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Der Fluch der Ursula

Bei der Besetzung ihres Kommissions-Teams kommt Ursula von der Leyen jene Paketlösung in die Quere, die sie erst an die Spitze der Kommission brachte
Ursula von der Leyen
Foto: EU Parliament Photo

Kaum aus der Sommerpause zurück, geht es in der EU Kommission um die Wurst. Ursula von der Leyen hat die Ressorts und Kommissare vorgestellt, die in den kommenden Wochen vom Parlament untersucht, und abgesegnet werden müssen. Bis Ende Oktober soll die Entscheidung des Parlaments stehen, damit die Kommission ab 1. November ihre Arbeit aufnehmen kann. Nicht wenige Nominierungen werden kontrovers im Parlament diskutiert. Es hagelt Kritik von den Parteien: einige Kandidaten seien fragwürdig, weil zu europaskeptisch, so manch eine Ressortbezeichnung gehöre sich nicht, weil rassistisch konnotiert. 

Journalisten und Experten sind verwirrt über die Richtung der neuen Kommission. Einerseits enthält sie progressive Elemente, zum Beispiel schrieb von der Leyen Klimaschutz an die Spitze der Kommissionsagenda, und besetzte die Hälfte ihres Teams mit Frauen. Andererseits gewährte sie umstrittenen Kandidaten aus der nationalistischen Fraktion erhebliche Machtpositionen, und gab einigen Ressorts fragwürdige populistische Namen.

Laut dem Professor für Europastudien Stefano Braghiroli liegt diese ideologische Spaltung an dem pragmatischen Deal, der von der Leyen letzten Sommer bei der Wahl zur Kommissionschefin erst an die Macht brachte. Um genügend Stimmen vom Parlament zu erhalten, musste von der Leyen Interessen aus sehr unterschiedlichen Lagern befrieden und hatte deshalb das Blaue vom Himmel versprochen. Diese Interessen seien aber schwer zu vereinbaren, was sich nun in der Parlamentsdebatte widerspiegele: „Von der Leyens Mehrheit besteht nicht, wie bei „großen Koalitionen“ üblich, aus dem mittelinks-und mitterechts Lager allein, sondern geht durch alle politischen Reihen, bis in die äußersten ideologischen Ränder,“ so der Europaexperte Braghiroli. Diese ideologische Spaltung sei eine Art Fluch, und würde von der Leyen auch in Zukunft zwingen, für jeden neuen Beschluss eine neue Mehrheit zu suchen: „Ich bin sicher, dieser Ursula Fluch wird sich noch öfter in den Weg der Kommissionspräsidentin stellen. Denn wenn du dem einen Lager eine Sache versprichst, musst du dem anderen im Gegenzug etwas zurückgeben. Von der Leyen wird also immer wieder mühsam eine neue Mehrheit aus unterschiedlichen Lagern zusammenstellen müssen, um ihre Politik zu stützen.“

 

Von der Leyens Mehrheit geht durch alle politischen Reihen. Diese ideologische Spaltung ist ein Fluch für von der Leyen

 

Dieses „wie du mir, so ich dir Prinzip“ zeigt sich bei kontroversen Nominierungen. Die rumänische Kandidatin Rovana Plumb ist mit Korruptionsvorwürfen behaftet, gegen den polnischen Vertreter der Kommission Janusz Wojciechowski  laufen Ermittlungen wegen fragwürdiger Finanzierungen. Dennoch genehmigte von der Leyen diese Namen. Braghiroli führt auch diese pragmatische Entscheidung auf den „Ursula-Fluch“ zurück: „Ich glaube nicht, dass am polnischen Kommissar oder der rumänischen Kandidatin gerüttelt wird, denn das Parlament will die fragile Koalition um von der Leyen erhalten. Wenn ein Kommissar aus einem Lager nicht durchkommt, wird ein Kandidat aus einem anderen Lager ebenso abgelehnt werden. Das heißt, fällt einer, fallen alle.“ 

Dieser nötige Pragmatismus führe dazu, dass die Kommission am Ende höchstwahrscheinlich abgesegnet werden wird, schätzt Braghiroli: „Das Parlament wird versuchen, ein Gleichgewicht zu finden, indem es entweder den Kandidaten ein anderes Ressort vorschlägt, oder nochmals genauer nachprüft. Bereits bei acht der vorgeschlagenen Kommissare hat das Parlament zusätzliche Informationen angefragt, die mit finanziellen Aspekten und Transparenz, teilweise auch Lobbyismus zu tun haben. Diese Hindernisse werden am Ende aber überwunden werden.“

 

Wenn ein Kommissar aus einem Lager nicht durchkommt, wird ein Kandidat aus einem anderen Lager ebenso abgelehnt werden. Das heißt, fällt einer, fallen alle.

 

Ein weiterer Streitpunkt ist der ungarische Kandidat. Der ehemalige Justizminister Laszlo Trocsanyi habe in Ungarn rechtsstaatliche Prinzipien ausgehebelt, und sei daher nicht geeignet, das Ressort für europäische Nachbarschaftspolitik zu besetzen, so lautet der Vorwurf. Professor Braghiroli überrascht die Kritik nicht: „Jeder Kandidat aus Ungarn wäre wohl umstritten, denn er entspräche der euroskeptischen Weltanschauung der ungarischen Regierung." Das Heikle an der Sache, so Braghiroli, sei die Tatsache, dass Ungarn ausgerechnet das Ressort für Nachbarschaftspolitik besetzen soll: „Es geht bei der Nachbarschaftspolitik mit Ukraine, Moldau und Georgien darum, durch Anreize wie Visaerleichterungen, Zugang zum EU Binnenmarkt usw. die Länder dazu zu bringen, Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie umzusetzen. Da Ungarn selbst nicht allzu viel von diesen Prinzipien hält, wird die Regierung weniger Druck auf diese Länder ausüben, was deren Reformprozess nochmal verlangsamt.“ Zusätzlich gehöre Ungarn zu jenen Staaten, die Russland am nächsten stehen, erklärt Braghiroli weiter: „Und dass Russland mit keinem sehr guten Auge auf die Östlichen Partnerschaften der EU blickt, ist bekannt.“ 

Besonders kontrovers diskutiert wurde das neu definierte Ressort für Migration, das nun „Zum Schutz des europäischen Lebensstils“ heißen soll. Für viele Kommentatoren ist dies ein Geschenk an rechtsextremen Parteien. Laut Braghiroli geht es weniger um die Namensgebung, denn dieser „europäische Lebensstil“ würde in vielen Strategiepapieren und Verträgen der EU als Oase der Wohlfahrt, des Friedens und Sicherheit dargestellt. „Es geht aber darum, welche Hauptaufgaben dem Kommissar dieses Ressorts zugeteilt werden. Es geht hier darum, Migrationsbewegungen als ein Sicherheitsproblem darzustellen, und das ist das Kontroverse daran. Denn damit legitimiert man populistische Stimmen und riskiert, ihnen die Tür zur politischen Mitte zu öffnen.“ Aber nicht nur in diesem Fall, auch bei anderen Ressorts wunderten sich viele Parlamentarier über die unübliche Namensgebung, gibt Braghiroli zu denken: „Viele fragten sich, was mit „Ressort für Wirtschaft zum Wohle der Menschen“ gemeint ist. Ich glaube, es ging von der Leyen darum, die Arbeit der Kommission den Menschen näher zu bringen.“

 

Ich glaube, es ging von der Leyen darum, die Arbeit der Kommission den Menschen näher zu bringen.

 

Dies sei ein essentielles Element, um ein Erstarken populistischer Kräfte zu vermeiden. „Für die Hälfte der Bürger ist die EU nicht legitim, weil sie zu viel macht, für die andere Hälfte, weil die EU nicht genug macht. Dies alles ist darauf zurück zu führen, dass niemand versteht, was die EU eigentlich macht. Aus diesem Grund muss das Gefühl bei den Bürgern gestärkt werden, dass die EU etwas Konkretes für jeden Einzelnen macht.“

Ob es der Kommission in dieser Amtszeit gelingen wird, den Bürger von der Legitimität und Transparenz der EU zu überzeugen, wird sich in den kommenden vier Jahren zeigen. Zunächst aber muss die Hürde es EU Parlaments überstanden werden. Aus der Entscheidung Ende Oktober wird klar werden, ob sich die „pragmatische Paketlösung“ zum Vorteil von der Leyens entpuppt, oder doch nur ein ewiger Fluch bleibt.