Gesellschaft | Obdachlosigkeit

Die langen Wartelisten

Jedes Jahr aufs Neue suchen im Winter hunderte Menschen in Südtirol Notschlafstätten auf. Die Bozner Stadträtin Rabini und Bozen Solidale fordern langfristige Lösungen.
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Foto: Bozen solidale
In der Diskussion zur Schaffung von Notschlafstätten im Winter meldet sich nun auch die Bozner Stadträtin Chiara Rabini (Grüne) zu Wort. Sie fordert die Schaffung von Wohnraum für arbeitende Menschen ohne fixen Schlafplatz und die Wiedereröffnung von Strukturen für Geflüchtete.
„Bozen muss ein normales System von kleinen Strukturen aufbauen, die weniger auffällig sind als das Ex-Alimarket und sich in das Stadtgefüge einfügen, um die Aufnahme durch die Betreiber und die Akzeptanz des Ortes durch die Bewohner:innen zu erleichtern“, erklärt sie. Rabini plädiert für mehrere kleine Strukturen mit mehr Privatsphäre. Die Wartelisten der Einrichtungen, die Unterkünfte anbieten, ist lang und der Aufruf von Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) an die Gemeinden scheint wenig erfolgreich gewesen zu sein.
 
 
„In der Stadt leben fast 700 obdachlose Menschen, deshalb bittet die Stadt die Provinz und die Gemeinden, kleine Strukturen im ganzen Land aufzumachen“, so Rabini. Außerdem kritisiert Rabini, dass ihre Gemeinde nun weitere Pfosten bei einer Brücke angelegt hat, um Menschen daran zu hindern, dort ihr Lager aufzuschlagen. Das kritisiert auch Federica Franchi von Bozen Solidale. Der Verein hat an der Stelle in Bozen Süd, an der der junge Ägypter vor wenigen Wochen im Alter von 19 Jahren erfroren ist, eine Krippe aus Pappe aufgestellt.
 
 

Notfallmaßnahmen

 
„Nach dem Tod von Mostafa Abdelaziz Abouelela wurden die Betten für Kälte-Notfälle erhöht. Das ist gut, reicht aber nicht“, so Franchi. Diese Notschlafstätten werden im März oder April wieder geschlossen und die Menschen müssen auf die Straße zurück. „Mit diesen Notfalllösungen wird jedes Jahr sehr viel Geld ausgegeben, anstatt an langfristigen Lösungen zu arbeiten. Wir fordern seit langem genügend Schlafplätze für Arbeitende, die 24 neuen Plätze in Casa Roma 100 sind zu wenig.“
Zudem müssten die SAI (sistema di accoglienza e integrazione)-Struktuen wieder geöffnet werden: „Familien oder kleinere Personengruppen wurden auf die Ortschaften verteilt und haben sich perfekt integriert. Es war sehr erfolgreich, aber viele der Strukturen wurden geschlossen“, erklärt Franchi.
 
 
Franchi und Rabini fordern darüber hinaus, dass die im sogenannten Critelli-Rundschreiben 2016 mitgeteilte Regelung abgeschafft wird. Diese sieht vor, dass schutzbedürftige Personen nur ein Recht auf Aufnahme haben, wenn sie vom Ministerium der Provinz zugeteilt wurden und nicht auf eigene Faust hierhergekommen sind. Die Regelung, die vom Direktor der Abteilung für Sozialpolitik Luca Critelli, unterschrieben wurde, zwinge viele Geflüchtete auf die Straße oder in Notschlafstätten.
Der zuständige Stadtrat Juri Andriollo (PD) weist die Vorwürfe teilweise zurück, gesteht aber ein, dass die Kommunikation und Streetwork verbessert werden müssen. In den nächsten Tagen will Andriollo die Verbände und Akteure in Bozen an einen Tisch bringen. Zudem brauche es nun den politischen Willen der Gemeinden und der Provinz, um einen einheitlichen Weg einzuschlagen.
Laut Informationen von Bozen Solidale wurden in der Zwischenzeit 25 Plätze in Wohncontainern in Eppan für obdachlose Menschen zur Verfügung gestellt, auch in Meran sollen weitere 50 Plätze bereitgestellt werden. Nach einer langfristigen und strukturierten Lösung sieht das Vorgehen der Politik (bis jetzt) allerdings nicht aus. „Unsere Forderungen bleiben jedes Jahr dieselben“, sagt Franchi lapidar.