badebetrieb. Am Rande des Biotops und des geschützten Schilfgürtels und ohne die dafür vorgesehen Lizenz. Die Hoteliersfamilie hat damit nicht nur für die Gäste ihrer zwei Vier-Sterne-Hotels einen exklusiven Zugang zum Kalterer See, sondern auch eine weiteren Gastbetrieb in traumhafter Lage mit direktem Zugang zum See.
Da die Bauakte noch nicht abgeschlossen ist, suchen die Bauherren im Bauamt um eine „Richtigstellung der Baukonzession“ an. Die Begründung: Man habe aus einem Versehen im Projekt von einem Wohnhaus gesprochen, in Wirklichkeit sei der Baukörper aber schon zehn Jahre vorher für touristische Zwecke genutzt worden.
Schaut man sich die Entstehungsgeschichte dieses Buschenschanks an, so muss man sich ernsthaft fragen, ob in Kaltern die Gravitationsgesetze außer Kraft gesetzt wurden.
Dem „Versehen“ glaubt man im Kalterer Rathaus allerdings nicht und lehnt die nachträgliche Umwidmung ab. Gegen diese Ablehnung klagte die Goldgasse OHG vor dem Verwaltungsgericht Bozen. Das Gericht weist den Rekurs ab und gibt im November 2001 der Gemeinde Recht. Es handle sich um ein Wohnhaus, das nicht für gastgewerbliche Zwecke genutzt werden darf.
 

Kulante Gemeinde

 
Die Goldgasse OHG zieht gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vor den Staatsrat. Vergisst aber die Aussetzung des Urteils erster Instanz zu verlangen. Rein formal wird es damit unmittelbar vollstreckbar. Das heißt, der damalige Bürgermeister Wilfried Battisti-Matscher hätte eine Schließungsverfügung erlassen können.
Das geschieht aber nicht.
Wie kulant die Gemeinde mit der Hoteliersfamilie umgeht, zeigt sich auch daran, dass die Anwälte der Gemeinde beim Staatsrat keinen Dringlichkeitsantrag stellen. So dauert es elf Jahre bis der Staatsrat das Urteil des Bozner Verwaltungsgerichtes bestätigt und zum eindeutigen Schluss kommt, dass es sich um ein Wohnhaus handelt, das nicht für touristische Zwecke genutzt werden darf.
Obwohl das Urteil damit Rechtskraft erhält, tut die Gemeinde Kaltern aber weiterhin nichts, um den Gastbetrieb zu schließen. Inzwischen ist Gertrud Benin Bürgermeisterin. Der „Ferienclub Kalterer See“ arbeitet in all diesen Jahren als Gastbetrieb einfach weiter, so als wäre nichts passiert. Über 20 Jahre lang.
 
 
 
Man tut sich schwer die zahlreichen Verfahren und Prozesse zu zählen, die in die Goldgasse OHG in den darauffolgenden zweieinhalb Jahrzehnten gegen die Gemeinde anstrengt. Mehrmals erlässt die Gemeinde zwar Abbruchverfügungen einzelner Gebäudeteile, doch jedes Mal reizen die Besitzer die langen Gerichtswege bis zum Ende aus. Die Familie Morandell gewinnt vor dem Verwaltungsgericht einzelne Verfahren, weil die Gemeinde in ihrem Bescheiden Formfehler macht. Aber alles nur Zufall.
 

Der Parkplatz

 
Bereits mit dem Umbau des Hauses hat die Goldgasse OHG 1995 einen großen Parkplatz hinter dem Haus errichtet. Über 20 Jahre lang fällt aber anscheinend niemand in der Gemeindeverwaltung auf, dass es für den 2.000 Quadratmeter großen Parkplatz weder eine Baugenehmigung noch eine Änderung des Bauleit- oder Landschaftsplanes gibt. Eine solche Genehmigung kann es auch nicht geben. Denn in der Bannzone Kalterer See darf es keinen solchen Parkplatz geben.
Dennoch dauert es 20 Jahre, bis die Gemeinde Kaltern ein Verfahren einleitet. Das Verwaltungsverfahren endet im September 2017 mit einer Verwaltungsstrafe von 1.584.626 Euro wegen „der widerrechtlichen Änderung der Zweckbestimmung von Landwirtschaftlichen Grün in Parkplatz“. Die Goldgasse OHG rekurriert auch gegen diesen Strafbescheid vor dem Verwaltungsgericht und bekommt Recht. Wieder ist ein Formfehler passiert. Im Strafbescheid hatte man nicht die genauen Maße des widerrechtlichen Parkplatzes angegeben. Ein Fehler, der einem Techniker eigentlich nicht passieren darf.
Die Familie Morandell baut den Parkplatz jetzt aber freiwillig zurück. Auch weil sich plötzlich Wunderbares tut. Es ist ein Vorgang, der endgültig klar macht, dass in Kaltern andere Gesetze und Bestimmungen gelten müssen als im restlichen Land.
 

Urlaub auf dem Wohnhaus

 
2017 gibt es mindestens ein rechtskräftiges Urteil des Staatsrates und zwei weitere vollstreckbare Urteile des Bozner Verwaltungsgericht, die dem Spuck am Nordufer des Sees eigentlich ein Ende bereiten müssten. Doch die Gemeindeverwaltung tut immer noch so als sei nichts passiert. Die Hoteliersfamilie Morandell muss dabei Schutzengel in den höchsten Gemeindeämtern haben.
Denn am 16. März 2017 meldet Mathias Morandell für das Wohnhaus bei der Gemeinde den Beginn einer neuen Tätigkeit an: „Urlaub auf dem Bauernhof“. Am 21. März 2017 erfolgt die Eintragung in das Gemeinderegister für Urlaub auf dem Bauernhof. Unmittelbar danach stellt Bürgermeisterin Gertrud Benin die Lizenz für die Beherbergung von Gästen und Verabreichung von Speisen und Getränken an der Hofstelle (Hofschank) aus. Genehmigt werden eine Ferienwohnung und ein Hofschank mit 16 Sitzplätzen innen und 22 Sitzplätzen im Freien. Aus dem Ferienclub wird so über Nacht ein Hof- oder Buschenschank "See.Wiesn", der bis heute vor allem im Sommer Hunderte von Gästen bewirtet.
 
 
 
Dabei dürfte selbst den Kalterer Gemeindeverwaltern von Anfang an die absurde Gesetzesverdrehung klar sein. Urlaub auf dem Bauernhof ist laut dem Gesetz eine landwirtschaftliche Nebentätigkeit, die auf einer Hofstelle genehmigt werden kann.
Das Haus am Nordufer des Kalterer Sees ist aber keine Hofstelle, sondern laut mehreren rechtskräftigen Urteilen der Verwaltungsgerichte ein Wohnhaus.
Ein Buschen- oder Hofschank in einem Wohnhaus und Urlaub auf dem Bauernhof, dort wo es keinen Hof gibt? Das muss eine Art achtes Weltwunder sein.
Aber in Kaltern geht alles.
 

Störrischer Nachbar

 
Das Schutzschild der Bürgermeisterin lässt aber anscheinend auch das zu, was eigentlich nicht möglich ist. Im Rathaus drückt man weithin alle Augen zu, um ja nichts zu sehen.
Das Problem ist dabei aber ein Nachbar, der das Geschehen im Hofschank minutiös dokumentiert und der Bürgermeisterin und der damaligen Gemeindesekretärin mehrmals vorlegt. Jahrelang werden die Eingaben des Nachbarn abgeschmettert. Doch der Mann gibt keine Ruhe.
Als der Nachbar in einer Eingabe detailliert, die widerrechtliche Situation anhand von Landesgesetzen und Bestimmungen analysiert und darauf pocht, dass man es verabsäumt habe, die Tätigkeit Hofschank dem gesetzlich vorgeschriebenen Natura-2000-Verfahren zu unterziehen, kommt die Gemeinde in Zugzwang.
Am 27. September 2021 leitet die Gemeinde Kaltern ein Verfahren „bezüglich der Unwirksamkeit der Eröffnung der Tätigkeit Urlaub auf den Bauernhof, Ferienwohnung mit Hofschank ein.“ Die Gemeinde holt dazu ein Rechtsgutachten beim Bozner Anwalt Alexander Bauer ein. Dieser kommt im Gutachten nicht nur zum Schluss, dass die Eintragung ins Urlaub auf den Bauernhof-Verzeichnis „mit einem Rechtsmangel behaftet sein könnte“, sondern er legt der Gemeinde auch nahe, möglicherweise eine solche Umweltverträglichkeitsprüfung einzuleiten.
Die Gemeindeverwaltung kommt aber aufgrund dieses Gutachtens zum genau gegenteiligen Schluss: Die Eintragung als Buschenschank sei rechtens und brauche kein Natur-2000-Verfahren. Das Verwaltungsverfahren gegen die Familie Morandell wird deshalb am 31. Dezember 2021 eingestellt.
 

Land greift durch

 
Doch der Nachbar wendet sich gleichzeitig auch an das Land und die zuständigen Ämter für Natur und Landschaftsplanung. Dort wird man sofort stutzig.
Die Hofschank-Besitzer reichen 2021 ein Projekt bei der Gemeinde Kaltern ein, um einige Umbauarbeiten zu sanieren. Dieses Projekt und die Tatsache, dass die zuständigen Landesämter gerade an der Überarbeitung des Landschaftsplanes Kalterer See arbeiten, wird schließlich zum Einfallstor, dass sich die Landesbehörden den Fall erstmals genauer anschauen.
 
 
 
Dabei werden die makroskopischen Gesetzesverstöße sofort bemerkt. Als im Mai 2022 in der Wochenzeitung ff ein großer Artikel über die Geschichte erscheint, dort klare Beweisfotos für die touristische Tätigkeit veröffentlicht werden, kann man in der Gemeinde nicht mehr sagen, man haben von nichts gewusst. Allein die Tatsache, dass die Bürgermeisterin dem ff-Redakteur Karl Hinterwaldner keinerlei Auskunft zum Fall geben will, macht deutlich, dass man bis zum letzten Moment alles tut, damit die Geschichte ja nicht an die Öffentlichkeit kommt.
Unmittelbar danach aber leitet das Landesamt für Landschaftsplanung ein Verfahren ein. In einem Schreiben des Amtsdirektors Peter Kasal an die Kalterer Bürgermeisterin werden nicht nur widerrechtliche Bauarbeiten aufgezeigt, sondern es wird auch darauf hingewiesen, dass für den Buschenschank die landschaftsrechtlichen Genehmigungen durch die Landesverwaltung fehlen. Zudem muss das gesamte Projekt einem Natura-2000-Umweltverfahren unterzogen werden. Der zuständige Amtsdirektor aber auch die Chefurbanistin des Landes, Virna Bussadori, fordern die Gemeinde aber auch auf, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Ausübung der Tätigkeit Urlaub auf den Bauernhof und Hofschank überhaupt gegeben sind.
Spätestens damit aber ist der Sack zu.
 

Zwei Fliegen

 
Die Landesverwaltung hat damit innerhalb von sechs Monaten all, das nachgeholt, was die Gemeinde Kaltern zwei Jahrzehnte lang verabsäumt hat. Am 5. September 2022 leitet die Gemeindeverwaltung Kaltern ein neues Verfahren gegen den Hofschank-Betreiber ein. Er hat 30 Tage Zeit alle geforderten Nachweise vorzulegen. Ansonsten wird die Lizenz entzogen.
Bis heute sind die nötigen Dokumente nach Informationen von Salto.bz nicht hinterlegt worden.
Die Verfahrensverantwortliche ist in diesem Fall – neben dem Kalterer Gemeindesekretär – die Leiterin des Lizenzamtes Helga Morandell. Sie muss den Lizenzentzug einleiten und will genau das auch im November 2022 tun.
Schön getimt werden Salto.bz genau zu diesem Zeitpunkt, Dokumente über den Kauf des Steges durch Helga Morandell und Partnern zugespielt. Der Artikel erregt in der Überetscher Marktgemeinde und darüber hinaus großes Aussehen.
Das eigentliche Ziel der Aktion war es, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Zum einen geht es darum, Helga Morandell als Beamtin zu desavouieren und damit auch den drohenden Lizenzentzug zu umgehen. Zum anderen aber auch um Helga Morandells Sohn. Christoph Pillon sitzt im Kalterer Gemeindeauschuss und dem Jungpolitiker werden ernsthafte Ambitionen nachgesagt, dass er Bürgermeisterin Gertrud Benin beerben will. Pillon hat dabei aber nie einen Hehl daraus gemacht, dass er diese Machenschaften am See, nicht goutiert.
Fast scheint die Aktion aufgegangen zu sein. Man hat den Splitter im Auge des anderen serviert, um auf vom Balken im eigenen Auge abzulenken.
 
 
 
 
 
 
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Salto User
Günther Alois … Sa., 28.01.2023 - 08:02

Solche "Machenschaften" schreien zum Himmel.Das ist ein starkes Stück was da in der Gemeinde Kaltern abläuft und abgelaufen ist.Für mich ,ein Fall für den Staatsanwalt und nicht nur.

Sa., 28.01.2023 - 08:02 Permalink