Wirtschaft | Rentenreform

Ein gerechtes Rentensystem

Eine gut durchdachte Reform kann mehr Gerechtigkeit und Solidarität für das gesamte Rentensystem bringen.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Fabio Petrini

Seit den frühen 1990er-Jahren werden bei Diskussionen zur italienischen Rentendebatte Vergleiche mit anderen europäischen Ländern angestellt und dabei stets der angeblich leichte Zugang zum Ruhestand und die niedrige Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer kritisiert.

Heute erlauben es die statistischen Daten den Handlungsspielraum zu ermessen, in dem die politischen Entscheidungsträger nach dem Ablaufen der sogenannten "Quote 100" handeln können. Italien hat momentan das höchste Renteneintrittsalter in Europa: 67 Jahre.

In Deutschland sind es 65 Jahre und 9 Monate, 66 und 2 Monate in Frankreich, 65 Jahre in Österreich. Zudem erlauben diese Länder einen möglichen Vorruhestand, während es in Italien diesbezüglich nur befristete ad hoc Maßnahmen gibt.

Daten der Europäischen Kommission belegen, dass nicht nur die italienischen Regeln für den Zugang zum Ruhestand streng sind, sondern auch das effektive Durchschnittsalter beim Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt zu den höchsten in Europa gehört und zwar 65,2 Jahre für Männer, 65,8 Jahre für Frauen (Jahr 2019).

Die Fornero-Monti Reform hat zudem einen starken Anstieg der Beschäftigungsquote in der Altersgruppe der 55-64-Jährigen geführt. Allerdings ist mit dem Anstieg der Beschäftigungsquote auch die Zahl der Arbeitslosen in der Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen stark angestiegen.

Dies ist für Italien neu, denn aufgrund der Rentenregelungen war es in der Vergangenheit gelungen, die Arbeitslosenquote älterer Arbeitnehmer niedrig zu halten. Dabei haben laut Statistik Personen ab 55 Jahren geringe Chancen, eine reguläre bezahlte Beschäftigung zu finden.

In Italien hat sich im letzten Jahrzehnt die Rentenzeit als der Zeitraum in dem eine Rente erhalten wird, um mehr als 4 Jahre verkürzt, während die Lebenserwartung mit 65 Jahren im selben Zeitraum nur um 1 Jahr gestiegen ist. Die Anzahl der "erwarteten gesunden Jahre" nach Erreichen des 65. Lebensjahres ist mit 10 Jahren gleichgeblieben.

Das Verhältnis zwischen der Verlängerung des Arbeitslebens und der Länge der gesunden Altersphase wird insbesondere für die benachteiligten sozialen Schichten immer ungünstiger. Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass die Unterschiede in der Lebenserwartung mit 65 Jahren signifikant sind und diese für die am stärksten benachteiligten sozialen Schichten um 3 bis 5 Jahre niedriger ist. 

Daher ist das italienische Rentensystem für Personen mit ungünstigen Lebens- und Arbeitsbedingungen ungerecht.

Die Debatte angesichts des Endes der Versuchsperiode der "Quote 100" muss all diese Aspekte berücksichtigen. Ab dem 1. Januar 2022 werden männliche und weibliche Arbeitnehmer voraussichtlich mit der Altersrente mit einem Mindestalter von 67 Jahren und 20 Beitragsjahre ausscheiden.

Die Dienstaltersrente bleibt mit 42 Jahren und 10 Monaten für Männer und 41 Jahre und 10 Monate für Frauen gleich. Die Möglichkeit des Renteneintritts mit 64 Jahren und 20 Jahren im beitragsbezogenen System bleibt bestehen, unter der Voraussetzung, dass man monatlich das 2,8-fache des Sozialgeldes erreicht.

In der öffentlichen Diskussion kursierten die unterschiedlichsten Vorschläge zur Überwindung der "Quote 100", wie z. B. „Quote 102", "Quote 41", oder die beitragsbezogene Option, mit einer vollständigen Umstellung auf die beitragsbezogene Berechnungsmethode.

Eine Reform muss in jedem Fall die finanzielle Tragfähigkeit des Rentensystems aufrechterhalten. Gleichzeitig gilt es aber auch, der Altersarmut vorbeugen, das Einkommens der Arbeitnehmer zu garantieren und der Dauer des Ruhestands Rechnung zu tragen. Eine Aufweichung der Zugangskriterien zur Rente wäre dabei keine italienische Anomalie.

In den letzten Jahren haben mehrere Länder die Bedingungen für den Zugang zur Rente vereinfacht und manchmal sogar die strengen Reformen, die in der großen Krise beschlossen wurden, wieder rückgängig gemacht.

Natürlich sind die verschiedenen Optionen auch hinsichtlich der zu erwartenden Kosten zu analysieren. Laut dem INPS würde die Quote 41 als die kostenintensivste Lösung im Jahr der größten Auswirkung (2031) einen Ausgabenanstieg von etwa 0,4 % des BIP bewirken.

Nicht berücksichtigt sind dabei die tragischen Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf die älteren Jahrgänge, die zu einer Ausgabensenkung für 2020 mit Auswirkungen auch für 2021 geführt haben. Andererseits zeigt derselbe INPS-Bericht, dass bei Beibehaltung der aktuellen Regeln, der Anteil der Rentenausgaben am BIP in Italien voraussichtlich von 16,2 % im Jahr 2020 auf 14,6 % im Jahr 2027 sinken wird.

Die "Quote 100" hat nur ein begrenztes Interesse bei den Arbeitnehmern geweckt. Von den anfänglich geschätzten 617.000 Personen habe in den Jahren 2019–20 nur 253.000 Personen diese Möglichkeit genutzt.  Sie gehören meist zu den weniger benachteiligten Personen. Es sind hauptsächlich Männer, mit einem mittleren bis hohen Einkommen, häufig im öffentlichen Dienst beschäftigt. Frauen sind erwartungsgemäß deutlich unterrepräsentiert (70.000). 

Es ist mehr als gerecht, die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen den verschiedenen Berufskategorien zu berücksichtigen, angefangen bei den beschwerlichen Arbeiten, da diese meist mit einer kürzeren Lebenserwartung verbunden sind.

Auch sind einige Verzerrungen in den derzeitigen Regelungen zu korrigieren, insbesondere die Mindestbeträge für den Renteneintritt, die in den europäischen Rentensystemen ihresgleichen suchen. Die Angemessenheit der Leistungen kann nicht durch Mindestschwellen wie das 1,5 und das 2,8fache des Sozialgeldes hergestellt werden.

Nur eine angemessene Leistung des Arbeitsmarktes - sowohl in Bezug auf die Quantität als auch die Qualität der Beschäftigung – kann vorbeugend wirken. Auch ist die Ermittlung geeigneter Finanzierungsmechanismen notwendig, etwa durch die stärkere Nutzung des steuerlichen Hebels, um mehr Solidarität bei prekärer und schlecht entlohnter Arbeiten zu garantieren.