Gesellschaft | Bozen

Gegen die Kälte

CasaPound protestiert in Bozen gegen ein Kältenotfallzentrum für Obdachlose. Zwei Gegenkundgebungen rufen zu Solidarität und einem “Ende der Lügen” auf.
CasaPound Reschenbrücke
Foto: Salto.bz

Lionello Bertoldi erinnert sich gut an den 26. September 1944. “Es war ein Dienstag, ich war mit dem Fahrrad unterwegs nach Bassano del Grappa. Entlang der Straße wuchsen kleine Bäume. Da bemerkte ich, dass einer nach unten gebogen war, als ich mich näherte, sah ich, dass daran ein junger Mann hing, tot, aufgehängt an einem Haken. Ich kehrte sofort um.” Insgesamt 31 Leichen junger Männer, erhängt an Bäumen, säumten die Straße nach Bassano an jenem Tag – das grausame Werk des “Schlächters von Bassano” Karl Franz Teutsch, Unteroffizier der SS.

“Es wimmelte vor Faschisten und Nazis”, sagt Bertoldi und legt die Stirn in Falten. Der Partisan und Ehrenpräsident der lokalen Partisanenvereinigung ANPI, der von 1987 bis 1992 für die Kommunisten im Senat saß, war damals 16 Jahre alt. Heute, auf den Tag genau 74 Jahre später, steht Bertoldi in der Reschenstraße in Bozen, vor dem Denkmal für die Insassen des Bozner NS-Lagers. “Ich mache mir Sorgen um das Miteinander.”

Wenige hunderte Meter weiter, außer Sicht- und Hörweite der Versammlung vor dem NS-Mahnmal, ist CasaPound aufmarschiert. Auf der Reschenbrücke wollten sich die selbst ernannten “Faschisten des Dritten Jahrtausends” “verbarrikadieren”. Weil nicht weit entfernt ein Kältenotfallzentrum für Obdachlose in Kürze seine Tore öffnet – das CasaPound aber nicht als solches bezeichnen will, sondern als “nuovo centro clandestini” wie auf dem Banner steht, mit dem die neofaschistische Bewegung am Dienstag gegen das Kältenotfallzentrum protestiert.

Die Gemeinde Bozen hat das Gebäude dafür – ein ehemaliges Sägewerk in der Coministraße – angekauft, für 1,1 Millionen Euro wird es derzeit umgebaut. Ab November soll die Struktur die provvisorische Container-Unterkunft in der Schlachthofstraße ersetzten. Rund 110 Schlafplätze werden für Obdachlose bereit gestellt. Und eine Krankenstation mit sechs Betten, in der Ärzte und Sanitätspersonal freiwillig Dienst versieht. Die monatlichen Kosten werden sich laut Bürgermeister Renzo Caramaschi auf weniger als die 87.000 Euro belaufen, die die Dienste in der Schlachthofstraße kosten. Auch hat Caramaschi angekündigt, den Zugang zur Kältenotunterkunft insbesondere verletztlichen Personengruppen wie Familien und Minderjährigen sowie den Obdachlosen, die den Sozialdiensten seit Langem bekannt sind, vorzubehalten. Unweigerlich werden dort auch Migranten und Aslywerber unterkommen – sind es doch häufig sie, die sich aus vielerlei Gründen auf der Straße wiederfinden.

Nein, die Struktur wird ein neues Aufnahmezentrum für Flüchtlinge und Asylwerber, meint CasaPound zu wissen – und ein solches sei den Bewohnern des Stadtviertels Don Bosco nicht zuzumuten. Die Botschaft verbreitet CasaPound geschickt über die sozialen Medien, ruft dazu auf, die Stimme zu erheben. Den rund 60 Personen, die man am Mittwoch Abend schafft, zur Protestkundgebung zu locken, stellen sich etwa doppelt so viele mit zwei Gegendemonstrationen entgegen. ANPI, Grüne, die Linke, einzelne Vertreter des PD finden sich im Garten der Kirche Pio X ein, die Aktivisten von Bolzano Antifascista auf der anderen Seite der Reschenbrücke.

Zu sehen und zu hören bekommen sich Faschisten und Antifaschisten nicht. Dafür sorgt ein Großaufgebot von Polizei, Carabinieri und Spezialeinheiten, die die Brücke und die umliegenden Straßen weiträumig abgesperrt haben. Der starke Abendverkehr wird für vier Stunden umgeleitet, niemand über die Brücke gelassen.

Kurze Spannungen gibt es als auch Journalisten der Zutritt auf die Reschenbrücke verwehrt wird – “per l’ordine pubblico”, heißt es von den Männern der Spezialeinheit, die von außerhalb der Region anbeordert wurde. Die Situation entspannt sich dank der Intervention der lokalen Verantwortlichen von Polizei und Carabinieri.

Etwa zwei Stunden lang stehen die Teilnehmer der drei Kundgebungen an den ihnen zugewiesenen Plätzen.

“Die Lage ist äußerst ernst, CasaPound und rechtsextreme Parteien wie die Lega verbreiten Falschinformationen und Unwahrheiten, um Angst zu schüren und Terror zu verbreiten – sie schüren einen Krieg unter Armen, in dessen Folge zahlreiche Aggressionen und Anschläge an Migranten in ganz Italien enstehen”, warnt Bolzano Antifascista. “Basta bugie!” heißt es auch vom ANPI.

Friedlich lösen sich die zwei Kundgebungen gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Faschismus, gegen CasaPound, Forza Nuova, Lega auf. Über Hundert sind für Solidarität, Menschlichkeit und Demokratie auf die Straße gegangen – und für das Erinnern, damit sich ein 26. September 1944 nie wieder wiederholt. “Es liegt an uns allen, sich zu erinnern”, sagt Lionello Bertoldi ernst.