Gesellschaft | Abseits

„Das Leben auf der Straße ist hart“

Ein junger Obdachloser erzählt von seinem Leben auf der Straße. Und was er von dem Video "Make the homeless smile" hält.
Homeless
Foto: Pixabay

Ivan ist 20. Ein Jahr hat er auf der Straße gelebt, von Slowenien hat er sich nach Südtirol durchgeschlagen, „meine Mutter hat mich nach der Geburt weggeben, dann bin ich bei meinen Großeltern aufgewachsen. Als ich 15 wurde  sind Opa und Oma gestorben. Dann bin ich zu meinem Onkel gekommen, irgendwann hat er mich rausgeworfen.“ Ivan spricht gut Deutsch, „hab ich mit Fernseh schauen gelernt“, sagt er, und Stolz schwingt mit, in seiner jungen Stimme. Acht Jahre Schulausbildung, gelernt hat er gern, „ja, ich kann auch englisch und italienisch ein bisschen“, erzählt er weiter. Mit grauer Trainerhose und lässigem T-Shirt sitzt er vor mir, in einer Südtiroler Anlaufstelle für Obdachlose. „Ich bin froh, dass ich jetzt hier bin, auch wenn ich schon bald wieder weiter muss.“ Ohne Wohnsitz kann Ivan nicht bleiben, bürokratische Mauern vermeiden Menschlichkeit.

Beschenken – ein Kontakt
Diese Mauern, dieses „organisatorische, dieses umständliche“ wollten drei junge SüdtirolerInnen vermeiden. „Wir wollten selbst aktiv helfen, wir wollten wissen wo die Sachen hinkommen, die wir spenden“, erzählt Benjamin Lechner, einer der drei Initiatoren, die „Make the homeless smile“ in Bozen umgesetzt hatten. Obdachlose werden mit Kleidung, Essen und einem Händedruck beschenken, auch die Tiere der Menschen, die zwischen Kartons und unter Brücken leben, werden versorgt. Dokumentiert wird das Ganze von einer Filmkamera. „Eine Freundin hat mir das Video, das auf youtube zirkuliert, gezeigt. Dort beschenken zwei Typen aus Amerika Obdachlose, also Homeless people. Ich war wirklich sehr gerührt und hab mir gedacht, wir könnten das auch bei uns in Südtirol machen.“ Mit Barbara Medei und Michaela Golser, alle drei machen sich privat für den Tierschutz stark, wurden Kleider gesammelt und Essen gekauft. „Viele von uns leben doch heute sehr egoistisch“, sagt Benjamin, er ist von Beruf Tanzlehrer. „Wir haben alles: ausreichend zu essen, ein Dach überm Kopf. Wenn jeder von uns mehr abgeben würde, dann hätten wir alle genug.“  

 

Irgendwo ist noch - Würde
Ivan ist gerüht, als er das Video "Make the homeless smile" sieht. In einem verfallenen Haus hat er gelebt, zwischen Ratten, ein Jahr lang. Südtirol ist schon lange mehr keine Insel der Seeligen. „Ein Freund hat mir einen Schlafsack geschenkt. Es war kalt, ich hatte Hunger, ja, es war eine schlimme Zeit.“ Ivan hat den Kopf gesenkt, da ist Scham, „keine schöne Geschichte zu erzählen.“ Auf der Straße herrschen andere Gesetze, Sicherheit gibt es keine. In Italien wurden 2012 knapp 50.000 Menschen statistisch erfasst, die kein Dach über dem Kopf haben. Die Dunkelziffer liegt wie immer um einiges darüber.

„Gut, dass die das Video gemacht haben“, sagt der junge Slowene, „aber ich glaube es wäre besser, wenn sie die Leute fragen, ob sie sie filmen dürfen.“ Respekt und Würde sind Fremdwörter, wenn Menschen ein Leben abseits der Gesellschaft führen. „Ich hab auch gebettel." Seine Stimme ist leise, „aber wie sollte ich denn überleben? Damit ich mir eine Wohnung leisten kann brauch ich mindestens 200 Euro. Und wie soll ich eine Arbeit finden, wenn ich stinke und mich nicht waschen kann?“

Immer mehr Menschen haben keinen festen Wohnsitz, und die Zahl der jungen Obdachlosen steigt.

Obdachlosengeschichten bei der "Arge für Obdachlose".

Was die Caritas in Südtirol für Obdachlose macht, lesen Sie hier.

Helfen nach Standard?
Die kontroverse Diskussion, die auf salto.bz um den Filmbeitrag der jungen Aktivisten entstanden ist, „Helfen soll auf respektvollere Art erfolgen“, überrascht Barbara Medei sehr. „Unter einer Brücke im Unrat liegend gefilmt zu werden“, sei alles andere als menschenwürdig, schreibt Sabina Frei. Medei ist 28, hat auf einer Amerikareise das Obdachlosenproblem so richtig wahr genommen, "da hab ich den Menschen auf der Straße bei Starbucks Kuchen gekauft, so hat für mich alles angefangen." Ihre Motivation schildert die Pustertalerin: „Der Sinn vom Film war, Menschen zu sensibilisieren. Hätten wir im Nachhinein einen Text geschrieben, wäre die Motivation von Nachahmern gleich Null gewesen. Wir wollen nicht uns, sondern Menschen in Not in den Vordergrund stellen.“ Benjamin Lechner bringt es klar auf den Punkt: „Respektloser als unseren Film finde ich, dass so viele Menschen tagtäglich an den Obdachlosen vorbei gehen. Weg schauen, jeglichen Kontakt vermeiden. Bei dem Radltag am Sonntag in Bozen sind Hunderte einfach vorbei gegangen an den den Obdachlosen. Niemandem ist eingefallen, ihnen etwas zu geben. Diese Menschen fühlen sich wie Dreck bei uns, sie werden ja nicht mal wahr genommen. Wir wollen mit unserer Aktion erreichen, dass alle hinschauen.“  

Was Benjamin, Barbara und Michaela meinen, ist Ivan klar, er erinnert sich: „Die Leute gehen an einem vorbei, das ist normal, sie wollen dich nicht sehen.“  Für die jungen Helferinnen war die Freude der Menschen Anlass genug um nicht aufzugeben und weiter zu machen. „Die Menschen auf der Straße waren so überrascht, dass jemand an sie denkt. Dass sie jemand wahr nimmt, ihnen einfach etwas gibt.“ Benjamin fügt hinzu: „Alle können nicht gut finden was wir tun, aber das ist uns eigentlich auch egal. Wir machen weiter.“ Am 13. Oktober sollen die Obdachlosen in Brixen beschenkt werden. Doch wer definiert, was menschenwürdig oder unwürdig ist? Wer möchte wem Hilfskompetenz absprechen?

Ivan hat sich heute in einem Vier-Sterne-S-Hotel im wunderschönen Südtirol vorgestellt, als Küchenhilfe. "Glaube nicht, dass sie mich nehmen. Sie haben gesagt, lieber sind ihnen die Einheimischen." Dann schaut Ivan mich an und sagt: "Vielleicht wissen Sie Arbeit?" Ich denke nach, die Frage lässt mich nicht los und ich gebe sie weiter, die Frage: "Weiß jemand Arbeit für Ivan?"

Bei der Obdachlosentagung im Januar 2013 in Nals wurden 54.000 Obdachlose in Italien erwähnt. 63,9% davon haben davor in eigener Wohnung gelebt, 20 Prozent sind Langzeitobdachlose. Die durchschnittliche Verweildauer auf der Straße beträgt in Italien fünf Jahre. Mehr Zahlen im Bericht der Südtiroler Caritas http://www.caritas.bz.it/de/themen/armut-in-s%C3%BCdtirol/77-467.html. 250.000 Menschen ohne Wohnung sind es in Deutschland, mehr dazu im Bericht von Günther Wallraff http://www.stern.de/kultur/tv/tv-reportage-wallraff-macht-den-obdachlos….

Fr., 27.09.2013 - 14:55 Permalink

Laut Auskunft von Josef Schwarz von der Obdachlosenstelle in Brixen ist die Obdachlosigkeit in Italien ein großes Problem. "50.000?" fragt Schwarz, "ich denke es ist ein Zehnfaches davon." Ganze Viertel in Rom seien von der Obdachlosigkeit betroffen, "illegale Einwanderer werden ja nicht registriert, und genau diese leben meist auf der Straße. Alles was nicht existent ist, wird statistisch nicht berücksichtigt", sagt Schwarz.

Mo., 30.09.2013 - 14:21 Permalink
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Karl Nickel Fr., 27.09.2013 - 10:01

Vorausgeschickt: Ich bin der Überzeugung, dass die drei Beteiligten beste Absichten bei der Aktion hatten und möchte mit meiner Kritik keinesfalls andeuten, dass sie das gefälligst zu unterlassen hätten. Da in mir aber der Eindruck entstanden ist, dass das Ganze sehr aus dem Bauch heraus kommt, wärs vielleicht hilfreich, darüber auch mal nachzudenken.
Ich teile die Kritik von Sabine Frei und Urban Nothdurfter aus den Kommentare zum Video im anderen Artikel. Vielleicht machen meine Assoziationen anschaulicher, was bei dem Projekt schief läuft:
- großherzige Weiße helfen armen Negerlein in Afrika.
- erinnert zumindest in Bild und Ton stark an RTL-Elends-Formate.
- ich mache eine Reise nach Indien und fotografiere für mein Facebook Album ungefragt Bettler auf der Straße.
Ich glaube, es ist nicht alles gut, was Geld (Essen, Kleidung, Aufmerksamkeit..) bringt. Starbucks-Kuchen an die Armen zu verteilen erinnert auch eher an Marie Antoinette als an Mutter Theresa. Keine Lust bürokratische oder organisatorische Hürden zu nehmen um Helfen zu können zeugt nicht unbedingt von nachhaltiger Hilfeleistung.
Ich bin sicher, ihr habt ein hohes Maß an sozialem Engagement. Wenn ihr es ernst damit meint, solltet ihr es besser in andere Projekte investieren.

Fr., 27.09.2013 - 10:01 Permalink
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Barbara Medei Fr., 27.09.2013 - 13:44

Dass sie die Aktion im Grunde nicht absolut negativ sehen, höre ich gerne, aber bezüglich der Kritik ist es so, dass offensichtlich im Allgemeinen nicht verstanden wird, was Aktivismus bedeutet.
Ich mache ein Beispiel: Sie sehen, wie ein Mensch auf offener Straße einen Hund misshandelt. Was machen Sie? Sich sein Gesicht merken (aus Privacy Gründen soll man ja keine Fotos machen), und Anzeige erstatten (wo viel Zeit vergeht und gar nix passiert), oder machen Sie ein Beweisvideo, und stellen den Menschen zur Rede (und bringen den Hund in Sicherheit?). Deshalb warten wir nicht auf Papierkram. Jede Institution weiß über das Obdachlosenproblem Bescheid. Warum passiert trotzdem nichts?
Wir haben zahlreiche Aktionen gemacht, von denen kein Mensch weiß, was schon bedeutet dass wir nicht im Rampenlicht stehen wollen. Wir sind nicht die "guten weißen", sondern möchten andere Menchen dazu anregen, sich wenigerr egoistisch zu verhalten, und bedürftigen Menschen und Tieren zu helfen (egal ob Obdachlose, misshandelte Tiere usw), was uns auch gelungen ist. Denn: wer beim Vorbeigehen 1 Euro in den Becher wirft um ein reines Gewissen zu haben, löst das Problem sicher auch nicht.
Die Starbucks Aktion habe ich beispielsweise auch nicht gefilmt. Man sitzt im warmen mit einem Kaffee, und vor der Tür sitzen Menschen mit einem Schild. Für mich ist es selbstverständlich ihnen etwas mit zu bringen und ihnen einen schönen Tag zu wünschen. In den USA ist so etwas normal.
Was ich mich aber am meisten beschäftigt ist, warum hunderte Menschen diese Aktion machen, alle sind begeistert und machen es nach, und bei uns in Südtirol wird es gleich polemisiert?

Fr., 27.09.2013 - 13:44 Permalink
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Karl Nickel Fr., 27.09.2013 - 16:42

Antwort auf von Barbara Medei

Ich meine dass eure Aktion eben nichts weiter ist, als jemandem 1e in den Becher zu werfen. Wenn ihr nachhaltiger Helfen möchtet, gibts von Caritas bis Vinzenzverein genug Anlaufmöglichkeiten um die Probleme der Obdachlosigkeit etwas grundlegender anzugehen. Versteh mich nicht falsch, wenn ihr eure Talent eher darin seht, auf die Problematik mit Film, Foto, Text aufmerksam zu machen, dann finde ich das ebenfalls förderlich. Man sollte sich dann aber schon Gedanken drüber machen, was man tut. Hab mir einige der Videos angesehn und eures passt da ja perfekt in die Reihe. Natürlich findet eine Aktion, die in der Art aufgezogen wird, schnell und viele Nachahmer. Die Videos drücken alle auf die Tränendrüse, sprechen eine breite Schicht Menschen an und man kann sie leicht nachahmen. Ein Paar Bananen und Brote und alte T-Shirts sind schnell gefunden, jedes Handy hat eine Videokamera. Man kann sich also mit ganz wenig Aufwand ein sehr gutes Gefühl verschaffen und bekommt übers Netz viel Bestätigung (von Leuten die zwischen zwei "lustige Kätzchen Videos" mal schnell Lust auf was "tiefgründigeres" haben). Solche Aktionen sind allerdings sehr schnell wieder out wie Harlem Shake und Konsorten. Und dann? Für ein kurzfristiges gutes Gefühl geholfen zu haben nimmt man Menschen das letzte bisschen Würde indem man sich nicht auf Augenhöhe mit ihnen auseinandersetzt, sondern sie in ihrem größten Elend schlafend im Dreck filmt, während man ihnen eine Banane hinlegt, nachdem man das Video mit "Animal Friends present" eingeleitet hat. Ich wiederhole, ich bin mir absolut sicher, dass ihr das alles im guten Willen gemacht habt, aber kann man da nicht mal vorher drüber nachdenken?

Fr., 27.09.2013 - 16:42 Permalink
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Karl Nickel Fr., 27.09.2013 - 16:45

Antwort auf von Barbara Medei

Ich bin mir sicher, dass die Aktion nicht nur in Südtirol kritisiert wird. Auf Youtube oder Facebook sollte man vielleicht weniger nach kritischen Stimmen suchen, da gehn sie leicht unter..

Fr., 27.09.2013 - 16:45 Permalink
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Barbara Medei Fr., 27.09.2013 - 23:00

Was ich schon in einem anderen Kommentar erwähnt habe: wir haben eine Facebook Gruppe die "Animal friends Südtirol heißt", das hat gar nichts mit der Aktion zu tun. Dreht Greenpeace oder WWF ein Video, sagt kein Mensch etwas darüber wenn es im Video steht. Machen es "Youngsters" wie wir fälschlicherweise bezeichnet wurden, ist es ein Skandal. Ich persönlich würde mich niemals einem Verein wie Caritas anschließen, auch weil ich zu 99% meiner Freizeit mich um Tiere kümmere, und es auch dort genügend Skandale gegeben hat. Diese Aktion sollte zeigen, genau wie Sie sagen, wie schnell und "günstig" man jemanden direkt helfen kann. Ohne Zwischenmännchen oder Institutionen.
Selbstverständlich passen wir in die Reihe, wir haben nix anderes gemacht als uns dem Projekt an zu schließen. Warum auch nicht? Ich glaube- und bitte verstehen Sie es nicht falsch- dass unsere Generation auf andere Art und Weise mit solchen Themen umgeht. Wir ticken nun mal anders, und es denken immer mehr junge Leute in diese Richtung.
Was passiert, wenn Caritas Kleidung austeilt? Ist genau das gleiche, wahrscheinlich auch nicht viel. Sie leben immer noch auf der Straße.
Es geht nicht um unser Gefühl geholfen zu haben, sondern um ihr Gefühl, beachtet worden zu sein. Wenn Menschen nicht solche Bilder sehen wollen, hätte ich laut Aktivistenmanier einen Vorschlag: ändert die Situation, nicht die Bilder, denn sie sind pure Realität.
Wir haben nachgedacht, und zwar folgendes: Was können wir in unserem kleinen tun, um Menschen die nicht so viel Glück im Leben hatten, zu helfen? Stellen Sie sich vor, jeder einzelne Mensch der auf diese Videos stößt, hilft einem einzelnen Menschen, oder hält auch nur eine Weile an um zu quatschen.... Es gäbe viel weniger Probleme auf der Welt, wenn jeder nett zueinander wäre, fangen wir endlich damit an ;)

Fr., 27.09.2013 - 23:00 Permalink
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Karl Nickel Sa., 28.09.2013 - 00:11

Antwort auf von Barbara Medei

Naja, Greenpeace oder WWF würden wahrscheinlich keine Aktionen starten, die nicht mit Tier- oder Umweltschutz zusammenhängen. Es wirkt halt befremdlich, wenn man als Tierschützer eine Aktion präsentiert, die mit der Menschenwürde von Obdachlosen nicht grad sensibel umgeht.. Aber das ist ja eigentlich auch nicht das Hauptproblem..
Ich bin grad mal ein Jahr älter als du, also denke ich, ich weiß ganz gut, wie unsere Generation tickt ;)
Wenn jeder nett zueinander wär, wärs sicher viel netter. Wenn die Katze eine Henne wär, würde sie Eier legen. Weils nicht so ist, sollte man sich halt lieber auf die Realität konzentrieren, wenn man was verbessern will..
Wir werden hier wahrscheinlich nicht auf einen grünen Zweig kommen, aber das macht auch nichts. Vielleicht konnte ich dich zum Denken anregen, ihr habt mich jedenfalls zum Denken angeregt. Vielleicht nicht in der Form wie ihr euch das vorgestellt habt, aber das macht auch nichts.

Sa., 28.09.2013 - 00:11 Permalink
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Andreas Dibiasi Fr., 04.10.2013 - 14:20

Dennoch wundert es mich es mich, dass es dazu keine offiziellen Schätzungen gibt. Auf jeden Fall interessant. Danke.

Fr., 04.10.2013 - 14:20 Permalink