Kultur | Kulturplattform

„Das ist unseres, damit gehen wir um“

Bozen soll über die eigene historische und zeitgenössische Kultur diskutieren, dazu regt die neue Kulturplattform der Freien Universität Bozen und der Landesregierung an.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Plattform Kulturerbe und Kulturproduktion, Ausstellung Asmara
Foto: Plattform Kulturerbe und Kulturproduktion

Als eines der ersten Projekte zeigte eine Fotografieausstellung Parallelen auf zwischen dem gestrigen und heutigen Bozen und der Stadt Asmara.

 

Bozens Zwillingsstadt liegt nicht in Italien, sondern außerhalb Europas auf dem afrikanischen Kontinent, in Eritrea. Asmara und Bozen gleichen sich in ihrer avantgardistischen Bauweise so sehr, dass sie auf manchen Bildern kaum zu unterscheiden sind. Zum Beispiel spiegeln sich Teile Asmaras und der Bozener Neustadt. Beide Städte prägt der italienische Baustil unter der faschistischen Diktatur Mussolinis. Doch was die Städte vereint, trennt sie gleichzeitig. „Die Bevölkerung Eritreas hat dieses, auch schwierige, Erbe akzeptiert und lebt mit ihm, sagt ‚das haben unsere Vorfahren, wenn auch unter diktatorischen Umständen errichtet, wir wollen damit umgehen. Es ist unser Erbe.‘ In Bozen ist diese Diskussion noch lange nicht so weit“, sagt Waltraud Kofler Engl, Direktorin der Plattform „Kulturerbe und Kulturproduktion“. Die Plattform, ein Kooperationsprojekt der Fakultät für Künste und Design der Uni Bozen und der Landesregierung, fördert öffentlichen kulturellen Austausch. In diesem Rahmen holte Kofler Engl die Ausstellung „Asmara – Afrikas heimliche Hauptstadt der Moderne“ nach Bozen. Gleiches Erbe, zwei Städte - zwei Gedanken: Die Ausstellung fragt danach, was kulturelles Erbe bedeutet.

 

Jedenfalls steht Kulturerbe nicht unter einer Käseglocke. „Kulturerbe begleitet uns alltäglich auf Schritt und Tritt. Es ist nichts in der Vergangenheit verhaftetes, sondern Boden, auf dem Neues wächst und wachsen muss “, sagt Kofler Engl. Das heißt, kulturelles Erbe wandelt sich je nachdem, wie Menschen damit umgehen und bewusst oder unbewusst damit leben. In Südtirol gibt es unzählige Beispiele für Kulturerbe, das mitten im Alltag der Menschen steht. Etwa die Bozener Freiheitsstraße vom Siegesplatz bis Gries, die Kastanie als Kulturpflanze oder die Nutzung historischer Gebäude für zeitgenössischen Bauen oder für Veranstaltungen. In diesem Sinne wurde  die Ausstellung zu Asmara in den temporär leerstehenden Geschäftsräumen des Ex-INA-Gebäudes gezeigt. Die Kulturplattform will nicht nur informieren und Diskussionen anregen, sondern auch Impulse aus der Wissenschaft in die Region fließen lassen und umgekehrt. Die Gemeinde Sexten wird von der Plattform dabei unterstützt, Spuren in der Landschaft aus dem ersten Weltkrieg zu aufzuarbeiten. Außerdem wird theoretisch und praktisch gearbeitet: Die Fakultät für Künste und Design gestaltete die Grafiken für die Ausstellung zu Asmara. Dabei setzte die Ausstellung vor allem auf die Wirkung von Bildern, sodass Besucher selbst Parallelen ziehen können zwischen Bozen und den Fotos Asmaras.

 

 

Genauso wie sich Asmara und Bozen einen Architekturstil teilen, steht kollektives Kulturerbe für etwas, das sich Menschen teilen, das jeden Einzelnen auf seine Weise und alle gleichermaßen tangiert. „Kulturerbe ist etwas, das einschließt und integriert, niemals ausschließt. Es umfasst alle Facetten des Lebens, auch die unbequemen“, sagt Kofler Engl. Damit strahlt die Auseinandersetzung mit Kulturerbe in viele Lebensbereiche bis hin ins Politische. Am Umgang mit Kulturerbe teilzuhaben ist ein Recht aller Menschen unabhängig von Herkunft oder Besitz, legt eine Rahmenkonvention des Europarates (Faro 2005) fest. Beispielsweise leben viele Migranten in den Altstädten von Genua und Brixen. Auf natürliche Weise werden die Altstädte so zeitgenössisch genutzt und neues, in diesem Beispiel multikulturelles, Kulturverständnis eingebracht. Ein Praxisbeispiel dafür, wie die Auseinandersetzung mit Kulturerbe zum Prozess wird. Allerdings verbirgt sich darin auch die Gefahr, den Begriff des Kulturerbes ins Negative zu drehen, wenn er etwa in engem nationalistischen oder stark lokalen Rahmen gefasst wird. Ein Gegenbeispiel: Die Ausstellung zu Asmara bezieht sich einerseits direkt auf Bozen und weist andererseits weit darüber hinaus. Insgesamt stieß die Ausstellung auf breites Interesse – trotz miesesten Wetters kamen rund 170 Besucher zu einem Vortragsabend Anfang Februar. Auch die Presse rezipierte die Ausstellung, wobei die italienische „Community“ Bozens die Diskussion stärker aufgriff als die deutsche Presse.

 

„Für mich ist Kulturerbe eine Haltung“, sagt Waltraud Kofler Engl. 32 Jahre lang war die ehemalige Direktorin des Amtes für Bau und Kunstdenkmäler und promovierte Kunsthistorikerin in der Südtiroler Denkmalpflege tägig, bevor sie im September 2017 die neu gegründete Kulturplattform übernahm. In ihre neue Stelle bringt sie ihre Netzwerke und ihre Erfahrungen aus Praxis und Theorie der Denkmalpflege ein. Derzeit befindet sich die Plattform im Aufbau. Geplant sind Veranstaltungen wie eine öffentliche Ringvorlesung an der Fakultät für Design der Uni Bozen und verschiedene Tagungen. Als Nächstes hat Kofler Engl bereits die Bozener Altstadt, insbesondere die Freiheitsstraße im Auge, um die Debatte um Kulturerbe in der Region anzutreiben.