Gesellschaft | Prostitution

False speranze

Wer Frauen auf dem Straßenstrich kauft, kann sicher sein, dass sie sich nicht freiwillig prostituieren: Marina Bruccoleri* zum jüngsten Fall von Menschenhandel.
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Foto: upi

salto.bz: Frau Bruccoleri, in dieser Woche wurde in Bologna ein nigerianischer Menschenhändlerring mit Südtiroler Arm ausgehoben. „Operazione falsa speranza“ wurde der Einsatz genannt. Ein treffender Name?
Marina Bruccoleri: Absolut. Hier werden jungen Frauen nicht nur falsche Hoffnungen gemacht, sie werden auch aufs Übelste sexuell ausgebeutet. Und zwar nicht nur von einem nigerianischen Zuhälterring, der nun gerade in die Schlagzeilen geraten ist. Wir hatten auch hier in Südtirol bereits die Albaner, die Rumänen und viele andere kriminelle Organisationen, die alle nach demselben Schema arbeiten: Frauen ohne Dokumente auszubeuten, indem sie ihnen hohe Schulden anhängen.

Also im aktuellen Fall Frauen in Nigeria ein besseres Leben zu versprechen und sie dann um viel Geld nach Europa zu bringen..
...wo sie dann ihre Schulden zurückzahlen, indem sie sich prostituieren. Die Nigerianerinnen beispielsweise haben Schulden in Höhe von 20.000 bis 60.000 Euro.

Für eine illegale Überfahrt nach Europa?
Ja, die Beträge werden natürlich aufgeblasen. Viele dieser Frauen haben keine Ahnung, was sie hier erwartet. Es sind meist arme Frauen, vielfach auch Analphabetinnen, die bewusst aus Dörfern oder der Peripherie geholt werden, weil sie wenig Bildung haben. Frau, arm, wenig Wissen über die eigenen Rechte – die idealen Opfer für solche kriminellen Organisationen.

Gerade bei nigerianischen Frauen können auchVoodoo-Rituale eine wichtige Rolle spielen, hört man oft. Was hat es damit auf sich?
Voodoo hat eine ziemliche Bedeutung für diese Frauen. Nigerianerinnen sind zwar fast alle Christinnen, in Bozen besuchen sie die methodistische Kirche. Doch ihr Glaube ist stark mit ethnischen und animistischen Elementen durchmischt. Und so ist es stark verbreitet, dass die Frauen vor ihrer Abfahrt nach Europa ein Voodoo-Ritual mit einer mächtigen Göttin, Mother Water, vollziehen. Und auch das wird von den kriminellen Banden oft als Druckmittel benutzt.

Wie?
Indem sie sagen, die Göttin wird sie bestrafen, wenn sie das Geld nicht zurückzahlen. Die Frauen werden natürlich auch mit anderen Mitteln bedroht. Man sagt zum Beispiel, dass ihre Familie in Nigeria erschossen wird, wenn sie das Geld nicht zurückzahlen. Doch wenn es gelingt, den Frauen den Aberglauben nehmen, wäre es ein Mittel mehr, sie aus sexueller Ausbeutung zu befreien.

Sie arbeiten bereits seit längerem für den Verein La Strada mit Prostituierten, sind derzeit auch Koordinatorin des Netzwerks Alba, das Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung betreut und beim Ausstieg aus der Prostitution begleitet. Gibt es typische Geschichten solcher Frauen oder hat jede ihre eigene Dynamik?
Es gibt schon viele Gemeinsamkeiten, auch die Grausamkeit und Verachtung, die vielen dieser Geschichten innewohnt. Als ich begonnen habe, in diesem Bereich zu arbeiten, war ich davor bereits lange im Suchtbereich tätig gewesen, ich war also durchaus abgehärtet. Dennoch – als ich damals die ersten Akten zu einem Fall von Menschenhandel und Zwangsprostitution gelesen habe, musste ich aufs Klo kotzen gehen. Es gibt Geschichten, die sind tatsächlich fast nicht auszuhalten. Für die meisten Nigerianerinnen beginnt die „Reise in ein besseres Leben“ beispielsweise in den Bordellen in Libyen. Die sind dort eigentlich gesetzlich verboten, aber dennoch toleriert. Und für Libyer sind nigerianische Frauen das Letzte, weniger wert als ein Stück Fleisch – da gibt es erschreckende Erzählungen der Frauen.

Dennoch schaffen es einige der Frauen letztendlich, unter den Schutz des Projektes Alba zu kommen. Wie gelingt ihnen das?
Italien und Belgien sind europaweit die einzigen Länder, in denen Opfer von Ausbeutung per Gesetz ein Recht auf ein Schutzprogramm haben; der einfachste Weg dorthin ist eine Anzeige der betroffenen Person. In Italien wurde dieses Anrecht bereits vor 18 Jahren mit dem sogenannten Turco-Napolitano-Gesetz eingeführt. Und seit 17 Jahren gibt es auch das Projekt Alba, das in Südtirol auch von der Provinz mitfinanziert wird und von Volontarius, La Strada und der Sozialgenossenschaft Consis getragen wird.

Wie viele Frauen betreuen Sie derzeit?
Man muss zwischen den einzelnen Stufen des Projektes unterschieden. Volontarius betreut die Frauen auf der Straße, versucht mit ihnen, Kontakt aufzubauen, sie bei konkreten Problemen zu unterstützen und sie über ihre Rechte zu informieren. Wir von La Strada sind dann für die Aufnahme der Frauen, die aus der Prostitution aussteigen, zuständig, während Consis sie beim Einstieg in den Arbeitsmarkt begleitet.

Und wie viele Frauen wohnen derzeit in den von La Strade betreuten Strukturen?
Wir haben derzeit vier Wohnungen, in denen 18 Personen betreut werden, zwei davon sind Männer, der Rest Frauen, wobei die Mehrheit Nigerianerinnen sind. Und es werden immer mehr. Man muss auch sagen, dass wir in einer engen Partnerschaft mit 22 Städten in ganz Italien arbeiten. Wenn eine Frau in Bozen zur Prostitution gezwungen wurde, wird sie gewöhnlich nicht hier, sondern in einer anderen Stadt untergebracht, um vorzubeugen, dass sie von den Zuhälterbanden gefunden wird.

 

Was machen die Frauen in diesem Schutz-Programm?
Sie haben eineinhalb Jahre Zeit, um die Sprache, bzw. bei uns Deutsch und Italienisch zu lernen, und in den Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden.

Das ist aber nicht viel Zeit – vor allem wenn die Frauen teils nicht einmal Lesen und Schreiben können...
Nein, aber so steht es im Gesetz. Um die Aufenthaltsgenehmigung verlängert zu bekommen, wird nach eineinhalb Jahren überprüft, ob sie die Ziele des Programms erreicht haben.  Man kann in bestimmten Fällen um eine Verlängerung ansuchen. Doch das Schutzprogramm gibt ihnen nicht eben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Und das finde ich richtig, das hilft ihnen sehr, einen Platz in der Gesellschaft zu finden.

Gelingt das auch wirklich?
Wir haben in 15 Jahren ungefähr 80 Frauen begleitet und rund 80 Prozent von ihnen haben eine Arbeit gefunden. Consis arbeitet in der Hinsicht wirklich gut, die Frauen kommen nicht nur als badante unter, sie arbeiten vielfach auch im Gastgewerbe oder in vielen anderen Berufszweigen. Und es ist in vielen Fällen wirklich sehr berührend mitzuerleben, wie sie ihr Leben Schritt für Schritt selbst in die Hand nehmen.

Was kann die Gesellschaft für diese Frauen machen?
Ich denke, dass sich vor allem jeder Mann, der zu Prostituierten geht, darüber klar sein sollte, dass keine Frau auf dem Straßenstrich das, was sie tut, freiwillig macht.

Das ist bei Prostitution generell eine große Frage...
Klar, doch bei diesen Frauen kann man sie eindeutig beantworten. Sie prostituieren sich, weil sie arm und in den Händen von kriminellen Organisationen sind, die sie über diese Schuldenmasche dazu zwingen.

Schauen wir nicht alle zu sehr weg, dass vor unseren Augen Frauen versklavt werden? Vor allem die Polizei?
Wir arbeiten sehr eng und intensiv mit der Polizei zusammen. Es gibt in Bozen eine eigene Einsatzgruppe für sozial schwache Bevölkerungsgruppen. Die kommen zu all unseren Weiterbildungen und sind auch um 2 Uhr morgens da, wenn wir Fälle haben. Oft weisen auch sie uns auf mögliche Fälle hin. Wenn es zum Beispiel ein chinesisches Massagecenter gibt, in dem sechs Frauen arbeiten, rufen sie uns an, und sagen: Schaut Euch das einmal an. Wir haben alle dasselbe Ziel und arbeiten wirklich sehr gut zusammen.