Kultur | Salto Afternoon

Das Schöne, das Wahre, das Gute.

Marcello Farabegoli ist in Südtirol aufgewachsen, wollte zunächst Pianist werden und ist heute Kurator. Klavier spielt er immer noch.
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Foto: Foto: Sissa Micheli

salto.bz: Sie sind in Bozen aufgewachsen und wurden, aus einer italienischsprachigen Familie kommend, an die deutsche Schule geschickt. Ein Vor- oder ein Nachteil?
Marcello Farabegoli
: Ganz sicher ein Vorteil! Ich bin 1973 in Cesena geboren und als ich ungefähr ein Jahr alt war, zog ich mit meiner Mutter nach Bozen, zu ihrer Familie. Meine Großmutter war Römerin, mein Großvater kommt aus dem Trentino. Wir sprachen zu Hause Italienisch und ich zählte damals zu den wenigen italienischsprachigen Kindern, die in den deutschen Kindergarten und dann in die deutsche Schule geschickt wurden. Das war zwar etwas kompliziert, aber wir zogen ohnehin nach Frangart bei Bozen, wo es nur eine deutsche Schule gab. Natürlich haben meine Mitschüler gelacht, als ich an meinen ersten Schultagen zum Beispiel vorlesen musste: Phäter und Rhosi gähen (Peter und Rosi gehen) in die Schule… Das klang zwar nicht richtig Deutsch, aber es gab trotzdem kaum Probleme und recht bald beherrschte ich ja die Sprache viel besser. Später besuchte ich die Goethe-Schule in Bozen, die Mittelschule absolvierte ich am Musikkonservatorium, da ich dort acht Jahre Klavier studierte. Danach folgt das wissenschaftliche Lyzeum, wo ich die beiden Bereiche zusammenbringen konnte, die mich am meisten faszinierten: Musik und Naturwissenschaften.

Als Italienisch sprechendes Kind an einer „deutschen“ Schule... kam es da nie zu Reibereien?
Hin und wieder wurde meine doch recht italienische Art in der Schule nicht ganz verstanden oder akzeptiert. Ich erinnere mich an eine Faschingsfeier, da kam es einmal zu einer Diskussion mit – sagen wir mal – eher nationalistisch gesinnten Italienern, wir haben über das Siegesdenkmal diskutiert, da ich der Meinung war, das müsste man eigentlich abreißen. So habe ich auch einen Schlag ins Gesicht bekommen. Im Übrigen finde ich heute, die Lösung das Siegesdenkmals als Dokumentationszentrum und Ort für themenspezifische Ausstellungen zu benutzen, hervorragend!

Wann haben Sie Bozen verlassen?
Wenig später. Ich pendelte zwischen Bologna und Florenz. Ich habe eine Zeit lang Literatur studiert, danach folgten Wanderjahre nach Rumänien und Deutschland, ich kam aber wieder zurück nach Florenz und begann ein Philosophiestudium.

Und das Klavierspiel?
Es war eine schwierige Phase, da ich erkannte, dass ich zwar ein guter, aber kein großer Pianist sein kann, wie ich mir das gewünscht hätte. So gewann meine naturwissenschaftliche Seite allmählich die Oberhand und ich driftete über Fächer wie Wissenschaftsphilosophie und Logik zum Physikstudium über, das ich 1996 an der Universität Wien begann. Meine Schwerpunkte waren experimentelle Quantenphysik und Umwelt-Physik, im Hinblick auf das Arbeitsfeld Erneuerbare Energien. Ich habe meine Diplomarbeit über den ökologischen Fußabdruck verfasst und mein Studium mit Auszeichnung beendet.

Ab wann stand die Kunst im Zentrum Ihres Lebens?
2002 ging ich mit meiner Freundin, meiner jetzigen Frau, nach Berlin. Ich habe dort im Bereich Umwelt gearbeitet, war später wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Potsdam, wo ich begonnen habe die beiden Bereiche Ästhetik und Physik zusammenzuführen. Das interessierte mich brennend, es sind ja zwei Hauptthemen meines Lebens: Schönheit und Naturwissenschaft.

Welche Kunstrichtung hat Sie geprägt?
Ich wurde von der klassischen Moderne angezogen, wie etwa Paul Klee, Henri Michaux und Hans Hartung, das war wie Musik, das ist Kunst, die man hören kann.

Welchen Einfluss hatte Ihre Frau, die Künstlerin?
2005 eröffnete ich mit meiner Frau, der japanischen Künstlerin Hana Usui, eine Galerie in Berlin Mitte. Wir wollten eine Art Atelier-Kulturaustausch-Raum für japanische Kunst schaffen, stellten zunächst Freunde aus, später bekanntere japanische Künstler. Im Lauf der Zeit erschienen gute Rezensionen, auch in der überregionalen Presse, die mich und meine Frau von einem Tag auf den anderen in die sogenannte Kunstszene brachten. Wir hatten dann einige gute Sammler und verkauften auch an Museen.

Warum haben Sie Berlin den Rücken gekehrt?
Mit der Wirtschaftskrise und anderen Umständen ist es dazu gekommen, dass ich mit meiner Frau nach Wien zurückgezogen bin, wo ich zunächst wieder im Bereich erneuerbare Energien tätig wurde, dann wechselte ich zum Auktionshaus Dorotheum, in die Abteilung Alte Meister. Es waren zwei spannende Jahre mit alten, wertvollen Gemälden, aber ich verspürte bald wieder Lust Kunstveranstaltungen zu organisieren. Das habe ich dann auch gemacht, etwa ab 2012 regelmäßig im Rahmen der Vienna Art Week...

Heute sehen Sie sich als Kurator, vielleicht im etwas freieren Sinne Harald Szeemanns?
Ja, das wäre schön! Als Nicht-Kunsthistoriker habe ich mich auf Kunstveranstaltungen spezialisiert, die nicht besonders konventionell sind. Das ermöglicht mir auch Wege zu gehen, die herkömmliche Kuratoren oft nicht gehen. Zum Beispiel, als ich den legendären Berliner Club der polnischen Versager in die Kunsthalle Wien im Museumsquartier gebracht habe. Oder im Zuge diverser Ausstellungen in Garagen, wie in jenes des Museums Hundertwasser. Und so kam es auch, dass ich – für die Ausstellung „No more Fukushimas“ in einem kleinen, besonderen "Kulturladen" in Wien, dem Verein08 – Künstler wie etwa Erwin Wurm, Edgar Honetschläger und Julius Deutschbauer gewinnen konnte. Das gefällt mir: Aus etwas Kleinem, etwas Großes machen, etwas Unwahrscheinliches, aber Authentisches. So auch die Ausstellung zu Ulrich Seidls Keller-Bilder, in einer Galerie, die ebenfalls aus Kellerräumen besteht. Nicht zuletzt habe ich kürzlich mit dem Wiener Künstler Guido Kucsko, der außerdem ein international bekannter Jurist ist, eine Ausstellung zum Thema „Intellectual Property“ realisiert.

Sie kuratieren auch die Räume der italienischen Botschaft Wien?
Das funktionierte dank des Botschafters Giorgio Marrapodi, der Kunstliebhaber ist. Er beauftragte mich im Herbst 2014 eine Ausstellungsreihe italienischer Künstler in der Botschaft zu kuratieren. Insbesondere ermöglichte er mir 2015 eine große Kunstausstellung mit der Künstlerin Sissa Micheli. 2016 folgte Esther Stocker. Beide Ausstellungen erstreckten sich über acht Salons der Bel Etage vom wunderbaren Palais Metternich. Ich hatte die Ehre sie gemeinsam mit dem Botschafter, mit Bundesministern und bedeutenden Museumsdirektoren zu eröffnen. Wir hatten sehr viele Besucher und ein tolles Echo bei Presse und Publikum.

Die Botschaft als Ausstellungsraum?
Wenn man die Räumlichkeiten des Palais Metternich vor Augen hat, erkennt man, dass das Ganze nicht so einfach ist. Die prächtigen Salons sind bereits voll mit antiken Möbeln und Bildern, man darf nur teilweise umdisponieren und keinesfalls einen Nagel schlagen. Es ist also eine Herausforderung für den Kurator, die Kunstwerke gut zu platzieren. Aber die Kunst schuf neue Zugänge, auch für die Wahrnehmung der neugeschaffenen Ausstellungskonstellationen in der Botschaft. Sissa Micheli hat sich mit dem Gebäude, dessen Geschichte und dem Wiener Kongress auseinandergesetzt. Esther Stocker machte den Dialog zwischen ihren bekannten Geometrien und den historischen Räumen spürbar, insbesondere mit einer beeindruckenden Rauminstallation. Für 2017 plane ich wieder eine große Ausstellung, welche die Funktion der Botschaft als solche künstlerisch thematisieren soll.

Gibt es so etwas wie einen roten Faden in Ihrem Leben?
Es mag anachronistisch oder gar pathetisch klingen, aber ich fasse es gerne folgendermaßen zusammen: Das Schöne, das Wahre, das Gute. Am Anfang suchte ich das Schöne in der Musik, dann das Wahre in der Physik, dann das Gute im Umweltschutz. Dann bin ich wieder zurück zum Schönen. Aber nicht im klassischen Sinn, sondern im künstlerisch, ästhetischen Kontext der zeitgenössischen Kunst. Im Grunde suche ich nach Erkenntnis und in der Kunst kommt besonders viel zusammen, was über den Homo sapiens erkannt werden kann.