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Gesellschaft | Pollo der Woche

Le SAD c'est moi

Die SAD hat Jahrzehnte lang gut funktioniert. Seit das Unternehmen Ingemar Gatterer gehört, ist aber der Ausnahmezustand in Südtirol ausgebrochen.
Es sind drei Zeilen, die am Donnerstag in der Salto-Redaktion eintrudeln. Es ist ein Schreiben von Ingemar Gatterer an die CGIL/AGB-Gewerkschafterin Anita Perkmann, die am Tag zuvor auf Salto.bz in einem Interview über die Zustände in der SAD und den angekündigten Streik gesprochen hatte.
Die zentrale Botschaft der Gatterer-Depesche: „ Im heutigen Salto-Artikel „vogliono solo fare cassa“ haben Sie eine Reihe von Verleumdungen gegen meine Person angemerkt. Ich habe meine Rechtsanwälte daher beauftragt, gegen Sie und das Portal „Salto“ eine Anzeige zu prüfen.
Die Mail ging nicht nur an Salto.bz, sondern zur Kenntnisnahme gleich an den Landeshauptmann, den Landesrat für Mobilität, die zuständigen Abteilungsleiter und Amtsdirektoren.
Noblesse oblige.
Was aber hatte die CGIL-AGB-Gewerkschafterin an angeblichen Verleumdungen geäußert? Anita Perkmann sprach im Interview unter anderem von der „Präpotenz und Arroganz des Herrn Gatterer“.
Dass das keine Beleidigung sein kann, sondern eine sehr nüchterne Beschreibung der Realität, erlebt halb Südtirol seit rund einem Jahr. Ingemar Gatterer, Doppeldoktor, Schlossbesitzer und seit dem Frühjahr 2016 Herr und Hauptaktionär des Transportunternehmens SAD, versetzt das Land in eine Art Ausnahmezustand. Der junge Mann führt Krieg gegen Millionen unsichtbarer Feinde.
Dabei hat der SVP-Obmann von Pfalzen anscheinend die Orientierung verloren. Nur so ist verständlich, dass der Akademiker immer wieder allgemeine politische Anliegen mit reiner privater Gewinnmaximierung verwechselt. Denn Gatterer tut so, als würde das Südtiroler Volk und die Autonomie sich auf einem Todesmarsch befinden, wenn seiner Firma auch nur eine Buslinie genommen wird.
Vor allem aber legt der Pusterer Akademiker dabei ein Auftreten und ein Benehmen an den Tag, die das genaue Gegenteil jener englischen Schule sind, von der der Pfalzner Dandy zu träumen scheint.
„Gatterer tut so als, würde das Südtiroler Volk und die Autonomie sich auf einem Todesmarsch befinden, wenn seiner Firma auch nur eine Buslinie genommen wird.“
Die „Società Automobilistica Dolomiti“, kurz SAD, wurde 1927 gegründet. Nach dem Krieg wurde die SAD spätestens mit der Übernahme der FEAR, die die Seilbahn Ritten, die Zahnradbahn auf die Mendel und die Busverbindungen von Bozen ins Überetsch führte, zum marktbeherrschenden Südtiroler Transportunternehmen.
Die jüngere Geschichte der SAD ist dabei unteilbar mit einem Mann verbunden: Piero Maccioni. Der Mailänder Geschäftsmann ist ein Genie. Maccioni ist der Vater des Südtiroler Nahverkehrs. Der Unternehmer mit den besten Beziehungen zu allen politischen Parteien hat still und leise aus der staubigen SAD ein Vorzeigeunternehmen gemacht.
Kein DC-Assessor hat Südtirols Nahverkehr geplant, sondern Piero Maccioni. Sein genialer Schachzug dabei war die Tatsache, dass die ganze Welt glaubte, die SAD sein ein öffentlicher Betrieb. In Wirklichkeit war Maccioni nicht nur Hauptaktionär der SAD, sondern er hatte eine Reihe anderer Firmen gegründet, die als Dienstleister für die SAD arbeiteten. Maccioni verdiente Milliarden Lire dabei. Doch sein Kind funktionierte fast so wie eine Schweizer Uhr.
Vor allem aber blieb Pietro Maccioni unsichtbar und diskret. Es gibt kaum Fotos von ihm und fast niemand wusste damals, wer er war und was ihm gehörte. Der Mann hielt sich bewusst zurück. Als ich 1992 im „Südtirol Profil“ erstmals in einer großen Titelgeschichte die Hintergründe und Firmen der SAD enthüllte, staunten selbst ranghohe Politiker. Sie kannten diese Zusammenhänge nicht. Nach Erscheinen des Artikels musste ich mit Piero Maccioni und dem ehemaligen DC-Landesrat Giancarlo Bolognini im Bozner „Laurin“ einen Whisky trinken. Es war eine skurrile Veranstaltung. Aber die Herren hatten Stil.
 
2016 hat Ingemar Gatterer die Mehrheit an der „SAD Nahverkehrs AG“ übernommen. Maccioni - selbst ohne Nachfolger - hatte dem Spross des Pfalzner Busunternehmens Gatterer seine Anteile und Unternehmen verkauft.
Seitdem ist alles anders. Es vergeht keine Woche, in der Ingemar Gatterer nicht mit einer großen Stellungnahme in den Medien auftaucht. Auch hat es im letzten Jahr wahrscheinlich mehr Streiks und Unruhe bei der SAD gegeben -  als in dreißig Jahren unter Macconi. Die nahende Neuausschreibung des Südtiroler Nahverkehrs scheint Gatterer nervös zu machen. Weil ausgerechnet der Europarechtler und Chef der SVP-Bezirksobmänner Christoph Perathoner im Nebenjob SAD-Präsident ist, gefällt sich die neue SAD-Führung darin, die Südtiroler Politik und die Öffentlichkeit mit Expertisen zum EU-Vergaberecht zu beglücken.
Anstatt zu schauen, ob die Busse pünktlich fahren, wollen Gatterer & Co große Politik machen. Dabei ist die Rolle des selbsternannten Landesrates für Transport dem Pusterer Unternehmer schon längst zu eng. Als Pfalzner SVP-Obmann mischt er sich in die Diskussion um die Verfassungsreform ein und fordert öffentliche Entschuldigungen für eine angebliche Majestätsbeleidigung gegen Luis Durnwalder. Diesen hat Gatterer, bauernschlau, als Berater in seine Unternehmen aufgenommen.
Ingemar Gatterer verwechselt die SAD mit einem Landtags- oder Regierungsmandat. So jedenfalls tritt er auf. Weil Krieg herrscht, gibt es dabei nur mehr Freunde und Feinde. Und auf die Feinde wird geschossen. An jeder Front.
„Anstatt zu schauen, ob die Busse pünktlich fahren, wollen Gatterer & Co große Politik machen.“
Es gibt kaum eine Stellungnahme, in der Gatterer nicht mit dem Anwalt und mit rechtlichen Schritten droht. Ganz gleich, wer sein Gegenüber ist. Der Landeshauptmann, Beamte, Journalisten oder einfache Männer und Frauen. Und er erstattet die Anzeigen dann auch. Wenn das so weitergeht, muss man am Landesgericht für die SAD und Gatterer eine eigene Sektion einrichten.
Was aber alles schlägt, ist das Auftreten des jungen Mannes. Gatterers Glück dürfte es sein, dass die Landesbeamten dem Berufsgeheimnis verpflichtet sind. Würden diese ihre Beobachtungen und Erlebnisse öffentlich machen, würde ein für die Verhaltensforschung mehr als interessantes Psychogramm herauskommen.
Ingemar Gatterer tritt mit einer Hybris und einer Gutsherrenmentalität auf, die einmalig sind. Der Mann glaubt, dass die Welt nur aus willfährigen Dienern besteht. Seine Forderungen sind nicht nur maßlos, sondern auch unverschämt.
So verlangten Gatterer und seine SAD in den Verhandlungen um die Datenplattform SII nicht nur einen zweistelligen Millionenbetrag, der SAD-Besitzer wollte zudem auch ein bestimmtes Defregger-Bild aus der Unterberger-Sammlung des Landes. So als wäre es das normalste auf der Welt, bei der öffentlichen Verwaltung einen Bestellschein abzugeben. Es lebe der Pusterer Rossmarkt.
 
Legendär sind die Ausraster des „CEO SAD AG", wie er sich selbst nennt, in den Aussprachen mit den Landesbeamten.
Der Mann, der grundsätzlich Interviews nur schriftlich gibt, liebt es, eine intellektuelle Überheblichkeit zur Schau zu stellen. So schreibt er Ende Oktober 2015 an den höchsten Beamten im Mobilitätsassessorat:
Mit Bezug auf Ihr Schreiben vom 24.10.16 teile ich Ihnen mit, dass ich mich nicht des Eindrucks verwehren kann, dass man die SAD bewusst provouzieren (im Original) möchte, denn Ihr Schreiben enthält so viel Blödsinn, dass ich es nach all dem Schriftverkehr vom Sommer als schlichtweg gegenstandslos betrachten werde. ...(...)... Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn weiterer Schriftverkehr auf einem intellektuell höherem Niveau abgefasst werden könnte, da die Beantwortung dieser Schreiben stets unnütz Zeitressourcen beansprucht.“
 
Vor allem Titel scheinen im ausgeprägten Selbstverständnis des „DDr. Ingemar Gatterer, MBA“ (so unterzeichnet er seine Schreiben) eine besondere Rolle zu spielen. Nachdem Gatterer vor wenigen Wochen in einem öffentlichen Brief eine Entschuldigung von SVP-Senator Karl Zeller bei Landeshauptmann Luis Durnwalder verlangte, antwortete der Meraner Politiker dem Pfalzener SVP-Ortsobmann in einem privaten Schreiben.
Zeller verweist in seinem Schreiben unter anderem süffisant auf Gatterers „Politikwissenschaftsstudium“ und meint dann: „Mit solchen Aussagen machen Sie ihren vielen akademischen Titeln wahrlich keine Ehre“.
Doch der Mann, der so gerne und kontinuierlich austeilt, ist im Einstecken mehr als empfindlich. Ingemar Gatterer antwortet Karl Zeller, dass er „die Kritik zu meiner Person (in der von Ihnen zugesandten Schrift) zur Kenntnis (nehme) - dies vor allem was die Ehrbarkeit meiner akademischen Grade betrifft.
Und der Doppeldoktor kündigt an, dass er Ehrbarkeit von Titel und Funktion des Senators RA Dr. Zeller auf die Wertigkeit hin prüfen lassen und dann das Rechtsgutachten online veröffentlichen werde.
 
Es ist natürlich legitim, dass ein Unternehmer versucht, seine Interessen durchzusetzen. Die Frage ist, wie er sich dabei anstellt. Ingemar Gatterer bewegt sich aber wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen - oder besser gesagt - wie ein Doppeldeckerbus in einem Eierkarton.
Der SAD-Besitzer soll ruhig auf seine Brieftasche schauen, nur sollte er nicht so tun, als ginge es um das Überleben der Südtiroler Minderheit.
Und Ingemar Gatterer möge die Welt von seinen Klagedrohungen und wöchentlichen Predigten verschonen.