Wirtschaft | Maskenaffäre

Chinesische Miete

Seit Monaten liegen 178.300 Schutzanzüge aus der Oberalp-Lieferung in einem Lager am Flughafen Xiamen. Der Sanitätsbetrieb zahlt Miete. Was ist mit der zweiten Lieferung?
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Foto: Xiamen airport
Seit Tagen berichtet RAI Südtirol ausführlich über die Affäre beim Ankauf von Schutzausrüstung um den lombardischen Gouverneur Attilio Fontana. Es scheint einfacher in die Ferne zu schweifen, als die dunklen Seiten im eigenen Land auszuleuchten.
Nachdem mit Arno Kompatscher, Thomas Widmann und Heiner Oberrauch gleich drei Protagonisten in den RAI-Sommergesprächen ihre Sicht der sogenannten Südtiroler „Maskenaffäre“ präsentieren durften, ist es wieder ruhig geworden um den 35-Millionen-Ankauf von Schutzmaterialen in China.
Dabei gibt es gleich mehrere brennende Fragen, die bisher unbeantwortet geblieben sind.
 

Die Schutzanzüge

 
Am 17. März 2020 schließt der Sanitätsbetrieb mit dem Südtiroler Sportartikelhersteller Oberalp Group einen Vertrag zur Lieferung von Schutzausrüstung aus China ab. Oberalp lässt über seinen chinesischen Partner eine Million chirurgische Masken, 500.000 KN95-Atemschutzmasken, 400.000 Einweg-Schutzanzüge und 30.000 Schutzanzüge für den aseptischen Gebrauch produzieren. Die Gesamtpreis dafür: 9.302.000 Euro.
Am 24. März 2020 wird ein Teil dieser Ladung über Wien/Schwechat mit zwei Passagierflugzeugen der AUA nach Südtirol geliefert. Der Sanitätsbetrieb hat der Oberalp bereits 705.603,22 Euro für diese Flüge zurückgezahlt. Ein weiterer Teil dieser Lieferung wurde durch den italienischen Zivilschutz nach Mailand und von dort nach Bozen geliefert. Ende März gab es dann einen weiteren Transportflug nach Wien. Hierfür hat der Sanitätsbetrieb weitere 365.000 Euro an die Oberalp zurückgezahlt.
 
 
Doch damit ist die erste Lieferung noch nicht in Südtirol angekommen. Es fehlen immer noch 178.000 Schutzmäntel. Diese lagern seit März abholbereit in einem Lagerhaus am Flugplatz Xiamen ein. Dafür zahlt die Firma Oberalp Miete.
Das Südtiroler Großunternehmen hat in einem Schreiben an die Sanitätseinheit diese Lagerkosten bereits Ende April mit rund 200.000 Euro quantifiziert. Inzwischen dürfte sich diese Summe verdoppelt haben.
Wer diese Kosten letztendlich tragen muss, ist klar. Der Sanitätsbetrieb ist nicht nur der Importeur der Schutzanzüge, er hat sich vertraglich auch verpflichtet die Ware „just in time“ am Flugplatz Xiamen abzuholen. Der Termin war Ende März 2020. Zwischen Lagerkosten und Transportkosten wird der Sanitätsbetrieb demnach mindestens eine weitere halbe Million Euro ausgeben müssen.
 

Die 2. Lieferung

 
Noch unklarer aber ist, was mit der zweiten Lieferung passiert.
Salto.bz hat Mitte Mai enthüllt, dass es neben dieser ersten Bestellung aber noch eine zweite weit größere Bestellung gibt.
Am 23. März 2020 übermittelt der Sanitätsbetrieb an die Oberalp schriftlich eine weitere verbindliche Bestellung. Bestellt werden dabei 3 Millionen chirurgische Masken, eine Million KN95-Atemschutzmasken, 800.000 Einweganzüge und 400.000 sogenannte "Schutzanzüge für den aseptischen Gebrauch". Der Gesamtpreis: 28.490.000 Euro.
Auch in diesem Fall übernimmt das Unternehmen Oberalp die Vorauskasse und überweist das gesamte Geld nach China. Erst damit läuft die Produktion der bestellten Ware an.
 
 
Am 31. März 2020 kommt es dann zu einem Treffen der Spitzen des Sanitätsbetriebes mit den Oberalp-Vertretern. Dabei ändert der Sanitätsbetrieb seine Bestellung noch einmal ab. Die Anzahl der chirurgischen Masken wird auf 4,5 Millionen, jene der KN95-Masten auf 1,5 Millionen Stück und jene der Schutzanzüge auf eine Million aufgestockt. Deutlich reduziert wird hingegen die Bestellung der Schutzanzüge für den aseptischen Gebrauch: von 400.000 auf 100.000. Weil diese Anzüge mit einem Stückpreis von 27,90 Euro das weitaus teuerste Produkt in der Palette sind, verringert sich der Gesamtpreis der Bestellung: auf 25.085.000 Euro.
Am 2. April bestätigt der Sanitätsbetrieb der Oberalp per Mail die Abänderung der Lieferung. Ein Vertrag wird nicht mehr unterzeichnet.
 

„Nie finalisiert“

 
Sven Knoll und Myriam Atz Tammerle haben am 20. Mai im Landtag eine Anfrage zum „Erneuter Ankauf von Schutzmasken in China“ gestellt. Die Landtagsabgeordneten der Südtiroler Freiheit wollen wissen, ob die Salto.bz-Darstellung der Wahrheit entspreche.
Am 10. Juli antwortet Thomas Widmann. „Die Bestellung der zweiten Tranche wurde nie finaliesiert“, schreibt der Gesundheitslandesrat in seiner Antwort auf die Landtagsanfrage. Widmann bestätigt indirekt auch das Treffen vom 31. März 2020. „ Es fanden verschiedene Treffen zwischen der Betriebsleitung Oberalp und Vertretern von Sanitätsbetrieb statt. Die Firma Oberalp bestätigte während einer der zahlreichen Sitzungen ihre Lieferbereitschaft und berichtete einige Details über die eventuelle zusätzliche Lieferung.
 
 
Die E-Mail des Sanitätsbetriebes vom 2. April 2020 deutet Widmann in seiner Antwort als „Anforderung eines Kostenvoranschlages“ um. Nach Darstellung des zuständigen Landesrates wisse der Sanitätsbetrieb kaum etwas von diesem 25-Millionen Paket. Thomas Widmann schreibt: „Zum heutigen Zeitpunkt wurde keine zweite Bestellung finalisiert, somit ist die Ware nicht im Besitz des Sanitätsbetriebes, welcher deshalb keine Informationen über den genauen Standort der Ware im Ausland hat.“
Es ist eine Antwort mit einigen Schönheitsfehlern.
In den Ermittlungsakten der Bozner Staatsanwaltschaft liegt eine E-Mail des zuständigen Taskforce-Leiters Marc Kaufmann vom 23. März 2020 23.03 Uhr mit der er den Bedarf des Sanitätsbetriebes für die zweite Lieferung an die Oberalp übermittelt. Die Mail ist mehr oder weniger identisch mit jener einer Woche zuvor, als man die 1. Lieferung bestellt hat.
Zudem gibt es ein Protokoll und eine Präsentation vom Treffen am 31. März 2020, wo Oberalp auf Wunsch des Sanitätsbetriebes, die ursprüngliche Bestellung korrigiert hat. Mit der Mail vom 2. April des Sanitätsbetriebes an die Oberalp wird diese Korrektur und Bestellung noch einmal bestätigt.
Der Sanitätsbetrieb weiß auch seit Monaten, dass die bestellte Ware in China zur Abholung bereit steht.
Nach Informationen von Salto.bz hat die Firma Oberalp in mehreren Einschrieben und PEC-Mails in den Sanitätsbetrieb bereits vor Monaten die Abholung und Bezahlung dieser zweiten Lieferung formal eingefordert.
Das Unternehmen geht von einer Bestellung aus, die rechtlich zwingend ist.