salto.music | „Occupy Museion”

Technophobia

„Occupy Museion”, heute beim Museion in Bozen, ist kein Techno-Marathon mehr, weil die Gemeinde Bozen Pausen verordnet hat. Philipp Kieser reagiert darauf im Interview.
Philipp Kieser
Foto: Denise Tratta
Philipp Kieser
 Spricht für eine große Gruppe an kreativen Menschen in Südtirol, die Raum und Wahrnehmung seitens der Gesellschaft einfordern: Philipp Kieser wird beim „Occupy Museion” übrigens mit seinem Projekt Moira zu hören sein. Foto: Denise Tratta​​​​​​​

Im weitesten Sinne geht es hier auch um die gesamte Subkultur, Freie Szene und das Dauerbrenner-Thema „Fehlen von Raum für junge Kultur, Kunst und Kreativwirtschaft in Bozen und Südtirol“.

salto.music: Philipp, die Stadtverwaltung von Bozen hat die auf zwölf Stunden angelegte Veranstaltung „Occupy Museion” relativ kurzfristig um einige Stunden gekürzt. Wie hoch ist der Frustrationsgrad?

Philipp Kieser: Eigentlich sind wir sehr entspannt, fast schon dankbar, denn das was wir mit dieser Veranstaltung erreichen wollten, ist bereits vor der Veranstaltung eingetroffen: Und zwar, dass wir die Aufmerksamkeit auf die Situation und Interessen der elektronischen Musikszene gelenkt haben. Im weitesten Sinne geht es hier auch um die gesamte Subkultur, Freie Szene und das Dauerbrenner-Thema „Fehlen von Raum für junge Kultur, Kunst und Kreativwirtschaft in Bozen und Südtirol“. Und damit natürlich die verbundenen sozialpolitischen Themen wie Fachkräftemangel, Abwanderung und Braindrain, Sicherheit, Inklusion und Integration. 

salto.music: Nicht nur die Stadtverwaltung von Bozen sondern auch ein guter Teil der Presse scheinen Techno und elektronische Musik als Kunstform der Gegenwart nicht wirklich ernst zu nehmen. Im Gegenteil, Techno scheint ein Angstgegner zu sein...

Philipp Kieser: Die Diskussion in den Medien zeigt eigentlich schwarz auf weiß drei Dinge auf: Erstens herrscht innerhalb der Ebene der politischen und administrativen Entscheidungsträger eine Ignoranz (Nicht-Kenntnis) zu diesen Themen, es fehlt hier das integrale ganzheitliche Denken, Zusammenhänge werden nicht wahrgenommen. Ein Blick über den Provinz-Tellerrand kann hier schon mal helfen. Zweitens muss die Szene noch mehr in Aufklärungsarbeit investieren, klare Visionen und Handlungsvorschläge entwickeln und dafür auch gemeinsam und solidarisch eintreten. Der Druck muss von unten kommen! Drittens müssen endlich alle involvierten Interessengruppen an einen Tisch gebracht werden.

 

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Offene Türen für die junge Gegenwart: Das Museion in Bozen beschäftigt sich mit der alternativen Kultur und bietet dieser Raum. Foto: Asia De Lorenzi

 

salto.music: Mit „Occupy Museion” ist es euch gelungen 14 (!) aktive Kollektive aus allen Teilen Südtirols für eine gemeinsame Veranstaltung zusammenzuführen. Gerade das ist ein Zeichen dafür, wie relevant diese Musik in der Kultur hierzulande ist. Ist die Verordnung der Gemeindeverwaltung von Bozen (und die Reaktion der Presse) nicht ein Zeichen dafür, dass die Modernisierung Südtirols  nur eine Promo-Oberfläche ist, und unter dieser Oberfläche nach wie vor rückständig?

Philipp Kieser: Man kann sagen, dass die Lizenz-Verordnung sicher Frucht einer kurzsichtigen Denkweise ist. Es ist ja nicht so, dass wir in Bozen an jedem Tag Technoparty hätten, im Gegenteil, das Angebot ist seit Jahren rückläufig, auch weil Räume wie die ehemalige Halle 28 fehlen. 

Die Modernisierung oder Öffnung Südtirols hin zum oft bemühten Zukunfts-Ziel des „begehrtesten Lebenraums Europas“ muss integral und inklusiv erfolgen und auf allen möglichen Ebenen erfolgen. Dazu gehört auch die Debatte um Räume als relevante Komponente für die Entwicklung von Gesellschaften. Vorzeigemodelle wie der Ost-West-Club in Meran oder die BASIS im Vinschgau belegen was möglich ist. Natürlich erfahren auch diese etablierten Projekte immer noch Widerstand, aber immerhin hier wurde etwas auf die Beine gestellt, das soziale Transformation ermöglicht.

Südtirols Wirtschaft muss sich auch überlegen, wie sie Kultur und Subkultur unterstützen kann, um zu den dringend notwendigen Arbeitskräften zu kommen, für die dieses kulturelle Umfeld Teil der Lebensqualität ist.

Die Stadt Bozen beispielsweise muss – wie Klaus Widmann in einem Interview richtigerweise anmerkt – sich fragen, welche Richtung sie einschlagen will. Mit einseitiger Verbotspolitik wird man sich nicht als attraktive Uni-Stadt positionieren können. Meran muss sich hingegen fragen, wie der Spagat zwischen Tourismusdestination und hipper Kreativstadt gelingt, um kreative Köpfe zu halten beziehungsweise anzulocken. Südtirols Wirtschaft muss sich auch überlegen, wie sie Kultur und Subkultur unterstützen kann, um zu den dringend notwendigen Arbeitskräften zu kommen, für die dieses kulturelle Umfeld Teil der Lebensqualität ist.

Wir sprechen hier von einem sehr komplexen Unterfangen, da braucht es einen langen Atem, viel Dialog und dazu gehört auch die Aufarbeitung der für Südtirol sehr speziellen und noch nicht ausreichend aufgearbeiteten, kollektiven, generationsübergreifenden Traumata, Ergebnis einer bewegten Geschichte der letzten hundert Jahre.

 

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„Das Museion ist aktuell der einzige Ort, an dem unsere Kultur wirklich Raum erhält und wo auf Augenhöhe mit uns geredet wird.” Philipp Kieser über die Rolle des Museions in Bozen für Techno und elektronische Musik. Foto: Asia De Lorenzi

 

salto.music: Obwohl das Museion in gewisser Weise „nur” der Austragungsort ist, wurde es in der Presse gleich zum Organisator. Von euch ist kaum die Rede. Warum glaubst du ist das so?

Philipp Kieser: Das kann zum einen daran liegen, dass wir bis heute noch nicht gänzlich geeint nach außen hin auftreten, wir haben kein Gesicht, wie es z.B. andere Wirtschaftsverbände oder die Bauern seit Jahrzehnten tun. Unsere Szene ist relativ jung und sehr heterogen aufgestellt. Hier sehen wir großen Aufholbedarf, aber genau deshalb organisieren wir auch solche Events.

Allerdings kann auch gesagt werden, dass wir für die Themen und Bedürfnisse der jungen Menschen in Südtirol generell weniger Sichtbarkeit haben, sie vielleicht auch fahrlässigerweise ignorieren. Das ist für das soziale Gefüge sehr gefährlich!

Das Museion ist aktuell der einzige Ort, an dem unsere Kultur wirklich Raum erhält und wo auf Augenhöhe mit uns geredet wird. Was sagt das über eine Stadt wir Bozen aus?

salto.music: Ihr habt mit dem Museion und dem neuen Direktor Bart von der Heide schon seit gut einem Jahr einen Mitstreiter gefunden, der der elektronischen Musik und dem Techno Platz, Anerkennung und reflektierte Wahrnehmung bietet. Die „Dolomiten” findet dafür lediglich den abwertend vereinfachenden Titel „Techno-Tempel” dafür. Was sagst du dazu?

Philipp Kieser: Wir können uns für diese Betitelung nur bedanken, ein geschenkter Elfer ohne Torwart im Tor sozusagen. Bart van der Heide und mit ihm das gesamte Museion-Team, hat die Zeichen der Zeit erkannt und hat die Institution Museion mit viel Mut und Weitsicht geöffnet. Sicherlich trägt da auch der nicht von lokalen Filtern verfälschte Blickwinkel eines Betrachters, der aus dem Ausland nach Südtirol gekommen ist, dazu bei. Das Museion ist aktuell der einzige Ort, an dem unsere Kultur wirklich Raum erhält und wo auf Augenhöhe mit uns geredet wird. Was sagt das über eine Stadt wir Bozen aus?

Aber: Dieser Techno-Tempel in Bozen wird kommen und das sehr bald. Davon sind wir überzeugt. Die Diskussion um Nachtleben und Clubkultur, die ja immer wieder zyklisch aufkommt, hat jetzt Fahrt aufgenommen. Der Zeitpunkt ist günstig für Veränderung.

 

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„Der Underground ist kreativer Freiraum und Entwicklungsort, man kann von einem Korrektiv fern von Konventionen reden.”: In einer Konferenz am 24. September 2022 in der BASIS Vinschgau Venosta in Schlanders wird die Wichtigkeit der alternativen Kultur für die Gesellschaft thematisiert werden. Foto:Asia De Lorenzi

 

Die Pausen nutzen wir kreativ für Performance und Protest, sowie konstruktiv in Form eines offenen Dialoges von 17 bis 18 Uhr.

salto.music: Was macht ihr nun mit den geforderten Pausen, die ja eigentlich auch den Fluß der Veranstaltung unterbrechen. Werden die Sets der einzelnen Kollektive gekürzt? Verzichtet jemand auf den Gig?

Philipp Kieser: Wir mussten natürlich bei bereits geplantem Programm wieder alles umstellen. Die Pausen nutzen wir kreativ für Performance und Protest, sowie konstruktiv in Form eines offenen Dialoges von 17 bis 18 Uhr. Dazu wurden auch zahlreiche Personen aus Politik, Kultur und Verwaltung eingeladen.

Das vorgezogene Ende der Musik bereichern wir durch das Verlesen eines ersten Manifests, indem wir unsere Werte und Absichten verkünden und als Szene geeint auftreten.

salto.music: Hat dieser Widerstand seitens der Bozner Gemeindeverwaltung, einen Einfluß auf euer Denken? Werdet ihr Konsequenzen ziehen, euch wieder in den Untergrund zurückziehen? Oder beharrt ihr auf eurem Platz an der Öffentlichkeit?

Philipp Kieser: Wie gesagt, man kann sich eigentlich nur bedanken, strategisch gesehen hat sich unsere Ausgangsposition auf interessante Art und Weise verändert.

Der Underground ist kreativer Freiraum und Entwicklungsort, man kann von einem Korrektiv fern von Konventionen reden.

Wir werden wie immer beide Stoßrichtungen verfolgen. Der Underground ist kreativer Freiraum und Entwicklungsort, man kann von einem Korrektiv fern von Konventionen reden. Der öffentliche Raum ist ebenso wichtig, hier geht es vor allem um Partizipation am Gesamtbild Südtirols, wir wollen und werden mitreden, wir wollen hier feiern, wir wollen hier arbeiten, wir wollen hier leben.

Die nächste Etappe ist eine Konferenz am 24. September 2022 in der BASIS Vinschgau Venosta zum Thema „Einfluss und Wichtigkeit von Freiräumen und Clubkultur auf eine Gesellschaft“. Organisiert und kuratiert wird dies gemeinsam mit dem Kollektiv Space Of Urgency und besetzt unter anderem mit internationalen Experten z.B. Tresor Club / Stiftung (Berlin), Bassiani Club (Tiflis/Georgien). Außerdem wollen wir eine Fachstelle einrichten, welche gleichzeitig der Politik und Verwaltung beratend zur Seite stehen kann und gleichzeitig unsere Interessen vertritt.

Abschließend muss betont werden, dass wir auf Unterstützung unseres „Klientels“ – all die Kulturbegeisterten, Musikbegeisterten und Tanzwütigen sowie „produzierenden“ Künstler – aber auch der Gesamtbevölkerung (Stichwort Anrainer) angewiesen sind. Wir brauchen mehr partizipativen Dialog anstelle eines eindimensionalen Diskurses.

Der Erfolg ist Frucht einer emanzipierten Gemeinschaft!

 

„Occupy Museion”: Der aktualisierte Timetable:

Trotz Bremsklötze seitens der Gemeinde Bozen: „Occupy Museion“ findet heute, Samstag, 27. August 2022 (fast) wie geplant statt.
Trotz Bremsklötze seitens der Gemeinde Bozen: „Occupy Museion“ findet heute, Samstag, 27. August 2022 (fast) wie geplant statt. Grafik: Museion Bozen

 

10 - 11 h: Culture Assault / Ritual Tekno | Moira
11 - 12 h: La Famiglia | Ya Ria
12 - 13 h: Meranderground | DJ Solonchak

13 - 14 h: Verordnete „Anti-Noise”-Pause

14 - 15 h: Virus | Youdiditagain 
15 - 16 h: Scum | Oatm
16 - 17 h: Basis / Revoltekk | Insomniac

17 - 18 h: Verordnete „Anti-Noise”-Pause

18 - 19 h: Riot Club Culture | LoboChristian Rot
19 - 20 h: Atract / MIK | Bossifunk
20 - 20.45 h: Raum / Hospiz | DJ Fedl
20.45 - 21 h: Tanzen ist auch Sport | Lois Lane

21.30 - 22 h: THE SCENE | „Manifesto Proclamation”

 

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Seit Bart van der Heide die Leitung des Museions übernommen hat, erfährt auch der hiesige Untergrund konkrete Anerkennung: „Soundbath” war beispielsweise eine der Veranstaltungen, die lokale MusikerInnen eingebunden hat. Foto:Asia De Lorenzi

 

Links:

„Occupy Museion” Facebook-Event: https://www.facebook.com/events/8202362149806360
Art Club Museion: https://www.museion.it/artclub
Museion Bozen: https://www.museion.it/
Museion Instagram: https://www.instagram.com/museion_bz/

 

Kurzer Rückblick auf „Soundbath”: Eine Veranstaltung des „Museion Art Club” in Zusammenarbeit mit dem Museion in Bozen vom 8. April 2022. Video: Museion Bozen-Bolzano