Sport | Olympia 2026

„Spiel mit den Alpen“

Die „Olimpiadi a costo zero“ rücken näher. Eine gestern in der ARD ausgestrahlten Doku besichtigt mit Felix Neureuther alte und neue Sportstätten. Die Doku im Überblick.
Cortina
Foto: MARTINOPHUC; Pixabay
  • Felix Neureuther im Jahr 2022: Drei Jahre nachdem er seine Karriere beendet hatte. Foto: Sven Mandel

    Felix Neureuther gehört zu den erfolgreichsten deutschen Skiläufern: 13 Weltcupsiege im Einzelrennen und fünf Medaillen bei Weltmeisterschaften sicherte sich der gebürtige Münchener im Laufe seiner Karriere. Für den Slalomspezialisten war die Teilnahme an olympischen Spielen, wie jene 2006 in Torino, die Erfüllung eines Lebenstraums. Und Olympiaden im Alpenraum bedeuten für ihn eigentlich Olympiaden dort, wo sie hingehören. Doch verwandeln sich die Olympiaden mehr und mehr zum Albtraum? „Olimpiadi a costo zero“ war ein großes Motto der olympischen Winterspiele 2026, genau 20 Jahre nach den den letzten Winterspielen in Italien. Neureuther, seit seinem Karriereende Olympiaexperte der ARD, unternahm im Rahmen der Dokumentation, die gestern Abend ausgestrahlt wurde, mit dem TV-Sender einen Lokalaugenschein der olympischen Ruinen, sowie alter und neuer Stätten. Der Titel „Spiel mit den Alpen“. Die Frage dabei: Wird das Erbe der Natur und der Alpen erhalten oder geht die Rechnung am Ende wieder auf Kosten von Umwelt und der Anwohner der Sportstätten? Einige Anblicke ließen ihn schockiert zurück.

  • Milano-Cortina 2026

    Die Südtirol-Arena in Antholz: Der mit Kosten von rund 50 Millionen Euro veranschlagte Ausbau beinhaltet unter anderem auch den Ausbau der Zielgerade. Foto: Seehauserfoto

    Mit den nachhaltigsten und unvergesslichsten Winterspiele aller Zeiten warb Italien im Vorfeld. Nutzung vorhandener Sportstätten ohne Errichtung neuer Stätten. Wie sieht es aus? Die alte Bobbahn Cortinas, das bereits 1956 Austragungsort von Winterspielen war, wird abgerissen und durch eine neue ersetzt. Ein Projekt mit geschätzten Gesamtkosten, die zwischen 80 und 120 Millionen Euro liegen und Eingriffe in den umliegenden Wald bedeuten werden. Das Internationale Olympische Komitee sprach sich für eine Austragung in einer bestehenden Anlage aus, aber letztendlich beschloss Italien die Bahn zu errichten.

    Die Antholzer Südtirol Arena, in der 2026 die Biathlonwettbewerbe ausgetragen werden, gehört zu den bekanntesten Biathlon-Anlagen der Welt. „Mit allem hätte ich gerechnet nur damit nicht“, kommentiert Neureuther die Besichtigung der Großbaustelle zu 50 Millionen Euro. Das Stadion war bereits WM-tauglich, es hätte im Großen und Ganzen so belassen werden können. Das bestätigte auch Landeshauptmann Arno Kompatscher gegenüber Neureuther. Hinzu kommen nun aber unterirdische Schießanlagen, Beschneiungsanlagen und Speicherbecken. In allen an der Olympiade beteiligten Regionen wird gebaut, mit veranschlagten Kosten von 3,6 Milliarden Euro, anstatt der ursprünglichen Idee von „Nullkosten“. In und um Antholz herum sind Projekte mit Kosten von 300 Millionen Euro geplant. 

    „Große Sportereignisse in den Alpen sind nicht nachhaltig“, so Umweltaktivist Luigi Casanova. Um olympische Spiele möglichst nachhaltig zu gestalten, schlägt er vor, Olympiaden nicht mehr an einer Austragungsstätte durchzuführen, sondern verteilter abzuhalten, vorhandene, bereitstehende Strukturen voll auszunutzen. Damit würde der Bedarf an Ausbauarbeiten möglichst gering gehalten werden. Es sei aber auch das Ende der olympischen Spiele, wie man sie bislang kennt.

  • Das Antholzener Statement

    Heute Mittag, wie der TGR berichtet, antwortete Lorenz Leitgeb, Chef des Organisationskomitees des Biathlonzentrums Antholz, auf die Kritik Neureuthers: Auch wenn die Arbeiten erschreckend wirken könnten, so seien sie trotzdem notwendig, um eine ganzjährige Nutzung zu ermöglichen und damit auch die Wirtschaftlichkeit zu garantieren, über die olympischen Spiele hinaus. Sonst bestünde die Gefahr, dass die Arena zu einer weiteren Sportstättenruine verkommen würde. Die Arbeiten würden auch nicht nur für die Olympiade verrichtet werden.

  • Die Ruinen von 2006 und 1992

    Die Sprungschanzen in Pragelato: Der Bau kostete über 30 Millionen Euro Foto: Michele Filippucci (di POW Italia)

    Die Spiele in zwei Jahren hätten ursprünglich ohne großen Aufwand, ohne großen Infrastrukturbedarf und mit geringstmöglichen Kosten stattfinden sollen. Auch weil nach Torino 2006 einige „Narben“ in der Landschaft übrigblieben. Damals wurde einige neuen Strukturen aus dem Boden gestampft, die danach sich selbst überlassen wurden. Neureuther besichtigte etwa die verrotenden Sprungschanzen am Piemonter Bergdorf Pragelato: „Geblieben sind Retortenstädte, überdimensioniert und seelenlos.“ In Pragelato wurde anlässlich der Spiele der Fluss umgeleitet, um Platz zu schaffen. „Auf der Landebahn wachsen Bäume, die Tribüne ist überwachsen. Welchen Wert hat diese Struktur noch für das Dorf, für die Region?“ fragt sich Bianca Elzenbaumer, Co-Präsidentin der internationalen Alpenschutzkommission, im Gespräch mit Neureuther. Die Instandhaltung der Anlage, zu Kosten von über einer Million Euro im Jahr, bedeute, dass die Anlage für das Dorf nicht rentabel bleiben würde. 2009 kam ihre Stilllegung. Die einzigartigen Erlebnisse des Sports einerseits und das unschöne Ende einer heruntergekommenen Anlage andererseits fasst ein Bewohner Pragelatos als Fazit. Letztendlich hätten die Spiele für die Dorfgemeinschaft nicht viel gebracht. Gleich wie die olympischen Sportlegenden blieben auch die Ruinen für immer. Auch die Bobbahn in Cesana wird seit Jahren dem Verfall überlassen. Die Sorge Elzenbaumers ist, ob die Anlagen, die für 2026 neu errichtet werden, auch das gleiche Ende finden.

     

     „Geblieben sind Retortenstädte, überdimensioniert und seelenlos.“

     

    Das französische Albertville trug 1992  Winterspiele aus, wo in den folgenden Jahren der Berg wegen des Gewichts der Anlagen zu rutschen begann und mit Zement stabilisiert werden musste. 

    Der Südtiroler Klimaforscher Georg Kaser findet zum Abschluss der Dokumentation klare Worte: „Großereignisse jeder Art sind massiv in Frage zu stellen.“ Zukünftige Olympiaden sollen CO2-neutral sein, ansonsten wäre es möglicherweise Zeit, derartige Events einzustellen. 

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Mario San Nicolò Di., 27.02.2024 - 15:29

Es wäre Aufgabe der Politiker solche Großprojekte in vernünftige Bahnen zu lenken, aber bei uns lenkt die Wirtschaftslobby die Politiker, einschließlich den Landeshauptmann .

Di., 27.02.2024 - 15:29 Permalink
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Ernst Aschbacher Di., 27.02.2024 - 17:10

Was in der Doku beschrieben wird, macht fassungslos, meint Herta Abram in einem Kommentar zu https://salto.bz/de/article/26022024/olympias-schatten.
Fassungslos ist die treffende Zustandsbeschreibung, meine ich. Fassungslos verbleibt man, nachdem man vom LH "erklärt" bekommt, dass man halt nun doch 50+ Mio. Euro im Naturpark verbaut, weil das Geld halt da ist und man schon immer einen unterirdischen Schießstand wollte (damits oben nicht so laut ist...lol). Fassungslos macht, wenn schon wieder Straße statt Schiene gebaut wird. Fassungslos macht, wenn mit einem Schulterzucken konstatiert wird, dass man "sich zu Tode gesiegt" hat und nun endlich Europas begehrteste Destination ist, mit dazu passenden Unmengen an Touristen und entsprechenden Preisen. Fassungslos macht, wie mit Dackelblick wieder besseren Wissens den Menschen Nachhaltigkeit versprochen wurde und in die genau entgegengesetzte Richtung gearbeitet wurde und wird ("kleinere Adaptierungen" in Antholz und "nachhaltiger Transport" der Menschen, so hallt es in meiner Erinnerung nach...).

Di., 27.02.2024 - 17:10 Permalink
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Stefan S Di., 27.02.2024 - 19:33

Mir blieb gestern Abend auch mehrmals der Mund offen stehen beim Anschauen der Doku.
Erschreckend nannte es Felix, fassungslos finde ich treffender. Auch als passionierte Skifahrer schüttelt man nur noch den Kopf über das sinnlose treiben der Funktionäre.

Di., 27.02.2024 - 19:33 Permalink
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Josef Fulterer Di., 27.02.2024 - 20:00

Beim Sport + noch mehr bei Olympia, verlieren die Politiker den letzten von Rest von ihrem ohnedies recht schwachen Verstand.
Der vorherige Ausrichter muss übertrumpft werden + der bescheuerte Oberbetonierer Alfreider, klotzt seine babilonischen Ungeheuer in die Landschaft, die nicht einmal bei Olympia gebraucht werden.

Di., 27.02.2024 - 20:00 Permalink