Kultur | SALTO AFTERNOON

Post Punk Mythologien

Nach fast 30 Jahren beim Musikduo Daft Punk, das viel geliebt wurde und wird, seinem Sound somit treu bleiben musste, versucht sich Thomas Bangalter an Orchesterklängen
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Foto: Tiberio Sorvillo/Transart
  • Mit „Mythologies“ war beim Festival Transart eine Hälfte eines Ganzen, die Musik einer gleichnamigen Ballet-Aufführung unter der choreografischen Leitung Angelin Preljocajs, zu hören. Zu den Instrumenten griff im Noi-Techpark das Haydn Orchester, nach dem Taktstock Lee Reynolds.

    Gut, es ist nicht das erste Mal, dass Thomas Bangalter, der gemeinsam mit Guy-Manuel de Homem-Christo 1993 Daft Punk aus der Taufe hob, Berührungspunkte mit Klassik - zu dieser möglichen Einordnung später mehr - oder Berührungspunkte mit Orchester-Arbeit hatte. Da wäre etwa Bangalters Kompositionsarbeit am französischen Spielfilm „Irreversible“ von 2002, der besonders durch seine Darstellung (sexueller) Gewalt für den einen oder anderen Skandal in Cannes und Co. sorgte. In der Tonspur bewies er als Filmmusiker eine große Bandbreite, Teile des Soundtracks wanderten weiter in „Midnight Club II“, ein Autorennspiel, andere - das Adagio aus Mahlers 9. Symphonie und das, in der Filmmusik sehr beliebte Exzerpt des Allegrettos aus Beethovens 7. Symphonie. Editiert hat Bangalter diese Versatzstücke ausgesprochen behutsam, er unterstrich mit der damals modernen Computertechnik vorwiegend Laut-Leise-Dynamiken in den klassischen Stücken, hob lediglich deren Wirkung hervor und passte den Kontrast an moderne (Kino-)Sensibilitäten an.

    „Mythologies“ ist ein anderer Zugang zur Orchesterarbeit, einer der ex-novo, bei der Komposition beginnt. Schlug der Choreograph Preljocajs dem Musiker Bangalter anfänglich auch vor, auf einen Mix von Orchesterklängen und elektronischen Elementen zu setzen, so entschied sich der Komponist bewusst für eine rein orchestrale Komposition und Umsetzung. Herausgekommen sind 23 Stücke, die es zusammen auf fast 90 Minuten Spielzeit schaffen und deren Länge von etwa 80 Sekunden bis fast siebeneinhalb Minuten variiert. Für Thomas Bangalter dürfte das Projekt auch ein persönlicher Befreiungsschlag gewesen sein, legte er in dessen Umfeld doch auch erstmals die unverkennbare Maske der Band ab. „Ci ha messo la faccia.“, würde es auf Italienisch wohl heißen.

  • Mythologies, Thomas Bangalter: Sanfter Auftakt mit einer prominent im Szene gesetzten Harfenistin und träumerischen Klängen Foto: Tiberio Sorvillo/Transart
  • Was an dem Abend vielleicht mehr als alles andere irritiert hat (oder irritiert wurde), waren die Erwartungshaltungen des Publikums. Den Fans von Daft Punk fehlte bei den Stücken die letzte Eskalation, der Exzess, die Liebhaber von klassischer Orchestermusik sahen sich mit Stücken konfrontiert, die zu viele Ideen zu wenig miteinander verknüpften. Wiederholungen legitimieren und sind auch in der Entstehung von Mythen ein grundlegendes Motiv, das zur Geburt und Weiterentwicklung, im mündlichen Erzählen mit Abwandlung, von Geschichten essenziell ist. Im Einzelnen eignet sich die Bangaltersche Auswahl an Orchesterstücken bestens als Film- oder eben Ballettmusik.

    Beim Konzert des Haydn Orchesters unter der Leitung Reynolds entstand das Gefühl, dass eine Bildebene fehlte. Darüber konnte auch der ausgesprochen expressive Duktus des Dirigenten, der von seinen Musikern ebenso große Ausdruckskraft forderte, nicht hinwegtäuschen. Waren die harmonischen Passagen der Stücke zuckersüß und über-romantisch, so waren es vor allem die dunkeln, kratzenden und polternden, das Schlagwerk (etwa Pauke und Triangel unisono) in voller Kraft ausspielenden Passagen, oder die Bässe strapazierenden Stückanfänge, raue und martialische Hörner, die das Publikum gerade aufsitzen ließen und hellhörig machten. Hier war die Komposition Bangalters am originellsten, gemessen an der gesamten Länge des Abends hatte aber klar die lichte, verspielte und harmlose Seite der Mythologien überhand. An der Stelle, wo es am spannendsten wurde, brach das Stück wieder ab, oder in sich zusammen, oder schlug eine sanftere Version des Motivs vor.

  • Mythologies, Thomas Bangalter: Stellenweise war der Duktus von Dirigent Lee Reynold fast tänzerisch, jedoch immer fordernd und mit voller Hingabe Foto: Tiberio Sorvillo/Transart
  • Dann folgt ein neues Stück aus dem Soundtrack zu abwesender Bewegung. Gerade wenn der Ton sich verschärft und die Musik zu schnelleren Tempi ansetzt, klingt das ein wenig nach der Musik eines Fantasy-Films, etwa einem Teil der Vertonung der Herr der Ringe Trilogie durch Howard Shore. Hinlänglich bekannt ist, dass solche Filmmusik gern aus dem Fundus der Klassik schöpft, aber die erste Assoziation bei Bangalters Stücken ist nun mal eher Fantasy als Klassik.

    Zu wenig sind die Stücke untereinander verbunden - von „Les Gémeaux“ (Die Zwillinge) I und II abgesehen - die an Stelle 4 und 20 doppelt anklingen dürfen, aber ohnehin als kürzeste Stücke des Abends wenig Entwicklung fassen können. Persönlich verwunderlich an dem Abend ist für mich damit, dass viele mögliche Ausgangspunkte für eine beginnende Entwicklung oder Wachstum durchschimmern. „Mythologies“ ist als Hörerlebnis mehr mit einem selektiven Lesebuch mit Kapitelgliederung wie Gustavs Schwabs „Sagen des klassischen Altertums“ vergleichbar, denn mit einer großen Einzelmythologie, in welcher sich Beziehungen und Ränke der einzelnen Götter- und Heldensagen miteinander verweben.

    Der Titel „Mythologies“ ist ja auch im Plural gesetzt und die Zersplitterung in viele kleine Mythenwelten ist sicherlich zeitgemäßer, einem modernen Mythenverständnis entsprechender, wo sich Glauben und Religion ein Stück weit individualisiert und von Institutionen fortentwickelt haben. Musikalisch ist es für einen Konzertabend dabei vielleicht weniger zufriedenstellend, wenn man immer wieder das Gefühl hat, dass etwas beginnt, ohne dass es dann zu etwas führt. Es wurde für Thomas Bangalter eine radikale Abkehr von allem, was die Musik von Daft Punk ausgemacht hat, hin zum Anti Punk. Auf der anderen Seite, was ist mehr Punk als die Unterwanderung der Erwartungshaltung (fast) aller?